Champions-League-Finale:Klopp: Wir feiern die Niederlage!

Liverpool unterliegt Real Madrid denkbar knapp, doch Trainer Jürgen Klopp will sich von der Enttäuschung nicht herunterziehen lassen. Er tröstet seine Spieler, freut sich auf die Parade daheim - und spricht vom nächsten Finale.

Von Sven Haist, Paris

Finalniederlagen sind, so hart sich das anhört, nichts Neues für Jürgen Klopp. Bevor er als Trainer des FC Liverpool in dieser Saison seine Titelsammlung mit allen relevanten Pokalen in England vervollständigte, musste Klopp sechs verlorene Endspiele in Serie wegstecken, zwischen 2013 und 2018. Darunter jenes dramatische Champions-League-Finale 2018 mit Liverpool gegen: Real Madrid.

Trotzdem ließ sich Klopp damals von der Enttäuschung nicht herunterziehen. Nach der Rückreise spülte er daheim mit seinem Bekanntenkreis die Missgeschicke weg. Im Morgengrauen erteilte Klopp ausdrücklich die Zustimmung zur Veröffentlichung eines süffisanten Musikvideos, das er kurz zuvor mit seiner Clique um Campino, den Frontmann der Toten Hosen, aufgenommen hatte. Darauf ist zu hören, wie er in einem Sprechgesang ankündigte, den Henkelpokal einfach "im nächsten Jahr" nach Liverpool zu holen, nachdem er ihn zumindest schon "gesehen" habe, die Madrilenen aber "das verdammte Glück" auf ihrer Seite hatten. Ein Jahr später hatten Klopp und Liverpool dann tatsächlich ihren verflixten Pokal.

Die Episode steht sinnbildlich dafür, wie Klopp bittere Niederlagen abhandelt: Er zeigt sich in der Wortwahl zwar meist sehr frustriert, schafft es jedoch immerzu, sich und seine Mannschaft aufzurichten. Und so gab Klopp auch nach Liverpools neuerlicher Pleite gegen Real am Samstagabend Spielern, Mitarbeitern und Fans einen klaren Befehl aus: Wir feiern die Niederlage!

Obschon es eventuell "niemand auf dem Planeten" verstehen werde, kündigte er an, dass man die Parade durch Liverpool am Sonntag auf alle Fälle durchziehen werde, um eine "außergewöhnliche Saison" zu würdigen. Mit dem offenen Bus sollte es über 13,5 Kilometer durch die Hafenstadt gehen, bis zu den Docks am River Mersey. Gründe zum Feiern gab es ja immer noch: Am Vorwochenende besaß der Klub nach den Triumphen im League Cup und FA Cup sogar die Chance auf ein in England nie dagewesenes Titel-Quadrupel.

Allerdings holte Dauerrivale ManCity am letzten Spieltag mit einem Punkt mehr die Meisterschaft - und nun Real per abgebrühtem 1:0 den Henkelpokal. Beides sah Klopp als den "denkbar kleinsten Unterschied" an, weshalb er den Spielern uneingeschränkt "seinen Stolz" übermittelte. Allerdings ahnte er schon, dass diese länger benötigen dürften, um die Enttäuschung abzuschütteln. Die meisten Profis suchten nach der Siegerehrung sofort den Stadionausgang auf, fast keiner der Stammspieler wählte den Weg durch die Interviewzone, Kapitän Jordan Henderson, Andrew Robertson und Ibrahima Konaté ausgenommen.

Champions-League-Finale: Hat dieser Albtraum denn gar kein Ende? Während Reals Spieler die nächste Glanztat ihres Torwarts feiern, ist Mo Salah der Verzweiflung nah.

Hat dieser Albtraum denn gar kein Ende? Während Reals Spieler die nächste Glanztat ihres Torwarts feiern, ist Mo Salah der Verzweiflung nah.

