Klettern:Plötzlich Anfänger

Klettern: Wohl der beste Kletterer in Deutschland: Jan Hojer.

Wohl der beste Kletterer in Deutschland: Jan Hojer.

(Foto: Barbara Gindl/AFP)

Jan Hojer ist der beste deutsche Kletterer, aber um sich für die Olympischen Spiele in Tokio zu qualifizieren, muss er sein Training umstellen und neue Disziplinen lernen.

Von Nadine Regel, München

Jan Hojer klettert, seit er elf Jahre alt ist, aber seit einem Jahr klettert er anders. Hojer, 26, ist der stärkste Wettkämpfer seines Sports in Deutschland. Das Bouldern ist seine Spezialdisziplin, das seilfreie Klettern in Absprunghöhe. Und deshalb musste er sein Training umstellen.

Wenn bei den Olympischen Spielen in Tokio 2020 Klettern als eine von fünf neuen Sportarten zum ersten Mal im Programm vertreten ist, dann gibt es nur jeweils ein Medaillenset für Männer und Frauen. Es gibt keine Einzeldisziplinen, sondern nur einen Kombinations-Wettbewerb aus Bouldern, Speed- und Lead-Klettern. "Wer bei Olympia vorne dabei sein will, muss Generalist sein", sagt Hojer. Um sich für die größtmögliche Bühne vorzubereiten, die sein Sport zu bieten hat, nahm er Speed- und Leadklettern in seinen Plan auf. Und seitdem ist der beste deutsche Kletterer auch eine Art Kletter-Anfänger.

Am vergangenen Sonntag, bei den Weltmeisterschaften in Innsbruck, war der Kölner Hojer der einzige Deutsche, der es mit fünf anderen Athleten ins Combined-Finale geschafft hatte, er gewann Bronze. Nur der Österreicher Jakob Schubert und der Tscheche Adam Ondra waren besser. Es war die Generalprobe für die kommende Saison, ab nächstem Jahr zählen die Wettbewerbe für die Olympia-Wertung. Bei der WM 2019 werden die ersten sechs Olympia-Plätze vergeben. Hojer weiß nun, wo er in der alles dominierenden neuen vierten Disziplin steht.

Klettern, in Deutschland eine boomende Sportart, entwickelt sich dynamisch. Beim Leadklettern, Vorstiegsklettern am Seil, ändert sich die Art der Routenwahl ständig. Beim Bouldern ändert sich der Stil - von statisch-athletisch zu koordinativ-komplex. Wenn man das nicht bedenkt, ziehen andere Athleten an einem vorbei. Hojer ist ständig auf der Suche nach Herausforderungen, und die Qualifikation für die Olympischen Spiele ist sein neuestes Projekt. Dem umfangreichen Training ordnet er alles unter.

Gutes Training, sagt Hojer, fuße auf Eigeninitiative

Hojer profitiert davon, dass er sein Training seit jeher selbst organisiert. Trainer fungieren für ihn als Berater, die er konsultiert, wenn er es als notwendig erachtet. Fremde Trainingspläne eins zu eins umzusetzen, war noch nie seine Art. "Ich vertraue da mehr auf mein Körpergefühl", sagt er. Gutes Training fuße vor allem auf Eigeninitiative - und einem gewissen Maß an Kletterbesessenheit. Früher sah er sich viele Stunden Livestreams von Wettkampfqualifikationen an, um neue Kletterstile zu identifizieren.

Seine Herangehensweise unterscheidet Hojer von den anderen deutschen Athleten. Exemplarisch für seinen starken Willen ist sein Speedtraining. In Deutschland spielte diese Disziplin, das schnellstmögliche Emporsteigen an einer genormten Wand, bisher keine Rolle, Trainer gibt es keine. Die Athleten des Deutschen Alpenvereins (DAV) hatten lediglich zwei eintägige Lehrgänge im Speed. Die anderen deutschen Sportler beklagten die schlechten Trainingsbedingungen, zumal die Zielsetzung ist, zwei Männer und eine Frau zu Olympia nach Tokio zu bringen. Hojer trainierte mit einem ehemaligen Speed-Weltmeister und analysierte seine eigene Kletterperformance per Video. "Da bin ich detailverliebt genug, um die paar extra Prozentpunkte rauszuholen", sagt er. Und das scheint sich zu lohnen: Beim Combined-Finale in Innsbruck holte er den ersten Platz im Speed.

An diesem Wochenende endet für Hojer die Saison, die durch die neue Disziplin so fordernd war wie vielleicht keine zuvor, mit einem Boulder-Wettkampf in Stuttgart. Dann beginnt wieder die Trainingszeit. Hojer wird auch den einen oder anderen Fels-Trip in sein Programm einbauen, in der Natur also. Dort, wo er als 13 Jahre alter Junge "das erste Mal das Gefühl von Freiheit" spürte, wie er sagt. Und so ein Gefühl von Freiheit kann ja nicht schaden, zwischen all dem Training.

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