Klosterhalfen bei der WM:Nach dem Rennen warten die größten Schwierigkeiten

Konstanze Klosterhalfen bei der Leichtathletik-WM 2019

Die Deutsche Konstanze Klosterhalfen, hier bei der Leichtathletik-WM in Doha, trainerte beim Nike Oregaon Project.

(Foto: dpa)

Konstanze Klosterhalfen zieht mühelos ins WM-Finale über 5000 Meter ein. Danach dreht sich vieles um den suspendierten Cheftrainer ihrer Laufgruppe - doch Klosterhalfen freut sich, weiterhin "im besten Team der Welt" zu trainieren.

Von Johannes Knuth, Doha

Für einen kurzen Moment brach sie aus ihrem Kokon aus. Aber dann schlüpfte Konstanze Klosterhalfen gleich wieder hinein.

Wettbewerbe bei Leichtathletik-Weltmeisterschaften dauern ja länger als der bloße Wettstreit, sie beginnen Tage vorher, wenn die Nervosität langsam in den Körper fließt, wenn der Vorlauf ansteht, den man nicht zu leicht nehmen darf aber auch nicht zu schwer, weil man sonst den Wettkampf vor dem richtigen Wettkampf bestreitet. Klosterhalfen, 22, erledigte diese Aufgabe am Mittwoch im Vorlauf über 5000 Meter jedenfalls mit der Souveränität einer Veteranin. Sie blickte kurz mit großen Augen in die TV-Kamera, als die Läuferinnen am Start präsentiert wurden, lächelte bemüht, dann war sie schon wieder in ihrem Kokon. Bloß nicht die Ruhe verlieren. Und so lief sie dann auch, ruhig, die letzten drei Runden waren eher ein kontrollierter Steigerungslauf, der sie mühelos zu 15:01,57 Minuten und ins Finale an diesem Samstag trug.

Die größten Schwierigkeiten warteten erst nach dem Rennen. Als Klosterhalfen nach Alberto Salazar ausgefragt wurde, den Gründer, Lenker und Cheftrainer des Nike Oregon Projects (NOP), bei dem Klosterhalfen seit November 2018 trainiert. Und den ein Schiedsgericht einen Tag vor Klosterhalfens WM-Start in Doha für vier Jahre aus dem Sport gezogen hatte, weil die Richter es als erwiesen ansahen, dass Salazar zumindest für einige Jahre im NOP ein Dopingnest gebaut hatte.

Das Team in Oregon sei "das beste der Welt", sagt Klosterhalfen

Und so musste Klosterhalfen noch einmal aus ihrer Ruhe ausbrechen. Das Urteil gegen Salazar sei "schockierend" gewesen, sagte sie im Bauch des Khalifa-Stadions, die krausen blonden Haare nur mäßig verschwitzt. Aber sie habe, wie alle aus ihrer Trainingsgruppe, "kaum laufen" können, als Salazar seine Dopingpraktiken im NOP orchestriere - eine recht elastische Kalkulation, der betroffene Zeitraum erstreckt sich von 2010 bis 2014. Aber gut. Doping war in ihrer Zeit dort "nie ein Thema", sie habe auch nie bei Salazar, sondern in der Gruppe von dessen Adjutanten Pete Julian trainiert. Wobei Julian vor zwei Jahren noch öffentlich die Einigkeit des Projekts beschworen hatte, aber gut. Sie freue sich jedenfalls schon jetzt, sagte Klosterhalfen, im kommenden Jahr wieder "im besten Team der Welt" zu trainieren.

Tatsächlich waren weder Klosterhalfen noch die übrigen neun Doha-Starter des NOP je in Dopingverfahren verwickelt. Aber letztlich stand die 22-Jährige auch am Mittwoch in dem schalen Licht, in das sie seit ihrem Umzug an die Westküste der USA gerückt ist: Weil man halt tiefe Skepsis auf sich zieht, wenn man maximale Leistungsoptimierung in einem Umfeld sucht, das damals längst im Verdacht stand, auch mit Verbotenem zu optimieren. Aber das waren ja nur "irgendwelche Mutmaßungen" von irgendwelchen Leuten, befand Oliver Mintzlaff damals, der Geschäftsführer des Fußball-Bundesligisten RB Leipzig, der im vergangenen Frühjahr die "moralische Verantwortung" für den Wechsel zum NOP übernommen hatte. Außerdem sei Deutschland ein Land der Neider, fand er, "das alles in Frage stellt".

