Süddeutsche Zeitung

Abschied von Kobe Bryant:Los Angeles weint gemeinsam

Bei der Trauerfeier für Kobe Bryant in Los Angeles wird klar: Der Basketballer wurde oft als Egomane geschmäht, doch er hat die Menschen berührt und vereint.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Und dann sagt Jimmy Kimmel einen Satz, der erklären könnte, was in den vergangenen Wochen in Los Angeles passiert ist. Warum sich wildfremde Menschen trösten, wenn sie Tränen in den Augen des anderen entdecken. Warum Kinder plötzlich Kontakt aufnehmen zu ihren Eltern, von denen sie sich entfremdet haben. Warum Leute, die nichts miteinander zu tun haben oder verfeindet sind, nach Gemeinsamkeiten suchen. "Wo sonst?", fragt Kimmel auf der Trauerfeier für Kobe Bryant, der am 26. Januar bei einem Hubschrauber-Absturz ums Leben gekommen ist: "Wo, außer in der Kirche und beim Sport, geben sich wildfremde Leute die Hand, umarmen einander und feiern gemeinsam?"

Er sagt diese Worte am Montag in dieser Arena im Stadtzentrum von Los Angeles, die, bei allem Glamour in dieser Stadt, genau so ist wie jedes andere Stadion auf der Welt: Es gibt Sitzplätze direkt am Spielfeld und Logen darüber, die sich nur jene leisten können, die so reich und berühmt sind wie die Akteure auf dem Parkett. Es gibt aber auch die Plätze unter dem Hallendach, die "Nosebleeds" heißen, weil da oben die Luft so dünn ist, dass die Nase zu bluten beginnt.

Die Leute unten und oben könnten verschiedener kaum sein, sie kommen aus der gleichen Stadt und leben doch in völlig unterschiedlichen Welten - doch für diesen einen Moment der Freude oder Trauer, da sind sie alle gleich.

Hat Kobe Bryant das so vielfältige Los Angeles vereint?

Bryant hat während seiner Karriere für zahlreiche solcher Momente gesorgt. Die Leute haben seit seinem Tod mehr als 25.000 Trikots, 2000 Basketbälle und 12.000 Briefe an der Arena abgelegt. Etwa 300.000 Menschen haben etwas an die Mauern geschrieben, nur selten handeln die Einträge von Titeln oder Statistiken wie den fünf NBA-Meisterschaften mit den Lakers, den beiden Olympischen Goldmedaillen für die USA oder den insgesamt 33.643 Punkten. Fast immer geht es um Erlebnisse und Emotionen, schon 2014 hatten mehr als 75 Prozent der Lakers-Fans gesagt, dass sie in dieser Saison lieber noch mal ein 50-Punkte-Heimspiel von Bryant erleben würden als eine Playoff-Partie.

Hat dieser Kobe Bryant, zu Lebzeiten oftmals als ehrgeiziger Egomane geschmäht, dieses so vielfältige Los Angeles vereint? In einer Zeit, in der die Amerikaner so unvereinbar scheinen wie selten zuvor?

Wer mal Teamsport getrieben hat, der weiß, wie das ist, sich eine Kabine mit Leuten zu teile, mit denen man überhaupt nichts gemein hat außer dieses eine Ziel, den nächsten Wettkampf zu gewinnen. Dieses Gefühl, sich mit Kollegen zu freuen oder mit ihnen - nicht wegen verletzter Eitelkeit, sondern wegen dieses Ziels - heftig zu streiten, das kommt außerhalb des Sports nicht besonders oft vor; oder wer hüpft nach einem erfolgreichen Arbeitstag schon jubelnd durchs Büro? Es ist doch vielmehr so, dass man meist froh sein muss, wenn sich niemand über einen beschwert. Beim Sport dagegen, da sind Emotionen erlaubt, sogar erwünscht, auch und gerade von Zuschauern. Das eint die Leute, und es stimmt schon, was Kimmel sagt: Wo sonst erleben wildfremde Leute zum gleichen Zeitpunkt die gleichen Emotionen?

