Die Wettkämpfe im Klettern am Königsplatz sind vorbei, die junge Sportart war eine derjenigen, die vom noch jüngeren Multi-Format der European Championships besonders profitiert hat. Das Interesse in München war groß, alle Finalveranstaltungen alle ausverkauft. Die Qualifikationen konnte man noch ohne Eintritt sehen, auch das war eine gelungene Maßnahme, für Wettkampfklettern zu werben. Weniger gelungen war das Abschneiden der deutschen Kletterer. Während Hannah Meul mit Silber im Bouldern die einzige Medaille gewann, blieben ihre hoch eingeschätzten Kollegen Alexander Megos und Yannick Flohé hinter den Erwartungen zurück. Bundestrainer Ingo Filzmeier, 39, aus Innsbruck zieht dennoch für seine Mannschaft und die Sportart eine positive Bilanz.
SZ: Herr Filzmeier, in der Kombination der Frauen schrammte Hannah Meul ganz knapp an ihrer zweiten Medaille vorbei und wurde Vierte, auch weil die Routen, wie sie sagte, in ihrer Spezialdisziplin Bouldern so leicht waren. Es war nicht die einzige Kritik an den Routenschraubern. Teilen Sie diese?
Ingo Filzmeier: Es ist schon schade, aber man sollte auch bedenken, wie schwer es ist, eine gute Route hinzubekommen. Erst ist es heiß, dann kalt, wenn man etwa nachts schraubt, hat man am folgenden Tag ganz andere Bedingungen. Regnet es, wird es gleich zehn Grad kälter.
Das hilft Hannah Meul wenig, Bouldern ist ihre bessere Disziplin, der Plan war, dort einen Vorsprung zu erklettern.
Das stimmt natürlich, die Differenzierung im Bouldern war nicht gut genug, die Athletinnen waren zu eng zusammen, dadurch hat die Teildisziplin Lead viel zu viel Gewicht bekommen. Es gab auch dort drei Tops, das heißt, auch die Lead-Route war zu leicht. Im Idealfall klettert da maximal eine hoch. Es geht ja darum, die Unterschiede der Kletterinnen darzustellen. Weil Bouldern zu leicht war, war es für Hannah sehr schwer, im Lead noch etwas zu kompensieren.
Bei den Männern war im Bouldern das Gegenteil der Fall. Yannick Flohé, der als Vierter hinter drei Japanern auch der beste Europäer in der Weltrangliste ist, hat es nicht einmal ins Finale geschafft. Er bezeichnete die Routen hinterher als "einen einzigen Haufen Scheiße".
Yannick war natürlich frustriert, die Wortwahl nicht so glücklich. Aber die Art und Weise, wie er es begründet hat, ist absolut gerechtfertigt.
Auch das Punktesystem in der Kombination wurde kritisiert, das erstmals bei Olympia in Paris 2024 zur Anwendung kommen soll. Sehen Sie Bedarf zum Nachbessern?
Aus meiner Sicht ist das Verhältnis noch nicht ideal. Wenn die Routen angemessen schwer sind, hat das Lead zu viel Gewicht, ein absoluter Spezialist also größere Siegchancen als ein Boulder-Spezialist. Ich finde, das Punktesystem funktioniert so noch nicht.
In Tokio gab es eine Dreier-Kombination, zusätzlich war Speed-Klettern dabei. Für Paris 2024 ist es nach großer Kritik gestrichen worden, die richtige Entscheidung?
Absolut, Speed ist eine eigene Welt. Das ist, wie wenn man in der Leichtathletik den 100-Meter-Sprint mit einem Zehn-Kilometer-Lauf vergleicht. Das Ziel für Olympia ist, für alle drei Disziplinen eine eigene Medaille zu vergeben.

European Championships:Genuss bis unter die Haut
Sie strahlt und strahlt: Hannah Meul gewinnt Silber im Bouldern und freut sich trotz enormer Strapazen auf die nächste "Riesenparty". Ihre männlichen Kollegen dagegen sind tief enttäuscht.
Die Vorgabe für die EM war mit möglichst vielen Plätzen im Finale bescheiden gesetzt, nun hat Hannah Meul die erste Frauen-Medaille seit 15 Jahren gewonnen. Bilanz gerettet?
Die Athleten haben absolut ihr Bestes gegeben, aber natürlich haben wir uns mehr Medaillen gewünscht. Hannah ist richtig gut geklettert, wir sind superfroh mit ihrer Leistung und der Medaille. Jetzt kommen noch ein paar Weltcups, so kann es weitergehen.
Die Männer sind klar unter den Erwartungen geblieben, Flohé und Alexander Megos zählten zu den Medaillenanwärtern.
Auch das stimmt, aber die Teamleistung mit Platz fünf und sechs im Lead war in Ordnung. Wie wissen, woran wir arbeiten müssen, und werden uns für Paris steigern.
Erst mal geht es am 1. September mit einem Weltcup in Slowenien weiter, Megos war doch sehr enttäuscht und hat erklärt, dass er sowieso lieber im Fels klettert. Wie wollen Sie ihn für das Plastik-Klettern, wie die Athleten diese Wettkämpfe bezeichnen, wieder motivieren?
Alex ist seit 15 Jahren dabei, ein alter Hase, da ist es ganz normal, dass der Reiz für Wettkämpfe etwas verloren geht. Aber er hat einen riesen Spaß im Team, und er weiß, dass man voneinander profitiert.
Was nehmen Sie noch mit aus München? Nicht nur die Kletterer schwärmen von der großartigen Atmosphäre.
Es waren mit den Qualifikationsrunden, Speed und den Finals in den Spezialdisziplinen schon vor der abschließenden Männer-Kombination 2,4 Millionen Zuschauer an den Bildschirmen, immer 5000 Leute vor Ort, das ist der absolute Wahnsinn. So etwas ist die beste Werbung für den Klettersport, wir brauchen unbedingt mehr solche Wettbewerbe im Rahmen von Großveranstaltungen. Ich hoffe für unsere Sportart, dass es so weitergeht.