Knapper Bayern-Sieg in Bochum:Distanzieren, so gut es geht

2:1 in letzter Minute: Nach einem Auftritt mit vielen Fehlpässen ist der FC Bayern an einem neuen Punkt angelangt - die Akteure wissen sich sich nur noch mit Sarkasmus verständlich zu machen.

Von Philipp Selldorf, Bochum

Uli Hoeneß setzte eines seiner liebenswürdigsten Lächeln auf, als er aus den Tiefen des Stadions hervortrat. Das Lächeln galt nicht den umstehenden Berichterstattern und ganz sicher auch nicht dem Vergnügen dieses Pokalabends, sondern einem Spieler, der sich um den beachtlichen Unterhaltungswert der Partie zwischen dem VfL Bochum und dem FC Bayern besonders verdient gemacht hatte und der nun das Glück hatte, vom Präsidenten den gebührenden Lohn zu empfangen. Es verstand sich beinahe von selbst, dass dieser Mann nicht der Münchner Mannschaft angehörte, die das Match zwar 2:1 gewonnen hatte, den Ort aber nach einem, wie Leon Goretzka trefflich zusammenfasste, "schlappen Auftritt" in Demut und Büßerhaltung verlassen musste. Jener Danny Blum, den Hoeneß auf dem Weg zur Kabine aufhielt, um ihm anerkennende Worte zu widmen, hätte dem speziellen Abend beinahe eine mutmaßlich folgenreiche Pointe beschert.

Torwart Neuer beklagt, dass Gleichgültigkeit um sich greift, Unlust auf Erfolg

Blum befand sich eine gute Viertelstunde vor Schluss, Spielstand 1:0 für den VfL, auf seinem Posten im vorgerückten Mittelfeld, als ihm Manuel Neuer im Zuge eines Noteinsatzes als Libero den Ball zupasste, als ob es Absicht wäre. Während Neuer heim in den Strafraum eilte, legte sich Blum den Ball zum Scharfschuss zurecht, mit links schickte er ihn auf die weite Reise, und außer Neuer hielten in diesem Moment wohl sämtliche der 26 600 Zuschauer im Ruhrstadion die Luft an, denn das Flugobjekt schien geradewegs aufs Tor zuzusteuern und Geschichte machen zu wollen. Doch dann packte Neuer zu.

So einen Treffer hatte sich der Nationaltorwart schon mal gefangen, vor achteinhalb Jahren in Mailand beförderte er mit einem rettenden Flugkopfball den Ball bis in die gegnerische Hälfte, von wo ihn Dejan Stankovic sofort zurücksendete - hinein zum 0:1 ins leere Tor. Neuers Schalker gewannen am Ende dennoch 5:2 gegen den FC Internazionale, immer noch ist das eine der Sternstunden seiner Karriere.

Von solchen Freuden war Neuer in Bochum mehr als bloß achteinhalb Jahre entfernt. Als der Kapitän des FC Bayern dort das Wort ergriff, redete er nicht über den in vorletzter Minute durch Thomas Müllers Müller-Tor sichergestellten Pokalsieg, den die Bochumer als tragisch und die Münchner als peinlich empfinden mussten, sondern über sein Leiden an diesem Auftritt, an den Kollegen und an der ganzen vertrackten Bayern-Welt, die im Moment offenkundig nicht mehr Neuers Welt ist. "In den Spiegel gucken" und prinzipielles Sich-selbst-Hinterfragen, rät Neuer den Kollegen. Zur Pause sei er "richtig traurig und enttäuscht" gewesen, sagte er, ihm waren grundsätzliche Zweifel gekommen, wenn er den Mitspielern zusah: "Ob man vom Kopf her nicht da ist oder man einfach keine Runde weiterkommen will." Das war nicht als Vorwurf vorsätzlicher Sabotage gemeint, es war fast schlimmer: Neuer beklagt, dass Teilnahmslosigkeit und Gleichgültigkeit um sich greifen, Unlust auf Erfolg, Formen des Degenerierens. Den Zeitungsleuten gab er einen Tipp zur Gestaltung ihrer Sportseiten: "Macht doch einfach 'FC Bayern' als Titel - und dann ein leeres Blatt. Das beschreibt die Leistung am besten."