In der Laufwelt herrscht große Einigkeit wegen Salazar

Mintzlaff hatte offenkundig nicht allzu viel infrage gestellt. Dabei war da schon Jahre zuvor Geraune in der Szene, dass bei Salazar einiges im Argen liege. Oder Berichte von BBC und ProPublica 2015, oder zwei Jahre später ein 270-seitiger Untersuchungsbericht der amerikanischen Anti-Doping-Agentur, die jeweils ein verheerendes Bild des NOP zeichneten. Das Urteil am Dienstag goss bloß das in stählerne Gewissheit, was immer wieder durch die Öffentlichkeit geschwirrt war, wenn auch unter dem Mantel des Verdachts: dass Salazar Dopingpraktiken aufzog und orchestrierte, dass Sportler "Versuchstiere" waren, wie Travis Tygart dem ZDF in Doha sagte. Tygart ist der Vorsitzende der Usada, der US-amerikanischen Anti-Doping-Agentur, die den Fall vor das Gericht gezerrt hatte. Viele NOP-Athleten, so Tygart, hätten keine Chance gehabt, teils "hochgradig gefährliche Medikamente" und verboten hohe Infusionen abzulehnen, die Salazar und der ebenfalls gesperrte Arzt Jeffrey Brown ihnen aufgedrängt hatten. Salazar kann einnehmend sein, seine ehemalige Athletin Kara Goucher hatte einmal erzählt, dass der 61-Jährige für sie zunächst wie eine Vaterfigur war. Später sei das alles zerbrochen, als Salazar ihr etwa Schilddrüsenmedikamente aufdrängte, die sie nicht benötigte, um die Leistung anzukurbeln. Und Klosterhalfen? Sie sagte im Frühjahr, Salazar sei doch "superlieb". Und "wirklich lustig".

Idriss Gonschinska, der Generaldirektor im DLV, befand am Mittwoch im deutschen Teamhotel, es sei gar nicht so einfach, "die Informationslage jetzt hier unmittelbar einzuordnen". Sprich: das 250-seitige Urteil zu studieren; Salazar habe ja auch Berufung eingelegt. Man werde aber nach der WM "sehr intensiv" mit Klosterhalfen und ihrem Management "in den Austausch treten". Klosterhalfen sei eine mündige Athletin, die Manipulation strikt ablehne, sagte Gonschinska, eher kühl, ehe er anfügte: Klar sei, "dass sie am Ende auch Verantwortung zeigt für Entscheidungen".

Das konnte man übrigens auch an die Firmenzentrale von Nike richten. In den 5800 Seiten an Dokumenten, die die Usada in dem Fall gesammelt hatte, hatte das Wall Street Journal am Mittwoch E-Mails aus dem Jahr 2009 zwischen Salazar und Nike-Präsident Mark Parker gefischt. Salazar hatte demnach ein Experiment, bei dem er seine Söhne mit Testosteroncremes einrieb, in einem Labor auf dem mondänen Campus in Beaverton orchestriert. Später erstattete er Parker Bericht. Parker antwortete: "Es wird interessant zu sehen sein, ab welchem Wert an männlichen Hormonen ein Positivtest ausgelöst wird." Um später Dopingkontrollen zu umgehen? Salazar beteuerte, dass er wegen möglicher Sabotageakte gegen seine Athleten experimentierte. Galen Rupp, bis zuletzt Salazars Musterschüler, hatte einst geschildert, dass ihm ein Trainer mal eine Substanz auf den Rücken gerieben habe. Nike teilte mit, es stehe hinter Salazar und billige keinen Einsatz von verbotenen Praktiken. Wobei Parker das in seiner E-Mail ja explizit getan hatte.

In der Laufwelt herrschte am Mittwoch zumindest große Einigkeit bei vielen, die nicht aus dem Neiderland Deutschland kommen, von Emma Coburn über Nick Willis bis hin zur Amerikanerin Jenny Simpson: "Jeder, der die Leichtathletik kennt weiß, dass über dieser Gruppe seit Langem eine dunkle Wolke hängt", sagte die 1500-Meter-Weltmeisterin von 2011. "Ich weiß nicht, wie man sich dieser Gruppe anschließen kann. Jeder, der jetzt schockiert ist, hat keine Ahnung von unserem Sport."

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