Süddeutsche Zeitung

Klinsmann bei Hertha BSC:Neuer Flow, alte Magerkost

  • Bei Hertha BSC kommt auf den neuen Coach Jürgen Klinsmann viel Arbeit zu - das zeigt sich auch beim 1:2 zum Einstand gegen den BVB.
  • Fraglich ist, wie der neue Trainer in Berlin Fußball spielen lassen - und wie er seine verunsicherte Mannschaft aufbauen will.

Von Javier Cáceres, Berlin

Es gibt keinen Klinsmann im Windhorst.

Beziehungsweise schon: Wenn man danach fragt.

Denn dann wird dem Gast der Bar Windhorst ein Drink serviert, der angeblich doch Klinsmann heißt, eine Spur zu viel Limettensaft enthält, viel zu viel Gin, zu wenig von der versprochenen süßen Pflaume und sich dann, bei neuerlicher Nachfrage, als Bengali Gimlet entpuppt. Nach Jürgen Klinsmann, der von Herthas Großinvestor Lars Windhorst in einen Neu-Berliner verwandelt wurde, habe man keinen Cocktail benannt, sagt der Barmann: "Verlierer krieg'n hier keinen Drink." Und nein, "mit dem Lars" Windhorst habe die Bar gleichen Namens "nix zu tun".

Verlierer, das klingt bis zur Unzulässigkeit hart und rau, bar jeder Herzlichkeit. Andererseits: Was sollte man anderes von einem Barmann in Berlin erwarten, der die Bundesliga-Ergebnisse vom Samstag wohl studiert hatte und natürlich davon wusste, dass der von Lars Windhorst zum Trainerjob bewegte Jürgen Klinsmann sein Trainerdebüt als Herthaner gegen ein kriselndes Borussia Dortmund 1:2 verloren und damit die fünfte Hertha-Niederlage in Serie erlebt hatte. In der Ostkurve des Olympiastadions tobten die treuesten und radikalsten Fans des Klubs.

Gemäß ihrer Transparente waren sie schon wegen des Windhorst-Einstiegs ("Die Entscheidungsgewalt des Vereins - im Windhorst verweht") und wegen der Entlassung von Klinsmanns Vorgänger Ante Covic ("immer Herthaner") gereizt ins Stadion gekommen, auch Manager Michael Preetz wurde attackiert: "10 Jahre, 12 Trainer, ein Verantwortlicher".

Nach dem Spiel aber ging es gegen die Mannschaft. Verwünschungen und Getränke in Tetra-Paks flogen auf den Platz. Die voreilige Bezeichnung als "Absteiger" war noch die harmloseste Beschimpfung, die Herthas Belegschaft ertragen musste. Verwunderlich war daran nur eins: Herthas Profis hatten dem Publikum, speziell in der Ostkurve, genau das geliefert, was es verlangt hatte: "Wir woll'n euch kämpfen seh'n", hatten die Fans im Chor gerufen, als die Hertha nach gut einer Viertelstunde 0:2 hinten lag.

Wie Klinsmann zu recht bemerkte: An Einsatz, Leidenschaft, Aggressivität mangelte es nicht, "der Wille und die Unterstützung füreinander waren da, die innere Chemie stimmt". Das Problem war nur: Fußballerisch bot das Team nichts, was sich von den jüngsten Vorstellungen unterschieden hätte, die durchgehend enttäuschend gewesen waren.

Die Klasse, mit der die Borussia innerhalb von 107 Sekunden die Treffer von Jadon Sancho und Thorgan Hazard herausspielte, ging der Hertha auch nach dem glücklichen Anschlusstor durch Vladimir Darida (37.) ab, auch in der gesamten zweiten Halbzeit. Letzteres war mindestens erstaunlich. Denn der BVB hatte, weil Innenverteidiger Mats Hummels durch Gelb-rot früh aufhören musste (44.), die ganze zweite Halbzeit in Unterzahl bestritten.

Okay: Unmittelbar nach der Pause traf Hertha-Stürmer Davie Selke zum vermeintlichen Ausgleich. Doch sein Tor wurde wegen minimaler Abseitsstellung per Videobeweis aberkannt, was im Lager der Herthaner zu einer an dieser Stelle völlig deplatzierten Debatte über eine angebliche strukturelle Benachteiligung durch die Schiedsrichter führte. Hätte das Tor gezählt, "dann hätten wir das Spiel auch gekippt und gewonnen", behauptete Klinsmann später.

Doch wer weiß: Haften blieb vor allem, dass Hertha sich als unfähig erwies, einen dezimierten Gegner mit spielerischen Mitteln vor größere Probleme zu stellen. Wobei man Klinsmann nicht anlasten kann, dass keine Handschrift zu entziffern gewesen wäre - nach nur drei Trainingseinheiten war das nicht zu erwarten gewesen. Grundsätzlich beschwor Klinsmann aber einen angeblich positiven Flow: "Im Großen und Ganzen sind wir sehr, sehr zufrieden mit der Mannschaft. Ihre Qualität wird sich durchsetzen, dann klettern wir in der Tabelle nach oben."

Die Lage stufte der neue Coach ("wir können alle die Tabelle lesen") gleichwohl als "prekär" ein. Auch deshalb will er sich zurzeit nicht einmal ansatzweise mit Fragen der Philosophie aufhalten; vielmehr gehe es darum, "mit der gesamten Organisation" und Manager Preetz, aber "vor allem auch mit der Mannschaft" zu sprechen und den Status Quo zu analysieren. Ziel sei dabei vor allem, Antworten auf die drängendsten Fragen zu finden: "Was ist für diese Mannschaft, für diesen Moment das Beste?" Nur so könne das Dringlichste bewerkstelligt werden: endlich mal wieder drei Punkte zu holen. Und das wäre nicht nur für die Hertha, sondern auch aus Fürsorgepflicht für Klinsmanns wichtigste Helfer von einiger Bedeutung.

Denn Co-Trainer Alexander Nouri, der in Klinsmanns Eingreiftruppe als eine Art Jogi-Löw-Generikum firmiert, hat nun schon 22 Spielen ohne Sieg an der Seitenlinie beigewohnt (mit Werder Bremen, Ingolstadt, Hertha); der Rekord von Bernd Hollerbach (24 Sieglosspiele mit Würzburger Kickers und HSV) ist nahe und die Gefahr, ihn zu knacken, recht real. Am Freitag reist die Hertha nach Frankfurt, es folgen vor Weihnachten Duelle mit Freiburg, Leverkusen und Mönchengladbach. Ein Drink namens Klinsmann könnte noch auf sich warten lassen.

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Quelle:
SZ vom 02.12.2019/jbe
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