Mehr als zwei Stunden Hochleistungs-Pokalfight lagen hinter Toni Leistner, er hatte sich mit all seiner Körperkraft durch die Partie gekämpft wie ein Gladiator durch das Abendprogramm im Circus Maximus. Und wenn es die Gelegenheit hergegeben hätte, dann hätte der Verteidiger von Hertha BSC der permanent anstürmenden Elf des 1. FC Köln noch weitere zwei Stunden mit Grätschen, Befreiungsschlägen und ständigem Im-Weg-Stehen das Spiel verdorben.
Doch jetzt, durch den Schlusspfiff aus dem Wettkampf gerissen, demoralisiert durch die Niederlage, stellten vier Treppenstufen im Stadion in Köln-Müngersdorf ein beinahe unüberwindliches Hindernis dar. So mühsam wie Leistner diese Stufen herabstieg, sah er nicht mehr aus wie ein 34 Jahre alter Fußballprofi, sondern wie ein Greis, der mit jedem Schritt zu kämpfen hat.
„Dieser Leistner“, sagte später der Kölner Trainer Gerhard Struber, sei ein Spieler, „den wir so nicht mehr sehen wollen“. Die scheinbar unfreundliche Erklärung war natürlich in Wahrheit ein großes Kompliment – der Typ hat tierisch genervt, hätte Struber auch sagen können. Normalerweise widme er seine Aufmerksamkeit lieber den eigenen Spielern, meinte der österreichische Coach, „aber dieser Leistner ist mir ins Auge gestochen“, und zwar bohrend und schmerzend. Mehr als hundert Minuten hielten die Berliner dank Leistners Organisation und Einsatz der Kölner Überzahl stand – Herthas Abwehrspieler Deyovaisio Zeefuik hatte nach einer Viertelstunde, wie Hertha-Manager Benjamin Weber zutreffend feststellte, „Mist gebaut“ und sich und seinem Team einen absolut unsinnigen Platzverweis eingehandelt. Erst als das Elfmeterschießen schon in Reichweite war, fiel die Berliner Mauer doch noch: Durch ein unglückliches Missgeschick, indem Herthas Einwechselspieler Gustav Christensen im Strafraum dem Kölner Florian Kainz einen Tritt versetzte. In der 119. Minute.
Im folgenden Strafstoß konzentrierte sich gleich doppelt der dramaturgische Höhepunkt des Abends: Weil die Kölner doch noch das 2:1 erzielten und mit einem Elfmeter das Elfmeterschießen abwendeten, und weil Dejan Ljubicic den Ball ins Ziel brachte. Jener österreichische Mittelfeldspieler, dessen besondere Schusstechnik und Nervenstärke die Mitspieler später so sehr lobten, der aber in der 100. Minute so jämmerlich den Schuss ins leere Tor verpasste, dass Sportchef Christian Keller von „Slapstick“ sprach. Ljubicic erklärte sich das Misslingen mit einem geistigen Irrtum: In Gedanken habe er den Ball schon ins Tor geschoben. In der Wirklichkeit verkantete er den Schuss und rutschte auf dem Ball aus. Ein leidendes Stöhnen ging durch das voll besetzte Stadion. So lange umzingelten die Kölner schon den Berliner Strafraum, doch gute Torchancen waren rar geblieben, erst zum Ende der Partie änderte sich das Bild. Nun aber ragte plötzlich Hertha-Torwart Tjark Ernst hervor – aus Kölner Sicht ein denkbar schlechtes Vorzeichen für das drohende Elfmeterschießen. Bis Ljubicic doch noch traf.
Der Verein hat inzwischen die Vertragsverlängerung mit dem umstrittenen Sportchef Keller bekanntgegeben - ein politisches Manöver?
15 Jahre ist es her, dass der 1. FC Köln zum letzten Mal in einem Viertelfinale des DFB-Pokals gestanden hat. Das habe er „in den Geschichtsbüchern gelesen“, sagte Manager Keller mit einem Lächeln, in dem auch ein bisschen Triumphgefühl steckte. Die am Dienstag vom Verein bekanntgemachte Vertragsverlängerung des zwischenzeitlich heftig umstrittenen Sportchefs wird in Kölner Medien als politisches Manöver des seiner baldigen Ablösung entgegensehenden Vorstands und als Ausdruck einer anhaltenden Führungskrise interpretiert. Umso mehr kam es Keller nun gelegen, dass er auf die sportliche Wende zum Besseren verweisen konnte. In der zweiten Liga ist der Absteiger wieder auf Kurs, im Pokal ist er erfolgreich.
Auch Trainer Struber hatte vor ein paar Wochen schon in Frage gestanden. Nachdem er aber sein Team daraufhin mit neuem Konzept versehen hat, behauptet es sich mit wenig vergnüglichem, aber effektivem Fußball. So wie am Mittwochabend, als Hertha BSC eher mühsam niedergerungen als ausgespielt wurde. Für Struber, bisher eher reserviert und unsicher in seinem Auftreten, war der aufregende Pokalabend ein befreiendes Erlebnis: „Irgendwo“, sagte er, „ist das eine Riesenerleichterung und gleichzeitig eine Riesenfreude, dass uns so eine coole Nummer gelungen ist.“