Süddeutsche Zeitung

Nationalelf der Niederlande:Het Elftal kehrt von der reinen Lehre ab

  • Nach zwei verpassten Turnieren hat der Trainer Ronald Koeman die niederländische Nationalmannschaft innerhalb kürzester Zeit wieder konkurrenzfähig gemacht.
  • Koeman kehrt von der reinen Lehre des Fußballs in den Niederlanden ab - was auch Kritiker hervorruft.

Von Javier Cáceres, Zeist

Es hat sich einiges geändert bei den Niederländern, und das hat auch mit Ronald Koeman zu tun, dem irgendwie noch immer neuen Bondscoach. Es ist später Donnerstagvormittag in Zeist, der Himmel ist so bezaubernd klar wie die Luft, und die Herbstsonne steht so tief, dass sie kaum über die Wipfel der Buchen und Kiefern ragt, die rund um den Trainingsplatz von "Oranje" bräunlich-orange schimmern. Zeist, das ist ein Code für die neue Zeit.

Als Koeman, 55, im Februar antrat, verfügte er, dass sich die Nationalelf nicht mehr in Nordwijk vorbereitet, sondern eben in Zeist, in einer abgeschiedenen Idylle nahe Utrecht. Zurückgezogenheit und Arbeit im Landesinneren statt Lockerheit am Strand, hieß das. Doch was sich wirklich geändert hat, ist der fußballerische Output. Die Niederländer wären enttäuscht, wenn die Elftal am Freitag in Rotterdam nicht Frankreich schlagen und am Montag nicht gegen Deutschland gewinnen sollte, sagte Koeman in diesen Tagen. Und er hätte hinzufügen können: Wer hätte das gedacht?

Denn als er im Februar sein Amt antrat, lag der niederländische Fußball am Boden. Geblendet vom zweiten Platz bei der WM 2010 und dem dritten Platz bei der WM 2014 hatten die Niederländer nicht wahrgenommen, dass sie den Anschluss verpasst hatten: Die EM 2016 und die WM 2018 fanden ohne Niederländer statt. Medien und Verband KNVB schickten Experten in so unterschiedliche Länder wie Deutschland und Island, um zu studieren, was dort besser gemacht wird; zudem musste Danny Blind als Nationaltrainer gehen und die Geschäfte an eben Koeman übergeben, der in seiner Heimat vor allem eins hat: das Image eines Siegers.

Koeman hat bei allen großen Klubs der Niederlande gespielt - Ajax Amsterdam, PSV Eindhoven und Feyenoord Rotterdam - und später, als Erster überhaupt, bei allen drei Teams auch als Coach fungiert. Als einer der besten Verteidiger seiner Zeit holte er 1988 den EM-Titel mit den Niederlanden sowie den Europapokal der Landesmeister mit einer PSV-Mannschaft, in der unter Guus Hiddink auch Spieler wie van Breukelen, Lerby, Gerets oder Vanenburg spielten.

Und 1992 verhalf er dem FC Barcelona mit einem mythischen Tor im Finale von Wembley gegen Sampdoria Genua zum ersten Champions-League-Triumph. Trainer der Katalanen war damals Johan Cruyff, der auch in Zeist omnipräsent ist: in den Bewegtbildern des WM-Finales von 1974, das 1:2 gegen Deutschland verloren ging, durch mitunter absurde Aphorismen, die auf einer Tafel festgehalten sind ("ehe ich einen Fehler begehe, mach ich ihn nicht"), sowie durch eine Statue in charakteristischer Pose - er weist den Weg.

Cruyffs Gedankengerüst, das auf jenem des Totaalvoetbal fußt, ist auch noch omnipräsent. Vor ein paar Jahren noch sagte Koeman, dass der Stil "nicht verhandelbar" sei: "Wir Niederländer suchen uns immer den schwierigsten Weg zum Sieg aus. Der Fußball ist ein Spiel." Als er dann als Nationalcoach antrat, rieb sich mancher Niederländer die Augen. Koeman ließ mit einer Fünfer-Abwehrkette und eher reaktiv spielen, um die Geschwindigkeit seiner jungen Stürmer auszuschlachten. Das behagt nicht jedem.

