Süddeutsche Zeitung

Rücktritt bei Hertha BSC:Klinsmanns Verhalten ist nicht hilfreich und nicht anständig

In seiner Doppelrolle bei Hertha BSC hat Klinsmann ausgiebig Gebrauch von seiner Amtsgewalt gemacht - und dabei niemanden geschont. Die nächsten Tage dürften spannend werden.

Kommentar von Philipp Selldorf

Während eines Fernsehauftritts vor rund drei Jahren versuchte Michael Preetz zum wiederholten Mal, eine Vision für Hertha BSC zu formulieren. Der Manager hob hervor, dass Berlin nicht nur eine "pulsierende Metropole", sondern die "wahrscheinlich spannendste Stadt Deutschlands" sei und äußerte dann den Vorsatz, "eine Haltung in diese Stadt und diesen Klub zu implementieren, die ganz, ganz viel damit zu tun hat, wie diese Stadt ist".

Eine Haltung implementieren - falls jemand sich gefragt haben sollte, warum es der Hertha einfach nicht gelingen will, interessant und charismatisch und so spannend zu werden wie ihre Heimatstadt, dann hat die mühevolle Aussage des Klubfunktionärs klare Hinweise gegeben.

Seit vielen Jahren leidet Hertha BSC daran, von der Ausstrahlung und Anziehungskraft der Stadt nichts abzubekommen, und aus dem Leiden ist längst ein Komplex entstanden. Insofern könnte man meinen, dass Jürgen Klinsmann dem Verein einen Gefallen getan habe, als er am Dienstag mit aller ihm eigenen Herzlichkeit ("HaHoHe - Euer Jürgen") seinen Rücktritt erklärte: Endlich ist Hertha das große Gesprächsthema im Fußballdiskurs. Und spannend ist die Hertha auch, zumindest vorübergehend, denn kein Mensch weiß, wie es weitergehen soll mit der aufgetakelten alten Dame.

Das Vertrauen zu Preetz & Co dürfte irreparabel beschädigt sein

In Wahrheit ist natürlich niemand dem Trainer dankbar, dass er quasi über Nacht sein sogenanntes Projekt hat fallen lassen, denn darüber braucht man ja kaum zu diskutieren: Sein Verhalten ist nicht hilfreich und nicht anständig. Seit dem Einstieg vor zehn Wochen hat Klinsmann in seiner Doppelrolle als Cheftrainer und als Bevollmächtigter des Investors Lars Windhorst ausgiebig Gebrauch von seiner Amtsgewalt gemacht und dabei niemanden geschont: nicht die Spieler, die er unter Beigabe seines schönsten Lächelns, aber nach undurchsichtigen und häufig fragwürdigen Kriterien auf die Ersatzbank, die Tribüne oder den Transfermarkt verschob, und schon gar nicht die Zuschauer, die er mit Beton- und Zweckfußball quälte.

Andererseits ist er damit sowohl auftrags- als auch erwartungsgemäß vorgegangen. Das Projektziel Klassenverbleib hat er sich gewohnt erbarmungslos zu eigen gemacht. Klinsmann übernimmt ganz oder gar nicht - das ist eine Art Lebensmotto für den dynamischen Schwaben. Unter dieser Bedingung hat er im Jahr 2004 das Mandat für die Nationalmannschaft akzeptiert - mancher Mitarbeiter, der sich für verdient hielt, bekam es zu spüren, als er plötzlich vor der Tür saß. Der Konflikt mit Manager Preetz und anderen bewährten Wortführern im Hause Hertha BSC war demnach absehbar. Klinsmanns autoritärem, reformerischem Anspruch standen von Anfang an die Beharrungskräfte entgegen, die den Verein so lange schon beherrschen. Hertha hat zwar mit dem Einstieg des Investors Windhorst neue Zeiten ausgerufen, doch im Grunde möchte man weitermachen wie bisher, nur mit viel mehr Geld.

Die Frage ist, wie der Geldgeber die neue Lage bewertet. Klinsmann sollte ihm helfen, die für ihn fremde Sphäre des Profifußballs zu verstehen, aber dass der Verbündete aus der Mitte des Vereins diese Mission fortsetzt, das ist schwer vorstellbar - das Vertrauen zu Preetz & Co. dürfte irreparabel beschädigt sein. Es könnte demnächst tatsächlich mal spannend zugehen bei Hertha BSC.

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SZ vom 12.02.2020/ebc
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