Süddeutsche Zeitung

Klinsmann-Interview vom 16.7.2004:"Man muss den ganzen Laden auseinander nehmen"

Bei der Bundestrainersuche des DFB fiel auch sein Name, zuletzt ist er als Manager der Nationalmannschaft ins Gespräch gebracht worden. Jürgen Klinsmann über die Nationalelf, die nötige Reform des deutsches Fußballs und seinen Trainerschein. Das Interview ist am 16.7. in der SZ erschienen.

Jürgen Klinsmann, 39, hat 108 Mal für die deutsche Nationalmannschaft gespielt und erzielte 47 Tore. Er wurde Weltmeister 1990 und Europameister 1996. 1998 beendete er seine Karriere als Fußballer und ist seit 1999 Botschafter für die WM 2006 in Deutschland. Klinsmann lebt mit seiner Familie in den USA. Dort arbeitet er unter anderem als Berater des Fußballklubs Los Angeles Galaxy.

SZ: Herr Klinsmann, haben Sie schon mit dem DFB gesprochen?

Klinsmann: Nein. Ich habe Franz Beckenbauer in Portugal beim Endspiel getroffen, das war's aber auch schon.

SZ: Sie haben einen Manager der Nationalelf gefordert.

Klinsmann: Das ist alles eine Wiederholung von alten Dingen, an denen man schon seit sechs bis acht Jahren herumüberlegt. Eine solche Position ist überfällig. Aber das wäre auch nur der erste Schritt. Man muss eine gesamte Umstrukturierung in Gang bringen. Es ist mehr als selbstverständlich, dass die Nationalmannschaft einen Manager haben muss. Der Fußball hat sich zu Wirtschaftsunternehmen entwickelt, auch die Nationalmannschaft, und es gehört natürlich zu einem Unternehmen, dass es professionell geführt wird.

SZ: Was wären die Aufgaben eines solchen Managers?

Klinsmann: Er ist ein Bindeglied zwischen Trainer, Mannschaft, Medien und Sponsoren. Er muss Einfluss haben in diesen Bereichen und natürlich auch eine Ausstrahlung. Ich fand Karl-Heinz Rummenigges Vorschlag sehr gut, dass Oliver Bierhoff das machen könnte. Es muss eine junge Person sein, die die Bindung hat zu der jungen Generation von Spielern.

Ein Manager muss auf deren Niveau kommunizieren können, das heißt etwa, Emails austauschen, er muss auf deren Wellenlänge sein. Dazu muss er mit Medien und Sponsoren umgehen können. Und der Trainer muss das Gefühl haben, er kann bei diesem Mann mal was abladen. Zuletzt war es leider so, dass Rudi Völler nirgends etwas abladen konnte.

SZ: Wenn sie diese Person beschreiben, dann beschreiben sie sich selbst. Sie würden das Profil genau erfüllen.

Klinsmann: Ach nein, ich kann das ja nicht von Kalifornien aus erfüllen. Es gibt einige dieser jüngeren Generation, das kann Oliver Bierhoff sein, oder auch Andy Köpke. Aber noch einmal: Das ist nur ein Teilschritt. Es ist nicht damit getan, einen Manager zu finden und irgendwann auch einen Trainer einzustellen.

SZ: Was muss noch geschehen?

Klinsmann: Man muss ein Team aufbauen mit Fachleuten für jeden Bereich. Aber bevor man das macht, muss man eine Bestandsaufnahme vornehmen. Also fragen: Wer arbeitet mit den Jüngsten, wer mit den Mittleren, das muss man bis rauf zur U23 ansehen. Wer arbeitet bei uns im Management, mit den Medien, in der Sportpsychologie, und so weiter. Im Prinzip muss man den ganzen Laden auseinander nehmen.

SZ: Wer soll das machen?

Klinsmann: Es sollte einen Workshop geben. Drei, vier Leute vom Verband, vom WM-OK muss einer hin, drei, vier Top-Trainer aus der Bundesliga und drei, vier Top-Manager der Bundesliga. Und die müssen es mal richtig krachen lassen. Im Moment ist es so, dass jeder um den heißen Brei redet, und jeder denkt, wenn wir jetzt schnell einen neuen Nationaltrainer präsentieren, dann ist der Druck wieder weg. Dann haben wir uns wieder rausgemogelt.

SZ: So wird es wohl kommen.

Klinsmann: Ja, so scheint es. Wenn allen die Nationalmannschaft am Herzen liegt, warum kommt man dann nicht mal zusammen und redet Tacheles? Man muss analysieren und dann einen Plan vorlegen. Und auch die Medien müssen eingebunden werden, das kann helfen, Begeisterung zu erzeugen.

SZ: Aufgabe der Medien ist es, eine kritische Distanz zu wahren.

Klinsmann: Ja natürlich, verstehen Sie mich nicht falsch. Ich meine, dass man einen offenen Umgang miteinander pflegt. Wenn man für einen Spieler einen Zweijahresplan entwirft, dann kann man auch vorhersagen, dass er irgendwann in der Entwicklung ein Tief erreicht. Dann muss man offen mit den Medien umgehen und sagen: Der Junge wird mal einbrechen, weil er im Moment an manchen Dingen mehr arbeitet.