Ein Offensiv-Fundamentalist wie der frühere Dortmunder Trainer Peter Bosz appellierte in der Zeitschrift Voetbal International gar an die große Geschichte seines Landes: "Wir sind schon immer ein abenteuerlustiges Volk gewesen, kreativ. Mit Mut", sagte Bosz; zu Zeiten der Niederländischen Ostindien-Kompanie, also im 17. und 18. Jahrhundert, habe man in Nussschalen die Ozeane erobert. Koeman konterte mit seiner eigenen Auslandserfahrung: Er habe in Spanien (Valencia), Portugal (Benfica), England (Southampton, Everton) und natürlich in den Niederlanden trainiert (neben den drei großen Klubs auch noch Vitesse Arnheim und AZ Alkmaar). Und er habe dabei gelernt, dass die Reinheit der Lehre nicht zwingend weiterführt.

Koemans Ergebnisse lesen sich ganz gut: Seit seinem Debüt gegen England im März (0:1) haben die Niederländer dreimal Unentschieden gespielt und dreimal gewonnen, in Portugal (3:0), gegen Peru (2:1) und gegen Deutschland in der Nations League (3:0). Eine einzige Niederlage stand zu Buche, im September in Frankreich (1:2), ebenfalls in der Nations League. Nun empfängt Koeman die Franzosen - ausgerechnet im De Kuip, dem Stadion von Feyenoord Rotterdam, wo er von 2011 bis 2014 seine wohl beste Zeit als Trainer erlebte.

Abstieg ohne Tränen

Deutschland kann absteigen, das klingt dramatisch. Aber was bedeutet es eigentlich, wenn man als Tabellendritter seiner Gruppe in der Nations League eine Liga tiefer rutscht? Dass ein Abstieg für Deutschland große Auswirkungen auf die Qualifikation zur Europameisterschaft 2020 hat, ist unwahrscheinlich. Die Ergebnisse in der Nations League beeinflussen zunächst nur die Setzliste für die EM-Qualifikation im kommenden Jahr, in der in zehn Gruppen 20 von 24 Plätzen vergeben werden. Erst nach der Qualifikation wird die Nations League wieder wichtig: Die jeweils vier Gruppensieger jeder Liga (A, B, C und D) spielen jeweils einen der vier übrigen Plätze aus. Für die Top-Mannschaften ist das wohl unerheblich, weil sie zu diesem Zeitpunkt schon auf die herkömmliche Art qualifiziert sind - dann rücken die nachrangigen Teams der jeweiligen Liga in die Qualifikations-Playoffs nach. Bedeutsam ist die Nations League vor allem für Länder wie Luxemburg, Kosovo oder Gibraltar, die in der D-Liga Chancen auf den Gruppensieg haben und sich erstmals für eine EM qualifizieren könnten, was im bisherigen Modus so gut wie unmöglich war. Für Deutschland bedeutet ein möglicher Abstieg nur einen Statusverlust, das zeigt die nicht so illustre Gesellschaft: Als A-Liga-Absteiger stehen bislang Polen und Island fest. Und Deutschland muss zuschauen, wenn im Juni 2019 die vier Gruppensieger der A-Liga einen Meister ermitteln. Sebastian Fischer

Wenn die Niederländer gewinnen sollten, würden sie die Deutschen degradieren, sprich: sie in die Gruppe B der Nations League schicken. Doch eine Genugtuung wäre das nicht für den Europameister von 1988, der damals beim Halbfinalsieg gegen Deutschland für ein Foto sorgte, das er oft bereut hat ("ich war jung und voller Emotionen"): Er wischte sich mit dem DFB-Trikot von Olaf Thon in Hamburg das Gesäß ab. Thon übrigens sagte, er würde sich freuen, Koeman am Montag in Gelsenkirchen die Hand zu schütteln.

Was klar ist: Ein Unentschieden am Freitag würde beiden Teams helfen. Weltmeister Frankreich wäre dann Gruppenerster, die Niederländer müssten im Prinzip am Montag mit vier Toren Unterschied verlieren, um abzusteigen. Den Gruppensieg würde Koeman schon gern mitnehmen, für zwingend hält er ihn aber nicht. Entscheidend sei vielmehr, dass sein Team bei der Auslosung zur EM-Qualifikation unter den gesetzten Teams landet und möglichst leichte Gegner bekommt. Ein Sieg gegen Frankreich wäre nicht der letzte Schritt der Entwicklung, sagte Koeman am Donnerstag: "Der letzte Schritt ist die Qualifikation für die EM 2020."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4212541
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 16.11.2018/chge
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.