Werder Bremen:Zittern um den Zauberlehrling

GER, 1.FBL, Werder Bremen vs FSV Mainz 05 / 17.12.2019, wohninvest Weserstadion, Bremen, GER, 1.FBL, Werder Bremen vs FS

In guten wie in schlechten Zeiten: Werder-Trainer Florian Kohfeldt stellt sich auch nach der 0:5-Niederlage gegen Mainz den Anhängern in der Ostkurve.

(Foto: imago)
  • Florian Kohfeldt soll bei Werder Bremen eine Ära prägen wie vor ihm die Klublegenden Otto Rehhagel oder Thomas Schaaf.
  • Der Trainer genießt in der Krise immer noch Vertrauen.
  • Es bleibt die Frage, wie stark die Kräfte des Abstiegskampfes auch in Bremen wirken.

Von Ralf Wiegand, Bremen

Die Defätisten unter den Bremer Fußballanhängern, auch die gibt es, wissen momentan nicht so recht, ob sie mehr Hamburg oder mehr Stuttgart sind. Steigt ihr Herzensklub Werder eher ab wie der HSV, als Endstation eines langen, schmerzhaften Weges, der stetig talwärts führt? Oder doch so wie der VfB, der in der vergangenen Saison auch mit dem angeblich besten Kader der Neuzeit und den Träumen von Europa gestartet war und erst in Liga zwei wieder aufwachte?

Die Bremer spielen eine sehr verwirrende Runde, wobei von "spielen" zuletzt keine Rede mehr sein konnte. Das seit der Einsetzung des Trainers Florian Kohfeldt, 37, im Herbst 2017 so ballsichere, kombinationsstarke und torgierige Team hat sich in einen verunsicherten, fahrigen und müden Abstiegskandidaten verwandelt, wobei der Schleier vor dem wahren Zustand erst in den letzten drei Spielen fiel.

Bis zur Heimniederlage gegen Paderborn (0:1) schien lediglich das offensiv formulierte Ziel einer Europaliga-Platzierung etwas verrutscht zu sein - aus Gründen, die Trainer Kohfeldt bei Teambesprechungen in der Regel rechts oben auf die Taktiktafel pappt: Dort stehen die Namensschildchen der verletzten Spieler. Es waren sehr viele Schildchen.

Doch die Niederlage gegen die bis dahin auswärts sieglosen Ostwestfalen, dann der 1:6-Tsunami von München und vor allem das 0:5 gegen den Tabellennachbarn aus Mainz, für das man das abgewetzte Wort einer "epischen" Niederlage gebrauchen darf, haben alles verändert. Plötzlich hat Werder Bremen die schwächste Bilanz seiner Bundesliga-Zugehörigkeit nach einem 16. Spieltag in der Vereinschronik stehen. Kümmerliche 14 Punkte gab es dann und wann zwar schon einmal, aber noch nie 40 Gegentore. "An etwas Vergleichbares kann ich mich nicht erinnern", sagte Aufsichtsratschef Marco Bode, der starke Mann im Verein, nach dem Debakel gegen Mainz. Bode gehört Werder Bremen als Spieler und Funktionär seit 31 Jahren an.

Bis vor kurzem war Kohfeldt die Antwort auf alles

Verletzungspech allein reicht nicht mehr aus als Erklärung für diesen Zerfall einer Idee. Denn weniger ist es nicht, was gerade an der Weser passiert. Kohfeldt, den Bode und Sportchef Frank Baumann gezielt für den Cheftrainerposten aufgebaut hatten, den sie nicht rausschmissen, obwohl er Assistent seines kläglich gescheiterten Vorvorgängers Viktor Skripnik war, soll eine Ära begründen. Endlich wieder ein Trainer, der zum Verein passt, der offensiven Fußball spielen lässt, eine unverwechselbare Spielphilosophie implementiert. Endlich wieder ein Trainer, bei dem sich die Chefs eher Sorgen machen dürfen, welcher Top-Klub ihn dereinst wegholen wird, und nicht Angst haben müssen, ob sie sich die Abfindung bei Rausschmiss überhaupt leisten können.

Florian Kohfeldt war bis vor zwei Wochen die Antwort auf alles. Vielleicht nur in Erinnerung an die guten alten Zeiten unter Thomas Schaaf und Otto Rehhagel, die jeweils 14 Jahre lang als Cheftrainer auf der Bremer Kommandobrücke standen; wahrscheinlich aber aus echter Überzeugung stattete der Klub Kohfeldt schon nach seiner zweiten Spielzeit mit einem Langzeitvertrag aus: Bis 2023 sollte der im Bremer Umland geborene Coach vollenden dürfen, was er bereits aufgebaut zu haben schien. Kohfeldt hatte Werder in der vergangenen Saison die beste Punktebilanz seit zehn Jahren beschert, und nur eine perfide Gemeinheit der Tabellen-Arithmetik verhinderte, dass 53 Punkte nicht zum Erreichen eines europäischen Wettbewerbs reichten. Dazu kamen Pokalspiele gegen Dortmund und Bayern wie aus vergangener Zeit, nämlich auf Augenhöhe.

Anders als seine wie auch er selbst von der U 23 in die erste Mannschaft beförderten Vorgänger Alexander Nouri und Viktor Skripnik bekam Kohfeldt das volle Vertrauen. Nach seinen Vorstellungen wurde die Infrastruktur der Trainingseinrichtungen umgestaltet, die medizinische Abteilung, das Fachpersonal für den Übungsalltag. Der Trainer, schwärmt Sportchef Baumann noch jetzt, "investiert sehr viel", so viel, dass nun die Mannschaft gefordert sei, ihm etwas zurückzugeben. Es sei, so Baumann am Donnerstag, die Aufgabe der Spieler, sich in die richtige Verfassung für das Spiel beim 1. FC Köln zu bringen. Dort kämpfen die Bremer am letzten Hinrundenspieltag darum, nicht auf einem Abstiegsplatz überwintern zu müssen.

