Borussia Mönchengladbach:Kleindiensts kleine Wutrede

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„Das ist es, was mich nervt: Wir haben so eine Körpersprache, als wäre die Saison schon fast durch“: Nationalspieler Tim Kleindienst. (Foto: Norbert Jansen/fohlenfoto/Imago)

Mönchengladbach darf von der Champions League träumen. Aber immer, wenn die Tür aufgeht, versäumt es die Borussia hindurchzugehen. Nach dem 1:2 gegen Freiburg rüttelt Nationalstürmer Tim Kleindienst mal alle kräftig auf.

Von Ulrich Hartmann, Mönchengladbach

Für den Fußballer Tim Kleindienst ist es in den vergangenen drei Jahren immer nur aufwärts gegangen: Bundesliga-Aufstieg und Europapokal-Qualifikation mit dem 1. FC Heidenheim, dann der Wechsel zu Borussia Mönchengladbach, wo er Nationalspieler wurde und in einer derzeit starken Saison von der Qualifikation für die Champions League träumen darf. Doch auf dem Weg zum Gipfel schlägt nun plötzlich das Wetter um. Da kann sich Euphorie leicht in Wut verwandeln.

Gladbach stand erstmals seit fünf Jahren wieder vor der Eroberung eines Champions-League-Platzes, als die Mannschaft vergangene Woche zunächst beim 1:1 auf St. Pauli enttäuschte und nun am Samstag auch daheim beim 1:2 gegen Freiburg. Diese Heimniederlage bedeutete binnen vier Partien im Borussia-Park bereits die dritte Niederlage. Jedes Mal, wenn Gladbach den finalen Schritt ins Champions-League-Territorium der Tabelle hätte gehen können, versagten der Mannschaft die Nerven. Sportvorstand Roland Virkus behauptete am Samstag im Kabinengang: „Europa, Europa, Europa – die Spieler sehen natürlich, welche Chancen sich ergeben und wollen dann unbedingt … aber dann verkrampfst du eben auch mal.“

Kleindienst sieht das offenbar etwas anders. Das hat er kurz nach dem Schlusspfiff im Rahmen einer denkwürdigen kleinen Wutrede live bei Sky deutlich gemacht. „Ich weiß nicht, ob hier manche schon so eine Zufriedenheit entwickeln, dass die Saison soweit ganz in Ordnung ist und wir das so ein bisschen ausplempern lassen“, schimpfte der 29-Jährige. „Das ist es, was mich nervt: Wir haben so eine Körpersprache, als wäre die Saison schon fast durch und als ginge es um nichts mehr, aber genau jetzt geht’s halt um was und genau jetzt sollten wir eigentlich noch mal zwei Gänge hochfahren – aber ich habe eher das Gefühl, dass gerade das Gegenteil passiert.“ Kleindienst fordert, dass sich „jeder mal selbst reflektiert“: „Das mache ich auch mit mir persönlich: Das war auch zu wenig.“

„Europäische Destinationen haben in unserer Kabine keinen Platz“, sagt Trainer Seoane

Der 15-malige Torschütze sieht die finale Belohnung für eine bislang starke Gladbacher Saison in Gefahr und hat das Gefühl, er müsse aufrütteln: „Wir haben jetzt noch fünf wichtige Spiele und es geht noch um was, und genau das verstehe ich nicht: dass wir so eine Leistung zeigen, obwohl es jetzt in eine Richtung gehen kann, wo wir da oben um etwas spielen können.“ Es ist auffällig, dass Kleindienst, im vergangenen Sommer aus Heidenheim gekommen, nach dem 1:2 gegen Freiburg als einziger Gladbacher tüchtig herumwetterte. Sportchef Virkus relativierte die schwache Leistung gegen Freiburg demonstrativ. Er sagte: „Die Mannschaft hat in dieser Saison bis jetzt einen super Job gemacht.“ Auch der bis zum vergangenen Sommer in Gladbach spielende Christoph Kramer sagte am Samstagabend als Gast im ZDF-Sportstudio über die Borussia: „Diese Saison ist jetzt schon ein Erfolg.“ Beide Sätze, der von Virkus und der von Kramer, dürften Kleindienst überhaupt nicht gefallen haben. Genau diese frühe Zufriedenheit nervt ihn.

Tim Kleindienst kämpft gegen Freiburgs Maximilian Eggestein um den Ball. (Foto: Revierfoto/Imago)

Virkus hat sich am Samstag aber nicht nur bei Kleindienst womöglich etwas unbeliebt gemacht, sondern unter Umständen auch bei Trainer Gerardo Seoane. Nachdem Seoane in der Pressekonferenz nämlich mit Virkus’ Aussage über eine verkrampfende Mannschaft konfrontiert worden war, sagte der Trainer: „Kein Spieler auf dem Platz hat irgendwelche Gedanken an irgendwelche Szenarien – so eine Leistung hat rein fußballerische Gründe.“ Seoane schloss streng: „Europäische Destinationen haben in unserer Kabine keinen Platz!“

Und so gibt es in Mönchengladbach derzeit zwei Lesarten der bisherigen Saison: Die Mannschaft hat mit ihren 44 Punkten bereits mehr erreicht, als mancher ihr zugetraut hatte – aber ausgerechnet jetzt, da sich völlig unverhofft die Tore zur lukrativen Champions League auftun, gelingt es ihr nicht hindurchzugehen. Kleindienst sagt: „Wenn wir da oben noch ein Wörtchen mitreden möchten, dann sollten wir uns schleunigst verbessern; wir haben in dieser Saison viele gute Spiele gemacht – aber genau diese Einstellung vermisse ich gerade.“

Noch ist nichts verloren: Champions League, Europa League, Conference League – alles noch möglich für Gladbach. Das Restprogramm sieht Gastspiele bei Borussia Dortmund, Holstein Kiel und dem FC Bayern sowie Heimspiele gegen Hoffenheim und Wolfsburg vor. Auswärts haben sich die Borussen mit zuletzt vier Siegen und einem Unentschieden leichter getan. Daheim im Borussia-Park lief es mit nur einem Sieg in fünf Partien deutlich schlechter. „Wir schwören Stein und Bein auf die Elf vom Niederrhein“, sangen die Fans am Samstag beim Abpfiff einen ihrer liebsten Gassenhauer. Aber es klang fast ein bisschen wütend.

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