Süddeutsche Zeitung

2:2 gegen Leverkusen:Köln ist der heimliche Derbysieger

Weil der FC mit großem Kampf ein 0:2 aufholt, verbleiben die Kölner nach dem Spiel gegen Leverkusen mit positiven Gefühlen - und freuen sich, die richtigen Dinge im Training einstudiert zu haben.

Von Philipp Selldorf, Köln

Gerardo Seoane hat sofort reagiert, als sein Kollege Steffen Baumgart in der 77. Minute den Angreifer Sebastian Andersson einwechselte, im nächsten Moment brachte er als Gegenmittel den Verteidiger Edmond Tapsoba für den offensiven Moussa Diaby. Bayer Leverkusen hatte somit drei kopfballstarke Abwehrspieler auf dem Platz, während der 1. FC Köln mit zwei kopfballstarken Stürmern aufwartete.

Und kaum fünf Minuten später trafen eben jene fünf Männer im Leverkusener Strafraum zusammen, um die Sache untereinander auszutragen. In dramaturgischer Beziehung darf man sich diesen Showdown tatsächlich wie im Western vorstellen: Die beiden Kölner zogen den entscheidenden Hauch schneller, woraufhin die drei Leverkusener nicht tot im Staub von Tombstone, aber besiegt auf dem Rasen in Köln-Müngersdorf lagen.

Ein billiges Kölner Tor? Mitnichten!

Das Tor, das dem FC das 2:2 gegen Bayer 04 sicherte und ihn damit nach lange währendem 0:2-Rückstand zum heimlichen Derbysieger beförderte, sah auf den ersten Blick wie ein ausgesprochen billiges Tor aus: Einwurf Kingsley Schindler, Kopfballverlängerung Sebastian Andersson, Kopfball Anthony Modeste ins Ziel, so simpel lief die Kontroverse ab. "Zwei kopfballstarke Stürmer gegen drei kopfballstarke Innenverteidiger - ich glaube, das Duell hätten wir für uns entscheiden sollen", stellte der schweizerische Trainer Seoane fest.

Im Ton des Tadels schwang allerdings eine Spur Fatalismus mit - was soll man machen? "Mag sein, dass ein Tor nach einem Einwurf ein billiges Tor ist", bestätigte der Leverkusener Mittelfeldspieler Robert Andrich, aber das Verfahren sei nun mal seit jeher "ein wirksames Mittel". Dieses Tor, wollte er damit sagen, sei weder für den Profiteur noch für den Geschädigten eine Schande.

In Zeiten, in denen Big Data im Fußball Einzug hält, und Trainer sich an der Bank (oder wie Julian Nagelsmann in der Küche) technische Kommandozentralen einrichten, wirkt ein solches Tor möglicherweise anachronistisch. Doch die einfachen Methoden werden nie aus der Mode kommen, sie bleiben die Basis des Spiels und ständiger Lernstoff im Training. Baumgart war es beinahe unangenehm, dass der Doppeltorschütze Modeste im Fernsehinterview nach dem Spiel verriet, man habe während der Woche diese Figur schwerpunktmäßig einstudiert: Einwurf, Kopfballverlängerung.

Vor dem Spiel provoziert Kölns Trainer Baumgart die Leverkusener doppelt und dreifach

Schon während der ersten Halbzeit gegen Bayer gaben die Kölner davon Kostproben. Womöglich spekulierten sie dabei auf die bekannten Koordinationsschwächen im Leverkusener Abwehrverbund: Jonathan Tah ist - wie beim Kölner 1:2 zu sehen war - immer wieder für eine drastische Fehleinschätzung gut, Nebenmann Odilon Kossounou, 20, im Sommer für viel Geld aus Belgien gekommen, befindet sich nach wie vor in der Kennenlernphase und darf einstweilen allenfalls als bedingt zuverlässig gelten.

Ja, erklärte Baumgart, "das war schon einstudiert, wir wollten, dass der Ball so dahinkommt, und wenn du einen Tick höher springst, dann geht der Ball halt rüber...". Rüber zum Mitspieler, meinte er. Dass der Trick dann so ein erfolgreiches Ende nimmt wie bei Modestes 2:2, das sei aber bloß das Resultat einer "Millimeterentscheidung" und überhaupt solle man "sowas nicht zu hoch hängen", so der FC-Trainer.

Ein typischer Baumgart: Erst verursacht er Wirbel mit seinen Themen, dann mahnt er zur Besonnenheit. Vor dem Derby hatte er die Leverkusener mit seinen Aussagen zum ehemaligen FC-Spieler Florian Wirtz und zum Stellenwert beim rheinischen Publikum doppelt und dreifach provoziert, dann schickte er ergebene Grüße an Bayer-Sportchef Rudi Völler, der kräftig zurückgefeuert hatte.

Dieses 2:2 hat den Beziehungen der Nachbarn dennoch keinen Schaden zugefügt, zumal da die Leverkusener sich als faire Verlierer erwiesen. Keiner hat sich darüber beschwert, dass die Kölner ihnen unrechtmäßig zwei Punkte gestohlen hätten, die Proteste richteten sich gegen die eigene Adresse: Torwart Lukas Hradecky übertrieb nur geringfügig, als er die vielen vergebenen Konterchancen beklagte - "wir hatten Tausende davon!" -, die Richtung der Kritik stimmte: In der zweiten Halbzeit habe man "einfach nur so daher gespielt", schilderte Andrich den Kursverlust seines Teams. Mancher Kenner sah darin wieder Symptome der Leverkusener Erbkrankheit, die sich scheinbar von Spieler-Generation zu Spieler-Generation überträgt: Ein Mangel an Ernsthaftigkeit, Entschlossenheit und Verbissenheit - letztlich an Motivation.

Aus eben diesen Eigenschaften leitete sich der Kölner Umschwung ein. Die Kölner kämpften sich zurück, unter anderem angeführt vom 33-jährigen Angreifer Modeste, dessen Bedeutung sich nicht nur im Toreschießen erschöpfte. Modeste, der mit sechs Saisontreffern und glänzenden Auftritten weiterhin sämtliche Prognosen seines persönlichen Abstiegs widerlegt, bleibt die Symbolfigur dieser neuentdeckten Kölner Mannschaft. Was nach einer Viertelstunde beim Stand von 0:2 - in gedanklicher Verbindung mit dem jüngst erlittenen 0:5 in Hoffenheim - wie eine negative Trendumkehr aussah, das war zum Schluss eine willkommene Trendbestätigung. Baumgarts FC strengt auch in schwieriger Lage den Showdown an - und weiß ihn inzwischen auch zu gewinnen.

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