Süddeutsche Zeitung

Kitzbühel:Dreßens Kniefall vor der Streif

  • Thomas Dreßen überrascht sich mit dem Sieg auf der legendären Streif selbst am meisten.
  • Der 24-Jährige siegt vor dem Weltmeister Beat Feuz und Hannes Reichelt, der dem Deutschen den Sieg gönnt.
  • Hier geht es zu den Ergbnissen im Weltcup.

Von Saskia Aleythe, Kitzbühel

Was da unten passiert, kriegen die Skifahrer am Starthäuschen in Kitzbühel dann doch ganz gut mit. 860 Höhenmeter ist jenes vom Ziel entfernt und als Thomas Dreßen am Samstagmittag den Hahnenkamm hinunter raste, war sein Abschneiden über die Lautsprecher auch oben am Berg ganz gut zu deuten. "Alle Leute haben gejubelt, jede Zwischenzeit wurde es lauter", berichtete Andreas Sander also, der direkt nach seinem deutschen Kollegen starten sollte, "ich wusste: Wenn sie das letzte Mal schreien und dann nicht mehr: dann ist er im Ziel." Und dann schrien sie tatsächlich noch lauter.

Thomas Dreßen also, 24 Jahre alt, Startnummer 19, fuhr am Samstag zum Sieg in der Abfahrt von Kitzbühel, die als die härteste und bedeutendste der Welt gilt. Im Ziel kniete er sich kurz andächtig hin, dann warf er wieder die Arme in die Luft, "ich dachte, die wollen mich verarschen", sagte er zu dem Moment, als die Eins neben seinem Namen aufleuchtete und dann lag etwas Bemerkenswertes in seinen Erklärungen. Er habe von klein auf davon geträumt, mal in Kitzbühel ins Ziel zu fahren und in Führung zu liegen, sagte Dreßen, so weit, so normal. Doch es war ja tatsächlich erst sein zweiter Start in der Abfahrt auf der Streif gewesen, bestätigte er noch mal, im Vorjahr war er gestürzt. Nun also die erste Zielankunft ohne Sturz und gleich ein Sieg. "Dass ich das auf den ersten Streich geschafft habe, ist einfach nur unglaublich", sagte er.

Jede Gondel, die von der benachbarten Seilbahn auf den Berg fährt, trägt den Namen eines Hahnenkammsiegers, bisher fuhr nur ein Name eines deutschen Weltcup-Abfahrtsiegers mit: Sepp Ferstl, Sieger 1978 und 1979. Nach diesem Januarwochenende kommt Dreßens Name dazu, auf den Tag genau 39 Jahre später. Ferstl gratulierte seinem Nachfolger im Zielbereich beherzt, "Gott sei Dank, dass ich jetzt mal abgelöst bin", sagte der 63-Jährige und ergänzte in breitem Bayerisch: "I hobs gwusst, er hats a bissl drauf."

Österreicher Reichel freut sich über den Erfolg eines Deutschen

Es ist eine bemerkenswerte Saison, die Dreßen bisher erlebt, seine dritte im Weltcup überhaupt erst. Er landet beständig in den Top 15 und konnte Anfang Dezember mit Rang drei in Beaver Creek seinen ersten Podestplatz in der Abfahrt erreichen. Nun also der erste Weltcup-Sieg, ausgerechnet in Kitzbühel, wo es auch oft auf Erfahrung ankommt. "Da fehlen mir die Worte", sagte sein Teamkollege Sander, der starker Sechster wurde, "er ist uns um Längen voraus". Bei der anschließenden Pressekonferenz gab Hannes Reichelt Dreßen Szenenapplaus, der Österreicher war Dritter hinter dem Weltmeister Beat Feuz (Schweiz) geworden und haderte überhaupt nicht damit, von einem Deutschen beim Heimweltcup geschlagen worden zu sein. "Ich bin froh, dass ein Deutscher mal wieder Kitzbühel gewinnt", sagte Reichelt sogar, "das ist unglaublich wichtig für unseren Sport".

Tatsächlich war die Startnummer 19 eine Glücksnummer an diesem Nachmittag gewesen: Pünktlich zum Start von Dreßen kroch auch die Sonne durch die Wolkendecke und bot dem Deutschen so einen perfekten Blick auf den Hang. Reichelt hatte am Vortag die Wahl zwischen Nummer 1 und 19 und wählte die 1, er schaue sich ungern vorm eigenen Start die anderen Läufer an, sagte er und bereute seine Entscheidung auch nach dem Rennausgang nicht. "Wer weiß, vielleicht hat von oben wer zugeschaut und die Sonne ein bisschen mehr scheinen lassen bei mir", scherzte Dreßen. Als der Athlet elf Jahre alt war, starb sein Vater bei einem Seilbahnunglück, natürlich dachte der Skifahrer nun an ihn. "Der Dank geht aber nicht nur nach oben, sondern auch zu meiner Mama", sagte Dreßen, "ohne sie wäre ich jetzt nicht dort, wo ich bin".

Er habe sich die ersten Fahrer vor ihm angeschaut und seine Schlüsse daraus gezogen, einen Plan gemacht, berichtete Dreßen, es muss ja keiner glauben, dass das Wetter allein einen Kitzbühel-Sieger macht. Dreßen gilt schon länger als großes Talent, und dann schaute er also zu, wie Reichelt den Steilhang passierte, "mein Plan ist dann voll aufgegangen". Nicht volles Risiko fahren, "da bist du hier eh schlecht beraten", sagte Dreßen. Trainer Mathias Berthold hatte im Dezember der Deutschen Presseagentur gesagt, wer in Kitzbühel gewinnt, sei unsterblich. "Ich fühle mich jetzt nicht anders als vorher", sagte Dreßen nun, "nur glücklicher".

Nächste Woche steht der Heim-Weltcup in Garmisch auf dem Programm

Schon in einer Woche geht es für den Mann aus Mittenwald nach Garmisch-Partenkirchen, das ist dann sein Heimweltcup, als Kitzbühel-Sieger und Gondel-Verzierer. Dass er mit diesen Titeln für die Olympischen Spiele in drei Wochen nun auch zu den Medaillenkandidaten zählt, machte ihn am Samstag vorerst noch nicht nervös. "Für mich bin ich immer noch ein Außenseiter", sagte Dreßen, "Olympia ist nochmal eine andere Nummer". Seine Lockerheit zeichnet ihn auf der Piste und auch daneben aus, "er fährt unbekümmert, von ihm kann man noch was erwarten", sagte auch Alt-Sieger Ferstl. Dass man nach so einem Sieg auf der Streif einem besonderen Kreis angehört, weiß er natürlich, in seinen Worten klang die Prognose für das Ski-Talent nun so: "Das ist einer armer Hund jetzt, jetzt geht es erst richtig los für ihn. Aber weil er so locker ist, kann er das vielleicht verkraften."

Dreßen selber wusste jedenfalls, was er am Samstag in Kitzbühel noch zu tun hatte: "Ich bin schon eher ein Feiertyp, ich glaube, das gehört schon dazu."

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