Klassenerhalt des TSV 1860 München:Glücklich wie noch nie

1860 Muenchen v Holstein Kiel - 2. Bundesliga Playoff Second Leg

Die Löwen flippen aus: Das 2:1 in der Nachspielzeit durch Kai Bülow bedeutet den Klassenerhalt.

(Foto: Daniel Kopatsch/Getty Images)

Was für ein Irrsinn: 75 Minuten spielt 1860 München im Relegations-Rückspiel wie ein Absteiger, dann biegen Adlung und Bülow die Partie um. Die Saison endet im Freudentaumel.

Von Markus Schäflein und Philipp Schneider

Überall im Rund flossen Tränen um den so geliebten TSV 1860 München, erst waren es Tränen der Trauer und der Wut, und plötzlich waren es Freudentränen. Es lief bereits die Nachspielzeit, als ein Schuss von Valdet Rama an den Pfosten prallte, Kai Bülow an der richtigen Stelle stand und den Ball ins Tor beförderte.

Elf Jahre nach dem Abstieg aus der Bundesliga wäre der TSV 1860 München um ein Haar erstmals seit 1992/93 in die Drittklassigkeit abgerutscht, im Relegations-Rückspiel gegen Holstein Kiel, durch einen Treffer eines gewissen Rafael Kazior. Nach einer lange mutlosen und ideenlosen Vorstellung gegen einen biederen Gegner. Erst nach Daniel Adlungs Ausgleichstor drängten die Löwen mutig nach vorne - spät, aber gerade noch rechtzeitig.

Wie schon beim 0:0 in Kiel musste Trainer Torsten Fröhling ungewöhnliche Kriterien zugrunde legen, um elf Spieler für seine Startelf zu finden: Er nominierte nicht die fittesten, die technisch versiertesten oder die schussgewaltigsten Spieler aus dem von Sportchef Gerhard Poschner so abenteuerlich zusammengestellten Kader. Er nominierte elf Männer, von denen er glaubte, dass sie in sich die brennende Leidenschaft verspüren würden, einen Traditionsverein, den Meister von 1966, vor dem Absturz zu bewahren. Zu ihnen zählte auch Stephan Hain, der mit Rubin Okotie eine Doppelspitze bildete.

Mehr Mut zur Offensive vor der Heimkulisse - der Plan des TSV 1860 ging zunächst auf: 57 000 Menschen lärmten in der Arena, beim "Einmal Löwe, immer Löwe" hüpften bis in die Ecken alle mit, beim "Steht auf, wenn ihr Löwen seid" standen alle auf. Als Kiels Torwart Kenneth Kronholm einen Schuss von Valdet Rama über die Querlatte lenkte (3.) und zwei Ecken für 1860 folgten, bebten die Ränge. Das einzig Nichtgeplante war, dass sich die Kieler vom Lärm gar nicht beeindrucken ließen, sondern mitspielten.

Rafael Kaziors erstes Tor in der Arena zählte wegen Abseitsposition nicht, doch dann kam die 16. Minute: Ecke für Kiel, Jaroslaw Lindner durfte mit dem Kopf verlängern, am entfernten Pfosten stand Kazior, beförderte den Ball über die Linie und brachte Sechzig in große Not: Nun brauchten die Löwen bereits zwei Treffer für den Verbleib in der zweiten Liga.

Das Publikum machte engagiert weiter, die Mannschaft hingegen wirkte geschockt. Bis auf einen Schuss von Julian Weigl (18.), der schon nach 13 Minuten für den verletzten Dominik Stahl gekommen war, gab es in der ersten Hälfte keine Torchance mehr zu verzeichnen gegen die natürlich zunehmend defensiveren Kieler.

In der zweiten Hälfte fehlten Sechzig weiterhin lange Zeit der Mut und die Ideen, es passierte nichts Nennenswertes. In der 57. Minute wechselte Fröhling seinen jungen Stürmer Marius Wolf für Jannik Bandowski ein, in der 66. Minute schoss Hain bei der ersten Chance der zweiten Hälfte über die Querlatte. Okotie, der seit Wochen formschwache Torjäger der Hinserie, bat um seine Auswechselung, er deutete auf sein Knie; als er ging, wurde er ausgepfiffen.

Die Fans schimpfen schon

In Korbinian Vollmann kam ein weiterer Spieler, der aus der U21 stammt (69.). Die Zeit rann davon, nichts gelang, "wir sind Löwen und ihr nicht", skandierten die Fans. Als alles vorüber schien, traf Daniel Adlung aus dem Hintergrund zum 1:1 (78.) - und der erhoffte Lärm- und Heimvorteil war zurück. Kurz darauf scheiterte Weigl an einer Parade von Kronholm, dann flog ein Freistoß von Adlung knapp vorbei. Endlich drückte Sechzig, und dann kam Bülow.

Und Hasan Ismaik, der geheimnisvolle Investor aus Jordanien, der ja, warum auch immer, inzwischen fast 50 Millionen Euro in seinen Traum von Tiki-Taka in Giesing investiert hat, der die Arena nur mit grauen Sitzschalen, aber nicht mit blauen Zuschauern erlebt hat? Er war mal wieder nicht im Stadion. Nicht einmal jetzt. Am Ende einer Saison, die auch für ihn eine der fürchterlichsten der Vereinsgeschichte sein müsste. Einer Saison, in der der Löwe am Abgrund taumelte - und fast fiel.

Da passte es natürlich, dass der Klub am Vormittag des Spieltags auf seiner Homepage das Bild eines eingescannten Briefs veröffentlichen konnte. In arabischer Handschrift. Er enthielt einige Nettigkeiten ("Ich bin stolz ein Löwe zu sein") und ein bisschen Kritik ("es muss ehrlicher miteinander umgegangen werden"). Autor war nach Angaben der Presseabteilung nicht etwa die Presseabteilung.

Oder Noor Basha, Ismaiks Repräsentant in München, der bekanntlich stets mehr Ehrlichkeit fordert und eine schöne arabische Handschrift hat. Oh nein, dieser Brief, dessen Original seltsamerweise nach nur zehn Minuten wieder von der Klubhomepage entfernt wurde, stamme von Ismaik persönlich. Ob der schwerreiche Geschäftsmann seine Zeilen nun per Post im Briefumschlag verschickt hatte (oder ob er sie nach der Niederschrift händisch eingescannt hatte, um sie als elektronische Datei zu versenden), war unerheblich.

Entscheidend war die gute Wahl des Zeitpunkts. Schließlich hatte das Präsidium des e.V. erst vor wenigen Tagen öffentlich gemacht, dass sich die Gesellschafter dieses arabisch-deutschen Pilotprojekts im deutschen Fußballbetrieb schon lange nicht mehr austauschen im trauten Gespräch. Jetzt gab es plötzlich diesen netten Brief. Alles paletti bei 1860. Zumindest für einen glückseligen Abend durfte man das ja mal glauben.

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