Wenn man zum Beispiel jetzt zwei Mal die Woche Schnellkraft trainiert, dann kommt nach zwei Monaten ein Tief. Aber aus einen Spieler, der 12,5 Sekunden auf 100 m läuft, mache ich einen, der 11,8 läuft. Thierry Henry läuft nicht umsonst 11,0. Der hat das trainiert, dem ist das nicht angeboren. Auch mir war das nicht angeboren, ich habe mir die Schnelligkeit zusätzlich erarbeitet. Die gesamte Trainingslehre des Deutschen Fußball-Bundes muss dringend reformiert werden.

SZ: Was sie da vorschlagen, ist eine grundlegende Änderung des Systems.

Klinsmann: Die Nationalmannschaft ist ja nur das Aushängeschild. Man muss alles darunter bis in die Jugend durchleuchten. Uli Hoeneß hat mal den FC Bayern von einer Unternehmensberatung ansehen lassen, um herauszufinden, was man besser machen kann. So muss es jetzt beim DFB auch sein. Man schaut, wo es nicht passt, und dann muss man Leute suchen, die das ändern können. Diese Leute gibt es.

SZ: Das würde das Anforderungsprofil für einen Bundestrainer verändern.

Klinsmann: Bevor man ein Anforderungsprofil für den Trainer entwirft, muss man erstmal ein Anforderungsprofil für die Leute haben, die den Verband betreiben. Ich fand das gut, was Karl-Heinz Rummenigge vorgeschlagen hat, nämlich eine Altersbegrenzung im DFB. Dazu muss man sich fragen, was man rund um den Bundestrainer aufbaut, was für ein Team, wer dazugehört. Ein Psychologe zum Beispiel gehört dazu, die Spieler kommen in Stresssituationen, auf die sie niemals vorbereitet worden sind. Ich habe das Gefühl, die Maschinerie steht in Deutschland seit 20 Jahren.

SZ: Solche Funktionsteams, wie Sie sie beschreiben, haben in Deutschland keinen guten Ruf. Berti Vogts hat das mal in Leverkusen versucht, und er ist nicht nur verspottet worden, er ist auch gescheitert.

Klinsmann: Das Team, das Berti hatte, hat nicht ineinander gegriffen. Aber wenn man ein Team hat, das richtig greift, das auf der gleichen Wellenlänge liegt, dann gibt es nichts Besseres. So etwa praktiziert man in der NBA seit Jahren. Da übergibt Phil Jackson, der Trainer der LA Lakers, an seinen Taktiktrainer oder an seinen Mentaltrainer, aber er, mit seiner Ausstrahlung, seiner Persönlichkeit - er führt das Ganze.

SZ: Was Sie sagen, klingt so grundlegend, dass man sich fragen muss, ob zwei Jahre überhaupt reichen.

Klinsmann: Zwei Jahre sind nur der Anfang. Aber man muss ja irgendwann mal loslegen. Das muss langfristig geplant werden, da muss mindestens ein Zehnjahresplan entwickelt werden.

SZ: Eine Revolution.

Klinsmann: Das ist ja nichts Neues. Das hat Aimé Jacquet vor zehn Jahren in Frankreich gemacht. Das war auch praktisch eine Revolution. Das heißt nicht, dass andere Länder immer besser sind, aber man muss sich die Informationen holen. Dann rufe ich Aimé Jacquet an und frage: ,Aimé, hast Du mal eine Woche Zeit?' Dann geht man das mal durch und kann sich immer noch rauspicken, was für den deutschen Fußball am besten ist und was überhaupt umsetzbar ist.

SZ: Sie kennen die handelnden Personen im DFB, das sind seit langem dieselben. Sind sie nicht skeptisch, dass eine solche Umstrukturierung gelingen kann?

Klinsmann: Die Frage ist, inwieweit die Herren - in diesem Fall also Herr Mayer-Vorfelder und Herr Zwanziger - inwieweit diese Herren offen sind. Oder ob sie nur eine schnelle Lösung suchen, damit sie bis 2006 einigermaßen aus dem Schneider sind.

SZ: Wie sehen Sie die sportliche Perspektive der Mannschaft. Glauben Sie, es gibt genügend Potential, um bei der WM 2006 bestehen zu können?

Klinsmann: Ja, das glaube ich schon. Die Mannschaft kann wachsen. Natürlich haben wir Mängel, besonders, was den Angriff betrifft, aber ich bin sicher, dass die Mannschaft viel mehr kann. Sie kann sich entwickeln.

SZ: Ist es definitiv ausgeschlossen, dass Sie an dieser Entwicklung teilhaben werden?

Klinsmann: Im Moment schon. Es ist so, dass ich zurzeit drei Jobs gleichzeitig mache, und ich wüsste gar nicht, wie ich da rauskäme.

SZ: Wenn man beim DFB sagte: ,Kommen Sie doch eine Woche vorbei und helfen uns.' Wenn man Sie also bäte, vielleicht mit anderen Ihrer Generation, Ideen für einen Umbau zu entwickeln - wäre das für Sie denkbar?

Klinsmann: Ja, natürlich. Wenn es etwa zu einem Workshop kommen sollte, dann würde ich mehr als gerne helfen. Gar keine Frage.

SZ: Sie haben einen Trainerschein, nicht wahr?

Klinsmann: Den hab' ich, ja.

SZ: Wird man Sie irgendwann als Trainer sehen?

Klinsmann: Ich sage es mal so: Es ist gut zu wissen, dass ich den Schein in der Tasche habe.

Interview: Christian Zaschke

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Süddeutsche Zeitung vom 16.7.2004
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