Liverpool-Trainer Jürgen Klopp:Ein rundum glücklicher Mann

Jürgen Klopp führt sein beeindruckendes Gesamtwerk fort: Zum dritten Mal erreicht er mit Liverpool ein Champions-League-Finale. In Villarreal durchleidet er beim spektakulären 3:2 aber auch eine Halbzeit mit nicht einer guten Szene seiner Elf.

Von Javier Cáceres, Villarreal

Jürgen Klopp, 54, hatte schon den Hinweis erhalten, dass er zur Interview-Tour anzutreten hatte. Doch den Gruß an die rund 2000 Anhänger des FC Liverpool, die seine Mannschaft bis nach Villarreal begleitet hatten, wollte er sich nicht nehmen lassen. Klopp ging in ihre Richtung, blickte zu ihnen hinauf, und was man aus der Ferne sah, waren strahlend weiße, von einem markanten Vollbart umrahmte Zähne. Klopp ballte die rechte Faust und ließ sie nach oben schnellen - ein-, zwei-, drei-, viermal. Dann klopfte er sich auf die Brust, dort, wo das Herz liegt, nahm beide Hände vor den Mund und ließ einen Kuss durch die Nacht fliegen. Und man sah das nicht nur, man spürte es: Dort auf dem nahezu verlassenen Rasen, in Nähe des Strafraums, stand ein rundum glücklicher Mann.

Mit 3:2 hatten Klopps "Reds" beim FC Villarreal gewonnen, und das heißt in der Addition mit dem 2:0-Hinspielerfolg: Der sechsmalige Landesmeisterpokal- und Champions-League-Sieger Liverpool hat zum zehnten Mal in seiner Geschichte das Endspiel um die wichtigste Trophäe des europäischen Vereinsfußballs erreicht. Klopp selbst kann mit einigem Stolz auf ein beeindruckendes Gesamtwerk blicken: Er wird nach 2013 (mit Borussia Dortmund), 2018 und 2019 das vierte Königsklassenfinale seiner längst sagenhaften Trainerkarriere bestreiten. Ein einziger Mann, Liverpools Klublegende Bob Paisley, hatte es vor Klopp geschafft, Liverpool dreimal ins Königsklassenfinale zu führen - wobei Paisley den Pokal auch noch 1977, 1978 und 1981 gewann; Klopp siegte bislang "nur" 2019.

Klopp kann überdies noch hoffen, in dieser Saison vier Titel zu gewinnen. Seine Mannschaft hat den Ligapokal schon erobert; sie ist in der Liga aussichtsreich im Rennen, steht im FA-Cup-Finale dem FC Chelsea gegenüber und hat nun also das Champions-League-Endspiel erreicht. "Enorm", sagte Klopp. Er habe seinen Spielern vorab gesagt, nach dem Spiel die Schlagzeile lesen zu wollen: "Die Mentalitätsmonster waren in der Stadt!" Für die zweite Halbzeit wollte er das später unterschreiben, für die erste Halbzeit nicht. Sprach's und fragte sich im Scherz, ob man die auf Spanisch wohl "mentalitare monstrosos" nennt. Was definitiv nicht der Fall ist. Aber wen scherte das schon an diesem Abend, an dem Klopp en passant eine beeindruckende Serie verlängerte: Die vergangenen drei Champions-League-Titel wurden von deutschen Trainern errungen: 2019 siegte Klopp selbst in Madrid; 2020 beerbte ihn Hansi Flick mit dem FC Bayern in Lissabon - und im vergangenen Sommer führte Thomas Tuchel den FC Chelsea in Porto zur größten denkbaren Weihe des Klubfußballs.

Liverpool bekam nach der Pause die von Klopp diagnostizierten "fußballerischen Probleme mit fußballerischen Lösungen" in den Griff

Der Finaleinzug Liverpools entsprach zwar der Logik, die sich aus der Geschichte Liverpools, dem weit höheren Etat und der Leistung im heimischen Stadion ergab. Doch dahinter verbarg das Ergebnis ein Stück Arbeit, das sich Klopps Team augenscheinlich einfacher vorgestellt hatte.

An einem regenreichen Tag, an dem man sich kaum hätte wundern können, wenn man auf dem Weg zum Estadio de La Cerámica einem Noah beim Bau einer Arche begegnet wäre - es war sozusagen den Reds ihr Wetter -, missriet ihnen der Start in ungeahnter Weise. Nach nicht einmal drei Minuten hatte Villarreal die Führung erzielt - durch Boulaye Dia, der in dieser Saison bloß die Rolle eines Komparsen eingenommen hatte. Und: Es wäre nicht abwegig gewesen, wenn Schiedsrichter Danny Makkelie in der 37. Minute einen Elfmeter gegeben hätte, als Giovani Lo Celso und Torwart Alisson Becker im Strafraum Liverpools kollidierten. Alisson hatte Lo Celso regelrecht überrollt; der Unparteiische befand, Alisson habe zunächst den Ball gespielt. Wenige Minuten nach der überaus umstrittenen Aktion fiel dann doch die 2:0-Führung für Villarreal, durch Francis Coquelin (41.).