Der FC Bayern ist in der Dauerschleife seiner sinnkritischen Debatten an einem Punkt angekommen, an dem die Akteure sich nur mehr mit Sarkasmus verständlich zu machen wissen. Nicht nur auf dem Spielfeld sah es in Bochum so aus, als habe ein Prozess umfassender Zersetzung eingesetzt: Man sah viele einander beschimpfende Stars von Boateng bis Lewandowski; später hörte es sich auch so an.

Just während der in drei Wochen abtretende Präsident Hoeneß den Bochumer Profi Danny Blum hochachtungsvoll tätschelte, trat auf dem nämlichen Quadratmeter sein spätgeborener Nachfolger, der Sportdirektor Hasan Salihamidzic, vor die Öffentlichkeit und führte ein erstaunliches Schauspiel auf. Sein Versuch, sich durch Hohn und Belustigung über das aktuelle Treiben der Belegschaft zu erheben, geriet allerdings erklärungsbedürftig. "Top-Abend, top, top ... - hergespielt haben wir sie", teilte Salihamidzic mit und blickte dann in so viele verwunderte Gesichter, dass er das Rätsel selbst auflösen musste: "Ohne Ironie geht heute nicht."

Ferner ließ der Sportdirektor die Zuhörer noch wissen, dass er "nur aus Freundlichkeit" erschienen sei: "Ich bin einfach nur da, um da zu sein", sprach er, zweifellos ein großer und ewiger, vielleicht aber auch verräterischer Satz. Sollte er mit diesem in Szene gesetzten Kommentar zur Lage der Bayern ein Zeichen gesetzt haben wollen, dann war es ein seltsames Zeichen. Was hätte Hoeneß früher getan? Zunächst hätte er einen sehr, sehr roten Kopf bekommen. Aber das wäre natürlich nur der Anfang gewesen ...

Kovac lobt den VfL: "Da sieht man mal, was passiert, wenn alle machen, was der Trainer sagt."

Jeder distanzierte sich an diesem Abend von den anderen, so gut er konnte. Der Kapitän, der Sportchef, der Trainer. Auch Niko Kovac nahm demonstrativ Abstand, als er erklärte, er wisse ganz genau, warum es in der ersten Halbzeit "ein Fehlpassfestival" gegeben habe. Er glaube "nicht, dass es an der Taktik lag oder am Wetter. Es kommt einzig und allein darauf an: Wie gehe ich in ein Spiel rein und wie nehme ich ein Spiel an?" Die Bochumer hätten es getan, die Wichtigkeit des Spiels angenommen, seine Leute nicht: "Da sieht man mal, was passiert, wenn alle machen, was der Trainer sagt. Dann funktioniert das auch." Auch dies ist ein Satz, der hintergründige Bedeutung verheißt, es ist ein Satz, in dem Bitternis und Enttäuschung keimen. Kovac mag es ein Verlangen gewesen sein, ihn zu äußern, aber als Beschreibung in eigener Sache steht er nicht zum Vorteil für den Trainer da.

Seit er seinen Posten in München angetreten hat, muss Niko Kovac die Diskussionen um seine Fähigkeiten und die Zweifel an seiner Stellung als Bayern-Coach, an seiner Autorität in der Kabine und seiner Geltung vor dem Team aushalten, in Bochum ist er auf dem Weg der moralischen Zermürbung ein weiteres Stück vorangekommen. Kovac trug dann noch selbst zur disparaten Stimmungslage bei, als die Rede auf das Auswärtsspiel in Frankfurt am Samstag kam. "Das sind die besten Fans der Liga, das haben sie in den vergangenen Jahren bewiesen", sagte der Mann, dessen leidenschaftlichste Unterstützer in der Münchner Südkurve stehen.

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