Süddeutsche Zeitung

Neue Saison der Premier League:Klopp stichelt vor dem Start in England

Liverpools Coach wundert sich über den Kaufrausch bei Chelsea und sieht sein Team gerüstet für die Titelverteidigung - aber brauchen die "Reds" nicht noch Verstärkung?

Von Jonas Beckenkamp

Wer sich gefragt hat, was eigentlich Jürgen Klopp vor dem Start der Premier League an diesem Wochenende so umtreibt, der musste dieser Tage nur etwas Fernsehen gucken. Die alte Tante BBC hatte den Liverpooler Meistertrainer zum großen Auftakt-Gespräch geladen und natürlich ist Klopp keiner, der an solcher Stelle interessante Antworten schuldig bleibt. Er ist im Sommer 53 geworden, aber was bedeutet das schon - nach dem Titelgewinn in der vergangenen Saison, der ersten Meisterschaft der "Reds" seit sagenhaften 30 Jahren, gilt er auf der Insel ohnehin als unsterblich.

Also erzählte Klopp offen wie immer, wie er die Dinge sieht. Und er hatte ein paar klare Ansagen parat. Etwa zu den Rivalen FC Chelsea und den Manchester-Klubs und deren luxuriösen Shoppingtouren in diesem Sommer. Vor allem das Abramowitsch-alimentierte Chelsea hat bekanntlich auf vermeintliche Corona-Demut gepfiffen und seine ganze Wirtschaftskraft eingesetzt, um es endlich wieder ernsthaft mit Liverpool und ManCity aufzunehmen. Aber ob die "Big Spender" damit Erfolg haben? Klopp äußerte Zweifel.

"Die einen kaufen Spieler, die anderen arbeiten gemeinsam daran, sich zu verbessern", sagte der Teammanager des Titelverteidigers, der in seiner Liverpool-Zeit aber durchaus auch schon mal etwas Geld ausgeben durfte. Erinnert sei an die geschätzten 85 Millionen Euro für Verteidiger Virgil van Dijk oder jene fast 63 Millionen für Torhüter Alisson. Aber zur neuen Saison, und das ist der große Unterschied zur Konkurrenz, herrscht bei Klopps Klub eben eher Sparsamkeit.

Zum Vergleich: Liverpools bislang einziger Zukauf ist der griechische Linksverteidiger Kostas Tsimikas, 24, der für schnuckelige 13 Millionen Euro von Olympiakos Piräus kommt. "Schnäppchen" wäre noch eine untertriebene Beschreibung für diesen großen Unbekannten. Chelsea dagegen hat im Zuge eines wahren Kaufrausches unter anderem Kai Havertz (aus Leverkusen), Timo Werner (Leipzig), Ben Chilwell (Leicester) und Hakim Ziyech (Ajax) für etwa 220 Millionen verpflichtet, dazu kam ablösefrei Thiago Silva von Paris Saint-Germain.

Klopp hätte gerne Timo Werner in Liverpool gehabt

ManUnited gönnte sich immerhin Donny van de Beek (Ajax) und wirkt auch aufgrund des drohenden Abschieds von Paul Pogba fest entschlossen, weiter am Kader zu schrauben. Und auch ManCity ist nach den Transfers von Nathan Aké (Bournemouth) und Ferran Torres (Valencia) lange nicht fertig: Für Neapels Wuchtbrumme Kalidou Koulibaly sind um die 80 Millionen Euro im Gespräch.

Zumindest Timo Werner hätte Klopp für seine Flitzer-Offensive wohl auch gerne gehabt, doch der deutsche Nationalstürmer wurde zu teuer für Liverpool. Und auch der Wechsel von Klopps dritter Wunschoption Jamal Lewis (Norwich City) ließ sich nicht realisieren. Freilich kursiert noch immer der Name Thiago durchs Gefilde an der Mersey, doch auch bei ihm ist Liverpool keineswegs am Transferziel. Für den Bayern-Taktgeber interessiert sich offenbar auch United erheblich, während eine Barcelona-Rückkehr unwahrscheinlich erscheint. Thiagos Äußerungen zuletzt lassen indes auch den Schluss zu, dass er einfach in München bleiben könnte.

Klopp vertraut derweil auf den Stamm seiner Meisterelf. Warum auch nicht, nachdem mit diesem der Titel samt 18-Punkte-Vorsprung heraussprang. "Wir verteidigen keine Titel, wir wollen neue holen", erklärte er, "wir haben gerade erst angefangen mit dem Gewinnen." Und dieser neue Anfang nimmt nun mit dem Heimspiel gegen Aufsteiger Leeds United um deren Deutschland-Import Robin Koch am Samstag (18.30 Uhr im SZ-Liveticker) seinen Lauf.

Klopp sieht sein Team "mittendrin" in der Entwicklung, ein Ende des Zyklus um Sadio Mané, van Dijk oder Mo Salah - alle schon jenseits der 28 - sieht er im Gegensatz zu einigen Experten nicht. TV-Vorredner Gary Neville zum Beispiel vermisst etwas "frisches Blut". Er fände es eine "übermenschliche Leistung", sollte der Titel erneut nach Liverpool gehen.

Klopp weiß, dass es sicher nicht noch einmal so einfach wird, die Premier League zu gewinnen. Dass ManCity nicht noch einmal so weit zurückfallen wird. Dass Corona einiges durcheinander wirbelte. Dass selbst er als Englands Trainer des Jahres nicht unfehlbar ist. Und ein wenig scheint ihn das Aufrüsten der Konkurrenten durchaus herauszufordern. "Wir leben in einer Welt voller Unsicherheiten", philosophierte er, um dann zu sticheln: "Für einige Klubs scheint es weniger wichtig zu sein, wie unsicher die Zukunft ist. Ihre Besitzer sind Länder und Oligarchen, das ist die Wahrheit! Wir sind eine andere Art Klub."

Liverpool tickt anders, hob Klopp hervor, sein Klub könne es nicht "über Nacht wie Chelsea machen" und "einen Haufen Spieler" hinzukaufen. Und überhaupt stehe die Nachhaltigkeit solcher Investitionen wie sie Chelsea tätigt, noch auf dem Prüfstand. "Du kannst nicht die besten elf Spieler der Welt holen und hoffen, dass sie eine Woche später den besten Fußball spielen", bohrte Klopp Richtung West-London. Mit einigem Recht sieht er es als Pluspunkt an, dass sein Liverpool langsamer gewachsen ist, dass man nun "schon lange zusammenarbeite".

Ob Klopps Spitzen von Nervosität zeugen oder ob er einfach seinem Naturell entsprechend Stärke demonstrieren wollte, wird sich bald zeigen. Das Auftaktprogramm Liverpools wird eher ungemütlich, denn schon nach dem Start gegen Leeds geht es zum FC Chelsea und zu Arsenal. "Alle Leute sagen mir: 'Jetzt wird es noch schwieriger. Jeder will euch schlagen.' Aber das war doch die letzten Jahre auch so", versuchte Klopp die Sache aufzulockern. Neben seinen vielen Qualitäten als Motivator und Taktiker ist er auch Realist.

"Wir träumen nicht. Es wird darum gehen, wie sehr wir es wollen", erklärte er. Eine Klopp-Elf, die vom Erfolg gesättigt ist? Schwer vorstellbar, es sei denn, man stellt sich jene Dortmunder Elf vor, die mit Klopp 2015 zwischenzeitlich Tabellenletzter war. Aber das ist lange her.

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