Los Angeles ist eine Stadt mit 114 Gegenden, von denen keine ist wie die andere, und wer hierher zieht, dem wird gesagt, dass die Wahl der Gegend den Alltag entscheidend prägen wird. Die Leute wohnen nebeneinander und leben doch in unterschiedlichen Welten. Es gibt kaum Schnittpunkte, die Postleitzahl (die "90210" von Beverly Hills ist durch die TV-Serie weltbekannt geworden) bestimmt nicht nur, wo einer wohnt - sondern auch, wer einer ist. Wer in den vergangenen Wochen durch diese Stadt gefahren ist, durch die verschiedenen Gegenden, wer die Wandgemälde, Angebote in Tattoo-Shops oder auch die Kleidung der Leute gesehen hat, der weiß, dass es doch einen gemeinsamen Nenner gibt: Kobe Bryant.

Das Faszinierende an Bryant ist, dass er bei den Angelenos für die komplette Palette der Emotionen gesorgt hat: Freude bei Siegen, Staunen bei unwirklichen Bewegungen, Respekt beim Erreichen von Bestmarken - aber auch Wut, weil er mal wieder nicht abgespielt hat. "Die Jungs haben sich beschwert, dass er den Ball nicht abgeben würde", sagt sein langjähriger Teamkollege Shaquille O'Neal am Montag, mit dem er überhaupt nichts gemein hatte außer dieses eine Ziel, den nächsten Wettkampf zu gewinnen: "Ich sagte zu ihm: There is no 'I' in 'team'!" Die Antwort von Bryant auf das Wortspiel, dass für Egomanen kein Platz in einer Mannschaft sei: "Aber es gibt 'me' in dem Scheißwort!" Es gebe also doch Platz für einen Ego-Zocker, und O'Neal sagt: "Von da an hatte er meinen Respekt."

Bryant hat sich schlimme Fehltritte in seinem Leben geleistet hat: So soll er im Jahr 2003 im US-Bundesstaat Colorado eine Hotel-Angestellte vergewaltigt haben. Es kam zum Prozess, aber nie zu einer Verurteilung. Er hat sich dennoch Respekt erarbeitet: Viele Leute in der Stadt wissen zu schätzen, dass einer bei all den Annehmlichkeit, die das Leben als Profisportler so mit sich bringt, jeden Tag um fünf Uhr morgens mit dem Training begonnen und den Hubschrauber als Fortbewegungsmittel nur deshalb verwendet hat, damit er sowohl Basketballstar als auch Familienvater sein konnte. Genau dafür steht diese Stadt an der Pazifikküste, wenn man die Scheinwerfer mal ausschaltet: für Leute, die so lange hart arbeiten, bis ihr Traum vom Reich- und Berühmtsein in Erfüllung geht - oder bis sie beim Versuch draufgehen.

Die Bewohner von Los Angeles haben Bryant am Montag die letzte Ehre erwiesen in dieser Arena, in der sie so viel mit ihm erlebt haben. Sie haben den emotionalen Geschichten von Michael Jordan ("Er war wie ein kleiner Bruder für mich") gelauscht, sie haben sich gegenseitig Geschichten von prägenden Momenten erzählt und Bryant zitiert.

Bei der wunderbaren Rede seiner Frau Vanessa über Kobe und die ebenfalls verstorbene Tochter Gianna ("Gott wusste, dass ihr nicht ohneeinander würdet leben können, also hat er euch beide holen müssen. Du kümmerst um unsere Gigi, ich um Nano, Bibi und Coco.") haben sie gemeinsam geweint. Sie wissen, und es kann kaum einen schöneren Gedanken geben, dass es bei all den Gräben in dieser Stadt eine Brücke gibt, die sämtliche Bewohner miteinander verbindet.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4818508
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/ebc
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.