(Foto: Paul Ellis/AFP)

Immerhin muss sich Liverpool in der Nachbetrachtung kaum einen Vorwurf machen - bis auf die Kleinigkeit, dass sie wieder kein Tor erschaffen hatten, wie zuletzt in den nationalen Pokalwettbewerben. Beide Trophäen gewannen die Reds erst im Elfmeterschießen, nach torlosen Unentschieden. Daraus ergibt sich nun die kuriose, aber durchaus aussagekräftige Statistik, dass Liverpool in 330 Finalminuten 61 Torschüsse abgegeben hat, davon 17 aufs Tor - nur den Weg ins Netz fand keiner. Allein im Schlagabtausch mit Real kam Klopps Elf zu fünf hochkarätigen Chancen.

Bei vier Anläufen scheiterte Mohamed Salah jeweils am herausragenden Real-Torwart Thibaut Courtois, in der Schlussphase einmal freistehend. Angriffspartner Sadio Mané traf den Pfosten, nachdem Courtois dessen Schuss mit den Fingerspitzen abgelenkt hatte. Wenn in Courtois ein Schlussmann die Auszeichnung als "Man of the Match" erhalte, sei das für einen Gegner "immer eine Scheiß-Nachricht", bilanzierte Klopp. Der belgische Nationaltorhüter habe aus seiner Sicht drei "Weltklasse-Paraden" aufgeführt, das habe das Spiel auf Reals Seite kippen lassen.

In Champions-League-Endspielen entscheidet fast immer das erste Tor

Wegen des Rückstands ließ Klopp nichts unversucht, nach den Einwechslungen von Diogo Jota und Roberto Firmino stand Liverpool am Ende mit vier Stürmern auf dem Platz. Das war verständlich, wenn auch nicht allzu vielversprechend: Hinter den ansonsten verlässlichen Angreifern Salah (acht Tore), Mané (fünf), Firmino (fünf) sowie dem im Winter verpflichteten Luis Díaz (zwei) traf in dieser Champions-League-Saison nur noch der kopfballstarke Innenverteidiger Konaté doppelt.

Liverpools teils fehlende Torgefahr aus dem Mittelfeld scheint in der Spielstruktur eingeschweißt zu sein, steigert in Endspielen aber offenbar noch einmal den Druck für die Angriffsspieler. Denn: Alle drei Königsklassen-Finals endeten zuletzt mit demselben Ergebnis (1:0). In der regulären Spielzeit konnte in der Champions League lediglich Manchester United einen Rückstand noch in einen Sieg verwandeln - durch die famosen Last-Minute-Treffer 1999 gegen den FC Bayern (2:1).

Klopp schaut schon aufs nächste Jahr

Im Vergleich zu Liverpools Finalniederlage gegen Real vor vier Jahren, als den meisten Profis sofort Tränen in die Augen schossen, reagierten die Spieler nun weitgehend mit Fassung. Einerseits, weil das gewonnene 2019er-Endspiel schmerzstillend nachwirkt, andererseits, weil die Mannschaft weitgehend zusammenbleiben wird. Die Schlüsselspieler in Defensive und Mittelfeld besitzen Verträge mit mehrjähriger Laufzeit - anders als im Sturm. In diesem Mannschaftsteil treibt die Fans gerade die Frage um: Was passiert aus dem goldenen Dreizack um Salah, Mané und Firmino? Ihre Anstellungsverhältnisse laufen allesamt im Juni 2023 aus. Während Salah im Poker um eine Vertragsverlängerung zumindest ankündigt hat, seinen Kontrakt zu erfüllen, steht bei Mané eine Entscheidung aus.

Das konnte Klopps notorischem Optimismus am Samstag aber auch nichts anhaben. Er könne sich vorstellen, dass sein Team bald wieder ein Finale dieser Kategorie erreichen werde, sagte er. Die Spieler seien "wettbewerbshart" und hätten "eine unglaubliche Einstellung". Und so fasste Klopp noch in der Stunde der Ernüchterung wieder die Kraft, dem Anhang zuzurufen, schon mal "die Hotels" für Istanbul zu buchen - dem Schauplatz des Königsklassen-Finales im nächsten Jahr.

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