Klettern:Wie Olympia eine Sportart verändert

IFSC Boulder World Cup Munich 2019

Das Ziel ist oben: Jan Hojer, hier beim Worldcup im Münchner Olympiastadion, führt das deutsche Kletterteam bei der WM in Japan an.

(Foto: Sebastian Widmann/Getty)
  • An diesem Sonntag startet die Kletterweltmeisterschaft in Hachioji/Japan.
  • Dort werden die ersten Startplätze für die Olympischen Sommerspiele im kommenden Jahr vergeben - und fünf Deutsche sind dabei.
  • Die einzige Deutsche, Afra Hönig, hat jedoch prompt den Halbfinal-Einzug in der Disziplin Bouldern verpasst.

Von Nadine Regel

Jan Hojer ist bis zuletzt an der Wand gewesen. Wenige Stunden vor dem Abflug nach Japan trainierte er noch in der Boulderhalle in München. Für den Kölner beginnt am Sonntag die vielleicht letzte Etappe auf dem Weg zu Olympia: die Kletterweltmeisterschaft in Hachioji.

Bei dem Wettkampf im Westen der Präfektur Tokio geht es nicht nur um Medaillen, hier werden auch die ersten Startplätze für die Olympischen Sommerspiele 2020 vergeben. Neben Hojer, 27, und Alexander Megos, 25, den besten deutschen Wettkämpfern in ihrer Sportart, sind Yannick Flohé und Philipp Martin nominiert. Als einzige Frau ist Afra Hönig in Japan dabei - sie verpasste jedoch prompt in der Disziplin Bouldern den Einzug ins Halbfinale der besten 20. Das Kletterteam verbringt drei Wochen in Japan, die ersten Tage dienen der Akklimatisierung. Heiß und schwül soll es werden, keine idealen Bedingungen, sagt Hojer: "Kletterer mögen es eigentlich etwas kühler und vor allem trockener."

Seit drei Jahren steht fest, dass Klettern 2020 einen Testlauf bei den Sommerspielen in Tokio erlebt. Seitdem hat sich der Wettkampfsport verändert. Eine vierte Disziplin wurde geschaffen: die Olympische Kombination aus den drei Einzeldisziplinen Leadklettern, Bouldern und Speedklettern. Auf dieses Format ist auch die WM in Hachioji ausgerichtet. Zunächst treten die Athleten in den Einzeldisziplinen an, in denen Medaillen vergeben werden. Die besten zwanzig Kombinierer kommen dann in die nächste Runde, aus der die wiederum acht Besten im Finale um Medaillen kämpfen. Die ersten Sieben haben automatisch ihre Teilnahme am "Olympic Combined"-Wettkampf für Tokio 2020 sicher.

Das olympische Format ist etwas für Strategen, denn bisher waren die Athleten auf eine Disziplin spezialisiert. Weil der Trainingsaufwand für alle drei Disziplinen zu groß ist, hilft nur ein selektives Training. Chancen hat derjenige, der in einer Disziplin brilliert und in einer zweiten gute Resultate erzielt.

Hojer konzentriert sich im Training auf seine Spezialdisziplin Bouldern: das seilfreie Klettern in Absprunghöhe. Die Weltcupsaison verlief gut, er zog insgesamt dreimal ins Finale ein. Als zweite Disziplin kommt für ihn nur das Speedklettern infrage: das schnellstmögliche Emporklettern an einer genormten Wand. Denn hier sind alle Kombinierer Anfänger, und ein gutes Abschneiden ist realistisch. Das Leadklettern, das klassische Seilklettern, spielt für Hojer eine untergeordnete Rolle. Bereits bei der WM 2018 in Innsbruck hatte sich die Taktik ausgezahlt: Er belegte den dritten Platz.

Im Speedklettern hat sich Hojer in den vergangenen Monaten nochmals stark gesteigert und im Juli einen neuen deutschen Rekord aufgestellt. Inzwischen, "läuft" er, wie Hojer berichtet, die 15-Meter-Wand in weniger als sieben Sekunden nach oben. Laufen nennt er es deshalb, weil es letztlich nur darum geht, in kürzester Zeit oben anzukommen; Technik spielt keine Rolle. Damit gehöre er aber nur zu den "schnelleren Langsamen", sagt er: "Um international unter den Top 15 zu sein, muss man nahe an sechs Sekunden laufen."

Klettern erfährt schon seit etwa zehn Jahren einen Hype

Nach anfänglicher Skepsis gegenüber dem Format des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) hat sich die Kritik etwas gelegt. Für die Athleten sei es das Größte, an Olympia teilzunehmen, sagt Hojer: "Vor allem wenn man nie damit gerechnet hat, dass seine Sportart irgendwann einmal olympisch sein wird". Klettern erfährt schon seit etwa zehn Jahren einen Hype. "Der ist durch Olympia natürlich noch verstärkt worden", sagt Hojer. Auch weil die Öffentlichkeit das Sportklettern nun noch mehr wahrnimmt.

Mittlerweile hat das IOC bekannt gegeben, dass Klettern auch bei den nächsten Sommerspielen, 2024 in Paris, auf dem Programm steht. Dann aber wieder in einem anderen Format. Das IOC will 2024 zwei Medaillen-Sets je Geschlecht vergeben, die Kombination nur aus Bouldern und Leadklettern bestreiten und das Speedklettern separat werten. Die Kletterer werden ihr Training also erneut umstellen müssen - aber das, sagt Hojer, "interessiert mich aktuell überhaupt nicht".

Urs Stöcker, einer von drei Bundestrainern, findet es schade, dass der Speed-Wettkampf später wieder aus der Kombinationswertung genommen wird. "Der Olympiasieger 2020 in der jetzigen Olympic-Combined-Disziplin wird wahrscheinlich der einzige Sieger bleiben", sagt er etwas wehmütig.

Andererseits sieht er den IOC-Beschluss als Konsequenz der Entwicklung - vor allem weil das Speedklettern jene Disziplin sei, die am weitesten entfernt ist von den anderen. Beim Bouldern liegen die Anforderungen auf Technik und Maximalkraft, beim Seilklettern kommt es neben Technik vor allem auf Kraftausdauer an. Unter technischen und taktischen Aspekten seien diese zwei Disziplinen deswegen gut in einem Wettbewerb zusammenzubinden. "Vielleicht geht dieser Trend so weiter und 2028 gehen alle drei Einzeldisziplinen an den Start", vermutet Stöcker.

Zunächst jedoch richtet sich die Aufmerksamkeit auf Tokio 2020. Falls Hojer in Hachioji nicht im Finale steht, hat er die Chance, sich bei dem zweiten Qualifikations-Wettbewerb im November in Toulouse für Olympia zu qualifizieren. Doch soweit soll es nicht kommen. Sein Ziel steht fest: Er will schon in Japan die Weichen für Olympia stellen. "Das würde den Druck rausnehmen für den Rest der Saison", sagt er. Und er könnte vor der neuen Saison noch beim Felsklettern entspannen.

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