7:1 gegen Werder Bremen:Sieben Trömmelchen für ein Halleluja

7:1 gegen Werder Bremen: Ein Wellenbad in der Südkurve. Kölns Spieler feiern mit den Fans das 7:1 gegen Werder Bremen.

Ein Wellenbad in der Südkurve. Kölns Spieler feiern mit den Fans das 7:1 gegen Werder Bremen.

(Foto: Neundorf/Kirchner-Media/Imago)

Der 1. FC Köln erlebt bei Minustemperaturen ein traumhaftes 7:1 gegen Bremen, es ist der höchste Kölner Bundesligasieg seit fast 40 Jahren. Aber Trainer Steffen Baumgart hält nichts von Euphorie.

Von Philipp Selldorf, Köln

Grimmig blickte Steffen Baumgart in die Runde, nachdem der Schiedsrichter zur Pause gepfiffen hatte. Das Mienenspiel des Kölner Trainers signalisierte einen Spielstand von 0:1 bis 0:3, das tatsächliche Zwischenresultat bezifferte die Anzeigetafel jedoch mit 5:1 für den FC. Und hätte nicht Steffen Tigges gerade Pech mit einem Pfostenschuss gehabt, dann wäre das halbe Dutzend gegen Werder Bremen schon voll gewesen.

An die Wand hatten die Kölner die Bremer gespielt, doch offenbar hatte Baumgarts innerer Seismograph in den Minuten vor der Pause ein paar Prozent Intensitätsverlust bei der Mannschaft festgestellt, und deswegen trug er nun schlechte Laune im Gesicht. Kenner von Baumgarts Kabinenansprachen waren sich daher einig: Der Coach würde seinen Spielern für ihren weitgehend furiosen Auftritt nicht auf die Schulter klopfen - er würde sie autoritär zur Rede stellen und ihnen lautstark den Angriff befehlen.

Hätten sie das alles nicht in gleicher oder ähnlicher Weise schon öfter erlebt, hätten die Kölner Zuschauer die Aktivitäten des Trainers für Schauspiel halten können. Baumgarts leidenschaftliches Coaching hat jedoch eine entscheidende Eigenheit: Die Leidenschaft ist echt. Außerdem ist sie ansteckend und überträgt sich auf die Schüler, wie Werder am Samstagabend erfahren musste. Es gibt ja viele Leute, die sich "I did it my way" auf den Grabstein meißeln lassen, weil sie als sog. Originale in Erinnerung bleiben möchten. Bei Baumgarts Grabstein darf man sicher sein, dass der Spruch nicht vorkommen wird. Obwohl er dort gut aufgehoben wäre.

"Die ersten vier, fünf Tore haben wir uns selbst eingeschenkt", meinte Bremens Kapitän Marco Friedl

Einige Bremer Spieler versuchten, die Demütigung des 1:7 mit einem kollektiven Blackout zu erklären und somit als einmaligen Betriebsunfall abzutun. "Wir haben uns das wirklich selbst zuzuschreiben, das kann man nicht auf die Qualität von Köln schieben", meinte etwa Mitchell Weiser, während Kapitän Marco Friedl mutmaßte, man sei wohl gedanklich "noch im Trainingslager" gewesen - "die ersten vier, fünf Tore haben wir uns selbst eingeschenkt". Aber die für Werder unangenehme Wahrheit dieses Abends drückte Leonardo Bittencourt aus: "Die wussten von A bis Z was wir machen - und schicken uns zwei Tage vorher noch die Aufstellung rüber. Wir wurden heute auf gut Deutsch ,Hops genommen'".

Die Anmerkung zur Aufstellung bezog sich darauf, dass Baumgart bei der Pressekonferenz am Donnerstag um halb zwei seinen kompletten Elferrat für Samstagabend aufgesagt hatte, obendrein kündigte er auch den Zeitpunkt der ersten Auswechslung an - und siehe da, in besagter 60. Minute kamen drei neue Spieler für drei offensive Akteure, die bis dahin weit mehr als nur Tore und Torvorlagen hatten: Florian Kainz, ehedem ein ordentlicher Mitläufer bei Werder und in Köln nun eine der herausragenden Figuren; Denis Huseinbasic, 21, bis Sommer Regionalligaspieler bei Kickers Offenbach; und Stefan Tigges, bis Sommer ein Dortmunder Borusse, dessen Jagdgründe vor kurzem ebenfalls noch in der Regionalliga lagen. In Dortmund fragt man sich vermutlich gerade, ob man nicht besser Tigges behalten, den Kölnern dafür ihren Anthony Modeste gelassen und damit eine Menge Geld gespart hätte.