Nach Kruses Abgang fehlt der Bremer Mannschaft der Kopf

Rehhagel und Schaaf

Große Männer, an denen in Bremen jeder Trainer gemessen wird: Thomas Schaaf (links) und Otto Rehhagel.

(Foto: Carmen Jaspersen/dpa)

Das Vertrauen in ihn zahlte Kohfeldt mit selber Münze zurück. Egal, wie lange die Geschäftsführung bei der Suche nach Neuverpflichtungen auch brauchte, vom Trainer kam nie ein Wort der Kritik. Er stemmte sich auch nie öffentlich gegen den Abgang des unbequemen, aber phasenweise genialen Topscorers Max Kruse, dessen Verbleib in Bremen den Verantwortlichen wohl zu teuer war. Kohfeldt flankierte den Abgang des omnipräsenten und besten Mannes mit dem Versprechen, seine Elf werde nun weniger leicht auszurechnen sein, flexibler agieren können.

Die Hoffnung hat sich zerschlagen, der Bremer Mannschaft fehlt nun der Kopf. Intellektuell mag zum Beispiel der vom Trainer hochgeschätzte Ex-Dortmunder Nuri Sahin die oft komplexen Vorstellungen Kohfeldts besser verstehen, aber die Entschlossenheit und Dynamik hat er genauso wenig wie der von Kohfeldt indirekt zum Nachfolger Kruses erkorene Japaner Yuya Osako dessen Torgefährlichkeit.

Waren das Fehleinschätzungen des Trainers? Oder sind auch das nur die Folgen jenes fehlenden Rhythmus, den Kohfeldt beklagt, weil er wegen einer fast unheimlichen Verletzungsmisere fast jede Woche eine andere Formation auf dem Platz trainieren muss? Oder, noch eine Frage, muss ein Trainer für solche Unwägbarkeiten des Geschäfts nicht einen Plan B haben, wenn Plan A - dominanter Fußball mit einer blind aufeinander eingespielten Elf - nicht mehr funktioniert?

Ex-Manager Willi Lemke bezeichnete Kohfeldt jüngst spitz als "Nachwuchstrainer"

Die sportliche Leitung hat ebenfalls nur einen Plan A, auch bei einer neuerlichen Niederlage in Köln heißt der Florian Kohfeldt. Er wisse von Frank Baumann, sagte der Coach unmittelbar nach dem 0:5 gegen Mainz, dass es mit ihm weitergehe, auch "auf Strecke". Tatsächlich stimmt es ja nicht, wie etwa Ex-Manager Willi Lemke neulich sagte, dass Kohfeldt (den er spitz als "Nachwuchstrainer" titulierte) aktuell seine erste Krise erlebt. Er kam ja mitten in einer Krise an seinen Job. Damals, im Oktober 2017, übernahm er Werder vor dem elften Spieltag als Tabellen-Sechzehnter, die Saison endete noch auf Platz acht.

Blumig ausgedrückt muss der gefeierte Zauberlehrling nun beweisen, dass er nicht nur ein Illusionskünstler ist. Werder hatte vor Kohfeldt noch nie einen Trainer, dessen Außendarstellung besser war, der das Spiel mit der Öffentlichkeit so perfekt beherrschte. Kohfeldt gibt bis heute noch allen Journalisten, die sich nach Pressekonferenzen zur Nachbesprechung um ihn scharen, einzeln die Hand, vielen hat er das Du angeboten. Welch ein Unterschied zum ausgewiesenen Journalistenfresser Rehhagel oder zum stoischen Thomas Schaaf, der Details zum Spiel seiner Mannschaft am Ende seiner Karriere nur unter "die Dinge" subsumierte. Oder zu Viktor Skripnik, der Siege wie Niederlagen mit der Floskel erklärte: "So ist Fußball."

Auch die Fans lieben diese Nahbarkeit Kohfeldts, der ihnen durch ausführliche Analysen gestattet, an seinen Überlegungen teilzuhaben, warum er heute diese und gestern jene taktische Ausrichtung gewählt hat. In dieser Lust, über Fußball zu reden, erinnert Kohfeldt tatsächlich ein bisschen an den jungen Jürgen Klopp.

Die größte Sorge der Defätisten unter den Bremer Fans ist daher wahrscheinlich gar nicht, dass es enden wird wie in Hamburg oder Stuttgart. Viel schlimmer wäre es für manche, erlitte Werder Bremen das Schicksal von Schalke 04. Dort hatten sie auch schon mal geglaubt, in Domenico Tedesco ihren Zauberlehrling gefunden zu haben, einen jungen, reflektierten und dem Verein gegenüber doch so leidenschaftlichen Trainer, mit dem sich eine Ära prägen ließe. Der Lord Voldemort des Fußballs, der Abstiegskampf heißt, war aber stärker als Schalkes Harry Potter.

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SV Werder Bremen v SC Paderborn 07 - Bundesliga04:13
04:13

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:"Es spricht gerade einfach sehr viel gegen Bremen"

Hat Werder die Mittel, um im Abstiegskampf zu bestehen? Und kann RB Leipzig wirklich um die deutsche Meisterschaft mitspielen? Die Fußballfragen der Woche.

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