Köln:Rettungsboot verschmäht

GER, 1.FBL, Hertha BSC VS. 1.FC Koeln

Diskussionsbedarf: Kölns Profi Marcel Risse stellt sich den FC-Fans.

(Foto: nordphoto)

Trotz einer Führung verliert der 1. FC auch in Berlin - und gibt die letzte Hoffnung auf den Klassenerhalt endgültig auf. Manch Spieler hatte bereits Tränen in den Augen.

Von Javier Cáceres, Berlin

Am Samstag war "Kidsclub"-Tag bei der Berliner Hertha, eine Aktion, um Minderjährige mit Bundesligafußball anzufixen, und das führte unter anderem dazu, dass ein Kindermund so etwas wie eine Wahrheit kundtun durfte. Ein paar Buben und Mädchen hatten nämlich auch Zugang zum Presseraum von Hertha BSC erhalten, und ein Junge im Grundschulalter getraute sich, um das Mikrofon zu bitten und eine Frage an den Berliner Trainer Pal Dardai zu richten.

"Warum tut sich die Hertha so schwer gegen Absteiger?", fragte also der Bub. Dardai schmunzelte, doch sein Kölner Kollege Stefan Ruthenbeck fuhr sich mit der Hand verzweifelt durchs Gesicht. "Absteiger", das tat ihm sichtlich weh, denn das Wort traf die Wahrheit nur deshalb nicht in ihrer ganzen Pracht, weil ja doch noch "rechnerisch alles möglich ist", wie die Protagonisten von Kellerkindern in dieser Phase der Saison zu sagen pflegen, am Samstag erledigte das für die Kölner Mittelfeldspieler Marco Höger. Nur: Beim 1. FC Köln ist die Lage nun so prekär, dass sie allmählich jeden Glauben an eine Zukunft in der ersten Liga fahren lassen. "Ganz ehrlich: Viel Hoffnung habe ich nicht", sagte Regisseur Leonard Bittencourt.

Mit 1:2 hatte seine Mannschaft in Berlin verloren, am Samstagabend betrug der Abstand auf den Relegationsplatz (Mainz 05) daher sechs Punkte. Am Montagabend kann die Distanz noch auf bis zu neun Punkte anwachsen, die Mainzer spielen gegen den SC Freiburg. Für Bittencourt war die Niederlage doppelt bitter gewesen. Denn er war derjenige gewesen, der in Berlin noch mal ein Rettungsboot ins Wasser gelassen hatte - mit seinem Tor in der 29. Minute.

Zuversicht konnte allein schon deshalb sprießen, weil die Berliner in der ersten Halbzeit schlecht genug gewesen waren, sich die Pfiffe und Flüche des eigenen Publikums zu verdienen - wegen den globalen Aspekten ihrer Leistung, aber auch, weil der Treffer auf höchst banale Weise zustande kam. Torwart Timo Horn drosch den Ball nach vorn, Jhon Córdoba verlängerte mit dem Kopf, und Bittencourt spitzelte den Ball am Strafraum durch die Beine von Rune Jarstein. Die Jagd der Berliner nach dem langsam kullernden Ball glich dem Versuch, eine Schildkröte einzufangen, die Herthaner scheiterten dennoch.

Als designierter Nachfolger für Trainer Stefan Ruthenbeck gilt Kiels Markus Anfang

Dann jedoch trafen die Kölner die bizarre Entscheidung, das sinkende Schiff doch nicht zu verlassen - und das Rettungsboot zu verschmähen. Denn nach der Pause fingen sie sich zwei Treffer von Davie Selke ein (49./53.), die Hertha zum ersten Heimsieg des laufenden Jahres gereichten. Umgekehrt verloren die Kölner bereits zum vierten Mal in dieser Saison ein Spiel nach einer 1:0-Führung, wegen eines abenteuerlichen Abwehrverhaltens; beide Tore kamen nach Hereingaben von Marvin Plattenhardt zustande, der auf Herthas linker Angriffsseite nicht gestört wurde. "Es war wieder ein Schock aus dem Nichts. Das haut dich schon erst einmal runter", sagte Kölns Sportdirektor Armin Veh.

Nicht, dass die Kölner es hernach nicht noch probiert hätten, sie kamen sogar zu Chancen. Aber sie bewegten sich doch immer am Rand der Paralyse. "Wir haben es zwar versucht, aber sicher nicht mit der Qualität, die es braucht, um in der Bundesliga zu bestehen", sagte Marcel Risse, der eingewechselt wurde. "Immer wieder wird von der letzten Chance gesprochen, das schlaucht mental", ergänzte Höger. Doch damit dürfte es wohl bald vorüber sein. Nationalspieler Jonas Hector stand lange gramgebeugt auf dem Rasen, manch einer wollte Tränen in seinen Augen gesehen haben, als er den Platz verließ. Und auch die Schmähungen eines kleines Teils der Effzeh-Fans gingen ihm sichtbar nahe. Sie wollen sich nicht damit abfinden, dass ihr Klub längst für die zweite Liga plant.

Geklärt und seit Donnerstag auch verkündet ist bereits, dass Trainer Ruthenbeck das Amt des Cheftrainers zum Saisonende aufgeben wird, als designierter Nachfolger gilt Markus Anfang, derzeit mit Holstein Kiel auf Bundesligakurs. Schon vor Tagen hatte sich Sportdirektor Veh entlocken lassen, der Name des neuen Coachs werde "zeitnah" bekannt gegeben; ob das schon in den kommenden Tagen geschehen werde, wollte er sich nicht entlocken lassen. "Es wird nicht lange dauern", sagte Veh lediglich. Und das bedeutet wohl: ähnlich kurz oder lang wie die Restleidenszeit der Kölner im Kampf um eine unmöglich anmutende Rettung.

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