7:1 gegen Werder Bremen: Zynischer Schnappschuss: Bremens Torwart Jiri Pavlenka konnte sich höchstens darüber freuen, dass Köln nicht zweistellig gewann.

Zynischer Schnappschuss: Bremens Torwart Jiri Pavlenka konnte sich höchstens darüber freuen, dass Köln nicht zweistellig gewann.

(Foto: Uwe Kraft/Imago)

"Zwei-Meter-Messi" nannte ihn ein Augenzeuge, und das war nicht nur originell, sondern irgendwie auch zutreffend. Am 1:0 hatte Tigges auf unerwartet filigrane Weise mitgewirkt, das 3:0 erzielte er mit einem präzise berechneten 46-Meter-Fernschuss ins verwaiste Tor, in das Pavlenka nach einem übereifrigen Ausflug nicht mehr rechtzeitig zurückgelangen konnte. Tigges hatte, als ihn zuvor der Ball erreichte, nicht gleich abgezogen, er nahm sich die Zeit, um parat zu sein. Im Kölner Publikum war das Erstaunen beinahe größer als der Jubel. Tigges, 22, stand bisher im Rang eines achtenswert fleißigen und durchaus torgefährlichen, aber begrenzt begabten Junior-Profis, mit Kunsthandwerk war er noch nicht aufgefallen. Doch warum wundern? Baumgarts Methoden haben schon einige Spieler erkennen lassen, dass mehr in ihnen steckt, als sie selber ahnten. Zugang Davie Selke, berüchtigt als verhinderter Torjäger, ist das nächste Versuchsobjekt. Am Samstagabend suchte er nach seiner Einwechslung noch Anschluss.

Die Bremer fanden keinen Halt und keine Haltung zum Spiel, vergeblich bemühte sich Werder um Schadensbegrenzung. Kein ernstzunehmender Gegenstoß wollte ihnen gelingen, das einzige Tor resultierte aus einem Eckstoß und der einzigen gelungenen Aktion des noch nicht in WM-Form befindlichen Niclas Füllkrug, am Ende waren die Bremer mit dem 1:7 sogar noch gnädig davongekommen. Trainer Ole Werner konnte allerdings nichts Tröstliches darin sehen: "Schwer in Worte zu fassen unsere Leistung - unterm Strich desaströs. So auseinanderzufallen, das geht nicht", sagte er. Tonfall: eisig. Nach neun Minuten drang zum ersten Mal der Karnevalsklassiker aus den Boxen, mit dem die Kölner ihre Tore zu feiern pflegen. Siebenmal "Ja, wenn dat Trömmelche jeht ..." - in Ole Werners Ohren muss das fröhliche Lied geklungen haben wie die Melodie des Unheils.

7:1 gegen Werder Bremen: Und wieder muss Werder zusehen: Ellyes Skhiri (links) löffelt den Ball kunstvoll zum 4:0 ins Werder-Tor.

Und wieder muss Werder zusehen: Ellyes Skhiri (links) löffelt den Ball kunstvoll zum 4:0 ins Werder-Tor.

(Foto: Imago/Jan Huebner)

Genauso wenig überraschend die Reaktion von Steffen Baumgart. Selbstredend hat er sein Team und dessen exzellent orchestrierten Angriffs- und Konterfußball NICHT über alle Maße gelobt und gepriesen, stattdessen warnte er: "Ich finde, man muss vorsichtig sein. So ein Spiel hat man nicht oft." Seine Vorsätze für die Partie beim FC Bayern am Mittwoch sind auch keine Überraschung: Er wolle das Spiel gewinnen, sagte er - aber das hätte er auch gesagt, wenn Köln am Samstagabend 1:7 verloren hätte.

Fast vierzig Jahre ist es her, dass der 1. FC Köln in der Bundesliga so hoch gewonnen hat. Im Oktober 1983 gab es ein 7:0 gegen Eintracht Frankfurt. Damals spielten aber auch Stars wie Pierre Littbarski, Klaus Allofs und Klaus Fischer für den FC, diesmal gewannen Spieler namens Eric Martel, Denis Huseinbasic oder Jeff Chabot. Baumgart könnte stolz sein auf sein Werk. Aber man darf sicher sein, dass er längst nicht zufrieden ist.

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