Liverpool-Trainer Jürgen Klopp: War Liverpool-Torhüter Alisson Becker da wirklich als Erster am Ball?

War Liverpool-Torhüter Alisson Becker da wirklich als Erster am Ball?

(Foto: Nicola Mastronardi/ZUMA Press/Imago)

Liverpool wirkte verstört genug, um ein drittes Tor Villarreals für plausibel zu halten. Nur: Liverpool entzog sich dem Schicksal, das der FC Bayern im Viertelfinale erlitten hatte. Durch die von Klopp besungene Mentalität. Vor allem aber, weil die Mannschaft ihre "fußballerischen Probleme" aus der ersten Halbzeit "mit fußballerischen Lösungen" in den Griff bekam, wie Klopp diagnostizierte. Nebenbei hatten sie, aber das nur am Rande, das unverschämte Glück, dass sich der anfangs famos aufspielende Villarreal-Stürmer Gerard Moreno schon Mitte der ersten Halbzeit eine Muskelverletzung zugezogen hatte. "Das war für uns emotional nicht zu verdauen", sagte Villarreals Coach Unai Emery.

"Wir hatten in der ersten Halbzeit nicht ein Problem, wir hatten elf Probleme", sagte Klopp

"Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, was ich genau in der Halbzeitpause gesagt habe", erklärte Klopp, wohl aber, dass sein Austausch mit den Spielern darum kreiste, dass man besser spielen müsse als in den ersten 45 Minuten. Klopp hatte seinen Analysten vor der Pause den Auftrag gegeben, eine Szene herauszusuchen, in der sich Liverpool gut verhalten habe, um sie den Spielern in der Halbzeit am Bildschirm zu zeigen. "Aber Peter Krawietz (Assistenztrainer; Anm. d. Red.) sagte: Er habe keine gefunden."

Liverpool-Trainer Jürgen Klopp: Zwei Fehler und ein ungestümer Ausflug: Gerónimo Rulli (li.) kommt zu spät gegen Liverpools Sadio Mané.

Zwei Fehler und ein ungestümer Ausflug: Gerónimo Rulli (li.) kommt zu spät gegen Liverpools Sadio Mané.

(Foto: Eric Alonso/Getty Images)

Den Grund dafür sah Klopp im frühen Rückstand, der die Gedanken seines Teams und auch seine Bewegungen gelähmt habe. "Wir hatten keinen richtigen Aufbau, wir haben nicht die richtigen Räume bespielt, haben plötzlich angefangen, lange Bälle zu spielen, um es zu erzwingen, waren zu statisch ...", klagte Klopp. Er durchbrach diese Dynamik durch die Hereinnahme von Luis Díaz für Diogo Jota. Nicht, dass der Portugiese der Grund allen Übels bei Liverpool gewesen wäre, betonte Klopp: "Wir hatten in der ersten Halbzeit nicht ein Problem, wir hatten elf Probleme." Aber es war augenscheinlich, dass Díaz mehr Agilität und Flexibilität ins Liverpooler Spiel brachte - was wiederum Rückstrahleffekte auf das ganze Mittelfeld hatte. Sogar auf Fabinho, der bis dahin nicht nur neben Thiago, sondern vor allem neben sich selbst stand. Und: Es spielte Liverpool in die Karten, dass sich Villarreals Torwart Gerónimo Rulli Aussetzer von dramatischen Dimensionen leistete.

Beim ersten Treffer durch Fabinho (62.) ließ er einen vergleichsweise harmlosen Schuss durch die Beine laufen. Doch was niemand ahnte: dass das nur die Ouvertüre für weitere Fehlleistungen des argentinischen Schlussmanns und letztlich den emotionalen Kollaps der Gastgeber sein würde. Beim zwischenzeitlichen Ausgleich durch Luis Díaz ließ Rulli den Ball wieder durch die Beine; beim 2:3-Endstand lief er weitgehend ohne Sinn und Verstand aus dem Strafraum, wurde dann aber von Sadio Mané umkurvt, sodass der Senegalese den Ball nur noch ins leere Tor bugsieren musste. Der Rest der Partie hatte durch Liverpools dritten Treffer bloß noch protokollarischen Charakter. Was blieb, war noch ein Platzverweis für Étienne Capoue. Und der Stolz Villarreals. "Wir haben gezeigt, dass wir nicht auf Einladung dabei waren", sagte Trainer Emery. "Doch es tut weh." Klopp hingegen darf sich auf das Finale von Paris freuen, es wird zudem das 62. von 62 möglichen Spielen für Liverpool in dieser Saison sein. Viel mehr geht nicht.

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