Klettern bei den European Championships:"Ich sehe den Sport bald ganz, ganz groß"

Klettern bei den European Championships: Hannah Meul wird in der Kombination Vierte, im Bouldern gewinnt sie zuvor Silber.

Hannah Meul wird in der Kombination Vierte, im Bouldern gewinnt sie zuvor Silber.

(Foto: Tobia Schwarz/AFP)

Hannah Meul wird in der Kombination Vierte und hadert anschließend mit den Routen, die zu leicht gewesen seien. Sie nimmt dennoch Positives für Olympia 2024 mit - und prophezeit dem Klettern eine hoffnungsvolle Zukunft.

Von Ralf Tögel

Wirklich nichts konnte das Lächeln aus Hannah Meuls Gesicht verdrängen. "Das ist schon großer Mist, aber der vierte Platz ist ja nicht schlecht. Aber klar, ich bin riesig enttäuscht." Im Bouldern müssen Kletterinnen viermal das Top erreichen, also den letzten Griff kontrolliert mit beiden Händen berühren, dann ist die Route bezwungen und es gibt die vollen 25 Punkte, insgesamt also 100. Drei Mal hat Meul das geschafft, eine außergewöhnliche Quote, zudem gab es in der dritten Route sechs Punkte für zwei erreichte Zonengriffe.

Platz zwei war das zur Halbzeit in der Kombination, die aus Bouldern und Lead, dem Klettern mit Seil, besteht. Das Problem: Vier weitere Konkurrentinnen schafften ebenfalls drei Routen. Damit war der erhoffte Vorsprung nach dem Bouldern, Meuls Paradedisziplin, in der sie bereits Silber gewonnen hat, zu klein auf die Lead-Spezialistinnen. Und so kam es, dass die Slowenin Mia Krampl und die Österreicherin Jessica Pilz an ihr vorbeizogen, für Meul blieb der verflixte vierte Platz.

Gold ist reserviert: Die Slowenin Janja Garnbret klettert in einer eigenen Liga

Denn die Goldmedaille war praktisch reserviert: Janja Garnbret hat mit dem überlegenen Sieg ihren Status als weltbeste Kletterin zementiert. Nach Gold in Bouldern und Lead gewann die Slowenin fast schon logischer Weise auch die Kombination der beiden Disziplinen und damit ihren dritten EM-Titel. Die Überlegenheit der erst 23-Jährigen ist erdrückend, Garnbret meisterte als einzige alle vier Boulder-Routen und toppte auch im Lead. Egal in welcher Disziplin die Slowenin an der Wand klebt, sie vereint Kraft, Beweglichkeit, Körperbeherrschung und Gleichgewichtssinn mit einer Leichtigkeit, die diese Anstrengungen fast spielerisch aussehen lassen. Außerdem ist Garnbret mit einer mentalen Stärke gesegnet, die sie in München unbezwingbar machte. Ob sie nun die Königin vom Königsplatz sei? Garnbret lächelte schüchtern. "Es ist nicht einfach, wenn alle von dir erwarten, dass du immer gewinnst", sagte sie. "Aber es hat ja ganz gut geklappt."

Auch Konkurrentin Hannah Meul bewundert Garnbrets Leistungen, "sie zeigt uns, wo die Messlatte liegt". Mit ihrem eigenen Abschneiden ist sie trotz der Holzmedaille zufrieden, zumal sie die einzige echte für den Deutschen Alpenverein (DAV) gewonnen hat - für die abschließende Kombination der Männer konnte sich kein Athlet qualifizieren. Der DAV hatte zwar als Ziel ausgegeben, möglichst viele Athleten in die jeweiligen Finals zu bringen, aber gerade von Yannick Flohé und Alexander Megos, die beide zur Weltspitze zählen, dürfte sich der DAV mehr erhofft haben.

Auch der vierte Platz von Meul in der Kombination kam unglücklich zustande, wie Bundestrainer Ingo Filzwieser fand: "Leider waren die ersten beiden Boulder zu leicht, die muss man aus der Wertung streichen. Es blieben also nur zwei, um zu differenzieren. Das war zu wenig, alle Athletinnen waren zu eng zusammen, so hat das Lead viel zu viel Gewicht bekommen." Auch im Lead erreichten drei Teilnehmerinnen den Top-Griff, ebenfalls ein Indiz für eine zu leichte Route.

Klettern bei den European Championships: Ganz oben: Die Slowenin Janja Garnbret ist auch in der Kombination nicht zu schlagen und gewinnt zum dritten Mal in München Gold.

Ganz oben: Die Slowenin Janja Garnbret ist auch in der Kombination nicht zu schlagen und gewinnt zum dritten Mal in München Gold.

(Foto: Sebastian Widmann/Getty Images)

Auch Meul sah dies als Ursache für das knappe Verpassen ihrer zweiten Medaille: "Man hätte schon ein bisschen schwerer schrauben können, aber es war das erste Event in diesem Format. Ich glaube, nicht nur wir werden hier Erfahrungen für Olympia 2024 sammeln." Das war eine charmant verpackte Kritik der Frechener Frohnatur an den Routenschraubern, die sie um eine bessere Ausgangsposition für das Lead-Klettern gebracht hatten. Dort ging der 21-Jährigen kurz vor dem Ziel die Kraft aus: "Ich hätte schon noch mehr fighten können, aber ich war ein Stück zu hoch geklettert." So bekam Meul ihr Seil nicht mehr in die Exe, den Karabiner an der Wand, mit dem sich die Kletterinnen sichern müssen: "Ich war in einer Sackgasse und wusste, jetzt ist es vorbei. Aber ich werde diese Erfahrung mitnehmen."

"Ich sehe unseren Sport bald ganz, ganz groß", sagt die deutsche Top-Kletterin

Mit der EM-Silbermedaille ist die 21-Jährige endgültig in die Weltspitze geklettert und hat sich "einen Traum erfüllt". Bereits vor dem Wettbewerb von München war der Rheinländerin mit zwei zweiten Plätzen im Weltcup der Durchbruch gelungen, nun will sie den Schwung vom Königsplatz mitnehmen. Im Idealfall bis nach Paris, dort wird dieses Kombinationsformat 2024 erstmals olympisch sein, weil Speed gestrichen wurde. Die Tempovariante bevorzugte die Spezialisten zu sehr, die Kritik nach Olympia in Tokio war groß.

In München war Speed ein eigener Wettbewerb, der ebenfalls sehr gut angenommen wurde. Wie alle Topkletterinnen ließ auch Meul Speed aus, die Belastungen waren dennoch enorm. Qualifikationen, Halbfinals und Finals in zwei Wettbewerben wurden an vier aufeinanderfolgenden Tagen geklettert, das war Neuland. In den zwei Tagen Pause vor der Kombination ließ Meul die Finger von der Wand und pflegte ihre Hände: "Die Haut ist gut nachgewachsen, daran hat es nicht gelegen."

Wettbewerbe wie München seien enorm wichtig in der Entwicklung des jungen Sports, glaubt Meul: "Es war einfach großartig hier. Ich bin froh, ein Teil davon gewesen zu sein." Alle Finalwettbewerbe waren mit 5000 Zuschauern ausverkauft, die Besucher begeistert. Noch stecke das Klettern in den Kinderschuhen, bilanzierte Meul, aber: "Ich sehe den Sport bald ganz, ganz groß."

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Die Slowenin Janja Garnbret beschert den Zuschauern im Lead-Klettern einen Schreckmoment und sich die erwartete EM-Goldmedaille. Die Veranstaltung ist ausverkauft, am Königsplatz herrscht Volksfeststimmung.

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