Süddeutsche Zeitung

Abfahrt in Kitzbühel:Matthias Mayer ist nun eine Skilegende

Von Felix Haselsteiner, Kitzbühel

Fast wäre Kitzbühel am Samstag zu einem Ort des Friedens geworden. Als der Österreicher Vincent Kriechmayr mit Startnummer Neun ins Ziel fuhr, blieb die Zeitnehmung bei +0,00 stehen. Ex aequo nennt sich das - und das ausgerechnet mit Beat Feuz, dem heißesten Eisen der notorisch größten Konkurrenten der Österreicher auf der Streif: den Schweizern. Kriechmayr und Feuz fielen sich freudig in die Arme, die Kuhglocken der Schweizer Fans paarten sich mit den Schlachtrufen der Österreicher und selbst ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel schüttelte den Vertretern der Schweizer Delegation einträchtig die Hand. Ein gemeinsamer Sieg der zwei großen Skinationen beim wichtigsten Rennen des Jahres, damit wären eigentlich alle zufrieden gewesen - außer Matthias Mayer.

Vier Starter später nämlich war der zweifache Olympiasieger dran, Österreichs bester Abfahrer. Und weil Mayer von Berufs wegen her Skirennläufer und nicht Diplomat ist, legte er eine fehlerfreie Fahrt hin und kam 22 Hundertstelsekunden vor dem austro-eidgenössischen Duo ins Ziel, die Eintracht zwischen den konkurrierenden Alpennationen hatte nur wenige Minuten gehalten.

Bereits fünf Mal auf dem Podium - aber immer beim Super-G

Mayer hingegen jubelte mit dieser Mischung aus Erleichterung, Erschöpfung und Ekstase, mit der nur diejenigen Rennläufer jubeln, die die Streif nicht nur überlebt, sondern auch noch bezwungen haben. Mayer war in seiner Karriere bereits fünfmal auf einem Siegerpodest in Kitzbühel, allerdings immer nur beim Super-G. Erst als Hahnenkamm-Abfahrtssieger jedoch darf man sich zur Riege der österreichischen Skilegenden zählen, die auch am Samstag wieder in Reih und Glied im Zielraum ihren Nachfolgern zusahen - und genauso erleichtert wirkten wie die Zuschauer.

Seit Hannes Reichelts Sieg 2014 hatten die Österreicher bei ihrem ultimativen Heimrennen auf einen Erfolg warten müssen. "Wir haben es die letzten Jahre doch ein bisserl liegen gelassen", fasste Kriechmayr die Misere der vergangenen Rennen im ORF-Interview fast schon schuldbewusst zusammen. "I g'frei mi einfach", sagte Mayer in seinem kärtnerischen Dialekt. Auf die großen Fragen der Österreicher ("Ist ein Sieg in Kitzbühel wichtiger als ein Olympiasieg?"; "Muss man als Abfahrer schon auch einmal Kitzbühel gewinnen?") hatte Mayer so kurz nach seinem Sieg noch keine Antworten, er grüßte im Fernsehen lieber seinen Taufpaten, der einen runden Geburtstag feierte. Auch auf der Pressekonferenz nach seinem Sieg tat sich Mayer mit Einordnungen noch schwer, immerhin konnte er bestätigen, dass er weiter Ski fahren will: "Zurücktreten werde ich nicht", sagte Mayer mit einem Lächeln auf den Lippen - auch wenn sich eines seiner größten Ziele an diesem Samstag erfüllt hätte.

Es wird ein wenig dauern, bis Mayer die Dimension seines Hahnenkamm-Sieges versteht, die Siegerehrung am Abend, die in Kitzbühel am Samstagabend vor rund 20 000 Menschen stattfand, war ein erstes Indiz dafür, dass es in Zukunft noch einmal einen Unterschied geben wird in der Wahrnehmung des Olympiasiegers Mayer wie bisher und der des Hahnenkamm-Siegers Mayer ab sofort. Sollte Mayer Fragen haben zum Umgang mit dem Sieg, er kann sich an Thomas Dreßen wenden, den Sieger von 2018.

"Das ist das erste Mal, dass ich bester Deutscher bin"

Die größte deutsche Hoffnung dürfte diesmal einen ruhigen Samstagabend verbringen. Dreßen erwischte mit Startnummer Drei einen durchwachsenen Lauf und wurde am Ende knapp hinter Josef Ferstl 26. "Wie soll ich sagen: Das ist ein Ergebnis von Risiko gewesen", sagte Dreßen: "Wenn du da vorne mitfahren willst, dann musst du halt einfach alles riskieren. Entweder es geht auf oder nicht. Heute ist es nicht aufgegangen."

Immerhin Andreas Sander fuhr als Elfter noch nach vorne, das deutsche Ergebnis rettete jedoch ein Österreicher: Romed Baumann, seit dieser Saison nicht mehr für den ÖSV, sondern für den DSV aktiv, fuhr auf Platz Sieben. Sein bestes Ergebnis im deutschen Dress war ein besonderes. "Es ist schon eine Genugtuung", sagte Baumann. Vor einem Jahr hatten die Österreicher ihn nach zwei Trainings in Kitzbühel nicht beim Rennen starten lassen, das sei "der Tiefpunkt" seiner Karriere gewesen. Umso glücklicher war Baumann nun über seine neue Rolle als DSV-Athlet im Weltcup: "Das ist das erste Mal, dass ich bester Deutscher bin - ungewohnt fühlt sich das schon noch an, aber schön."

Baumann freute sich sichtlich über den Jubel seiner neuen Kollegen, konnte gleichzeitig aber auch einen Einblick in das Seelenleben der siegreichen Österreicher geben: "Vincent und Matthias mussten in der letzten Zeit mit sehr viel Kritik umgehen", sagte Baumann: "Ganz Österreich hat diesen Sieg gefordert und sie haben geliefert."

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