Klettern:Der die Wand hochtanzt

Lesezeit: 3 min

Der Amerikaner Alex Honnold klettert ungesichert auf schwierigste Felsen. Eine TV-Doku zeigt den Jahrhundertsportler auf seiner gewagtesten Mission. Es ist ein Film über einen lebensgefährlichen Lebenstraum.

Von Christian Brüngger

Am Morgen, als Alex Honnold sterben könnte, hat er seine Partnerin längst aus dem Yosemite-Nationalpark in Kalifornien geschickt. Sie soll nicht dabei sein, wenn er am El Capitan unternimmt, was noch nie ­jemand gewagt hat, was selbst Größen zum Fürchten bringt: diese knapp 1000 Meter steile Felswand ungesichert zu klettern. Honnold, 33, ist seit seinen ­ersten ungesicherten Klettereien vor zehn Jahren der Star einer kleinen Gruppe von Ausnahmeathleten, über die man sagt: Es ist nicht die Frage, ob sie bei ihrer Leidenschaft sterben - sondern bloß wann.

Honnolds Partnerin Sanni McCandless versucht an diesem Morgen die Angst um ihn bei einer Freundin zu zerstreuen. Sein engster Kletterpartner Tommy Caldwell spielt derweil ebenfalls weit weg vom El Capitan mit seinen zwei Kindern. Trotzdem denkt er immer wieder an Honnold. Caldwell sagt: "Menschen, die nur ein bisschen etwas vom Klettern verstehen, glauben, Alex sei total sicher. Wer sich aber auskennt, verliert beim Wissen um sein Vorhaben vor Sorge fast den Verstand."

Kein Berg zu hoch, keine Wand zu steil: Alex Honnold klettert allein und ohne Sicherung hinauf. (Foto: Jimmy Chin/AFP)

Diese Szenen sind im Dokumentarfilm "free solo" zu sehen, die das (Kletter-)Leben von Alex Honnold abbilden, eine Filmcrew hat den Amerikaner monatelang begleitet. Die Doku kam am vergangenen Wochenende in den USA in die Kinos. Wann sie in Europa zu sehen sein wird, ist zurzeit noch offen. Der Zuschauer taucht im Film ein in die Welt eines Mannes, den man ohne Übertreibung als Jahrhundertsportler bezeichnen kann. Denn eines hat er den viel bekannteren Sportlern voraus: Während diese sich in ihren Wettkämpfen, sofern diese nicht bloß wenige ­Sekunden oder Minuten dauern, immer wieder auch einmal ein Tief oder eine Unkonzentriertheit leisten können, muss Alex Honnold bei seinen Kletterstrapazen über Stunden präsent sein.

Zur Übung kletterte er ohne Hände

Als 1958 ein US-Team erstmals den El Capitan eroberte, erschloss es sich dafür über 47 Tage einen ­Zugang, verteilt auf anderthalb Jahre. Für die Route benötigte es schließlich 12 Tage. Honnold hingegen rauscht in lediglich 3:56 Stunden die Freerider-Route hoch, was schon gesichert einer Weltklasseleistung gleichkommen würde. Er scheint dabei fast die Wand hoch zu tanzen. Es ist das Resultat einer jahrelangen Vorbereitung. Er näherte sich diesem Lebenstraum in Schritten. ­Jeden Abschnitt kletterte er so lange (und gesichert), bis er ihn blind absolvieren konnte. Die Schlüsselstellen ­visualisierte er wie ein Abfahrer seinen Lauf. Daheim kletterte er diese Partien dann Griff für Griff im Geist nach, wieder und wieder. Wenn er sich trotzdem unsicher fühlte, bewältigte er eine bestimmte Passage gesichert und wiederholt nur mit seinen Füßen am El Capitan, also ohne seine Hände zu benutzen - und zwar so lange, bis er einsah: Er, Honnold, konnte das Gelände wirklich kontrollieren.

Schließlich darf ihm in der Wand eines nie passieren: in Panik zu verfallen oder größere Angst zu verspüren. Allerdings attestieren ihm seine Kletterfreunde eine fast schon mirakulöse Kaltblütigkeit; er bleibe noch in den brenzligsten Situationen cool. Er sagt: Nach tausenden Stunden am Fels habe er sich diese Coolness auch erarbeitet. Und dennoch: Honnold kann noch so gut vorbereitet sein. Wenn ein Vogel erschreckt aus einer Spalte schießt, Steine auf ihn prasseln oder eine feuchte Stelle zur Rutschpartie wird, braucht auch er Glück, damit er überlebt. Während der Dreharbeiten wollte er die Filmcrew in einer der Schlüsselstellen darum nicht neben sich haben. Sie musste in der Nähe eine Kamera hinterlegen. Der Grund: Honnold misstraute der Stelle und fürchtete, allenfalls dort in den Tod zu stürzen. Er wollte niemanden ganz nahe bei sich ­haben, sollte das geschehen.

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Diese Ambivalenz prägt den Film, und darum entschlossen sich die Macher, das Thema in ihr Werk zu integrieren. Co-Regisseur Jimmy Chin ist selbst ein Topkletterer und begleitet Honnold seit Jahren. ­Keiner will seinem Freund beim Sterben zusehen - und Chin musste sich auch überlegen, wie stark seine Arbeit Honnold beeinflusste. Denn eines wollte er auf keinen Fall: Dass dieser wegen des Films mehr als gewohnt riskiert und darum einen Fehler begeht.

Ein Außenseiter, der seit vielen Jahren im Van lebt

Man verdirbt keinem die Freude am Film, wenn man verrät, dass Honnold am 3. Juni 2017 schon um 9:28 Uhr auf dem Gipfel stand. Seither wird er in der Szene wie eine Gottheit verehrt. Das ist diesem eloquenten, aber eher scheuen Mann sehr unrecht. Obschon er heute dank seiner Sponsoren gutes Geld verdient - wovon er ein Drittel pro Jahr in seine Stiftung für Solar­energieprojekte in den USA und Afrika fließen lässt -, pflegt er das Leben eines Außenseiters.

Bis heute lebt Honnold meist in seinem Van, damit er rasch von einem Kletterort zum anderen kommt. Alles, was er besitzt, hat ­darin Platz. Seit er seine Partnerin im Herbst 2015 bei einer seiner Buchtouren kennenlernte, wurde er jedoch ortsgebundener - und muss plötzlich lernen, ein inniges Leben neben dem Klettern zuzulassen.

Als "Soziopathen" hätten ihn seine früheren Freundinnen bezeichnet, sagt Honnold, weil er den Sport stets der Partnerin vorzog - und seine Nächsten mit seinen Abenteuern oft schlaflose Nächte besorgte. Er weiß darum: Seine Lebensfrage lautet, ob er ein guter Mensch und Free-Solo-Kletterer sein kann - und damit schlicht am Leben.

© SZ vom 07.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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