Thomas Dreßen in Kitzbühel:Der Ort, der sein Leben komplett veränderte

Kitzbühel: Thomas Dreßen 2020 beim Training auf der Streif

Training am Ort des Triumphs: Thomas Dreßen, 26, in Kitzbühel, wo er vor zwei Jahren in der Abfahrt siegte.

(Foto: dpa)
  • Vor zwei Jahren gewann Thomas Dreßen die Abfahrt in Kitzbühel.
  • Jetzt kehrt der 26-Jährige an den Ort zurück, an dem seine Karriere eine entscheidende Wendung nahm.
  • Über die Frage, ob ein Sportler sich selbst treu bleiben kann, obwohl sich um ihn herum vieles verändert.

Von Johannes Knuth, Kitzbühel

Zu den vielen Dingen, die in Kitzbühel gewaltiger sind als anderswo im alpinen Ski-Weltcup, gehört auch die Siegerehrung am Samstagabend, natürlich: Die Sieger stehen auf dem Balkon eines erleuchteten Hauses, sie schauen auf eine berauschte Menschenmenge, 20 000 waren es vor zwei Jahren, nachdem Thomas Dreßen sensationell die Abfahrt gewonnen hatte. Der 24-Jährige fand damals noch Zeit, dem Stadionsprecher zu danken; der hatte Bekannten von Dreßen vor dem Rennen spontan ein paar Tickets organisiert. Falls er künftig wieder was brauche, sagte Dreßen, wisse er, an wen er sich wenden könne. Der Sprecher antwortete, leicht amüsiert, dass das wohl nicht mehr nötig sei. Wenn Dreßen fortan eines auf Lebenszeit sicher sei, dann der Zugang zu den Skirennen in Kitzbühel.

Es ist immer wieder erstaunlich, wie ein Tag oder auch nur ein Moment ein Sportlerleben in eine völlig neue Spur lenken kann - wie eine Weiche, die einen Zug nach München oder Moskau leitet. Bei Dreßen war es dieser Januartag in Kitzbühel vor zwei Jahren, die großen Favoriten waren schon unten. Und dann kam dieser 24-Jährige, mit den Initialen seines verstorbenen Vaters auf dem Helm, und rauschte in seinem erst zweiten Versuch auf der Streif wie auf Schienen zu seinem ersten Weltcuperfolg - auf jener oft mythisch verklärten Piste, die nicht nur viele Karrieren angeschoben hat, sondern auch viele zertrümmert.

In Neureuthers Schatten - deutsche Sieger im alpinen Ski-Weltcup

13 Felix Neureuther (11 Slalom, 1 Riesenslalom, 1 Parallelslalom)

9 Markus Wasmeier (2 Abfahrten, 6 Super-G, 1 Kombination)

7 Armin Bittner (Slalom)

6 Christian Neureuther (Slalom)

3 Josef Ferstl senior (2 Abfahrt, 1 Kombi), Thomas Dreßen * (Abfahrt)

2 Josef Ferstl junior * (Super-G)

1 Peter Roth (Slalom), Max Rieger (RS), Max Rauffer (Abfahrt), Franz Vogler (Abfahrt), Alois Vogl (Slalom), Linus Straßer * (Parallel-Slalom), Stefan Luitz * (Riesenslalom).

* noch aktiv

Stimmt schon, sagt der 26-Jährige, als er am Mittwoch das Training hinter sich gebracht hat, seinen ersten Lauf auf der Streif seit seinem Triumph: Sein Leben habe sich seitdem komplett verändert.

In Österreich ist Dreßen heimisch geworden - und der Trubel um ihn größer

Es ist schon noch der Dreßen von damals, der sich in diesen Tagen nahbar durch jedes Gespräch bayert. "Mei", sagt er, angesprochen darauf, ob er zufällig mit seiner Gondel auf den Berg gefahren sei, die sie in Kitzbühel jedem Sieger widmen: "Ich warte nicht auf mei Gondel. Ich fahr lieber mit anderen." Und freilich, in der Traverse kurz vor dem Ziel, "da schlagst dich halt umme, da hoffst, dass du gut hinten aussi kimmst". Aber der Trubel, der ihn umgibt, ist schon jetzt spürbar größer.

TV-Sender, Radio, Dutzende Reporter berichten seit Montag über die Streif-Rennen, die erst am Freitag mit dem Super-G beginnen, da wird jedes Wort eines Kitzbühel-Siegers protokolliert, gewogen, verbreitet. Dreßen ist in Mittenwald aufgewachsen, lebt aber seit einer Weile mit seiner Freundin in Oberösterreich, er ist jetzt auch für die heimischen Reporter interessant - bis hin zur Gesinnungsfrage beim Fußball. RB Salzburg oder RB Leipzig?, will einer wissen. "FC Bayern", sagt Dreßen.

Er sei nur ein Mann, der Skifahren wolle, hat Thomas Dreßen einmal gesagt, von daher gefalle es ihm in Oberösterreich auch so prächtig: weil da die Luft so gut sei und das Essen - und er ansonsten seine Ruhe habe. Nur, das mit der Ruhe ist hier so eine Sache, sobald man anfängt, alpine Skirennen zu gewinnen, vor allem die, mit denen sich eine Skination seit Jahrzehnten ihrer Größe versichert. "Mittlerweile werden Fotos gemacht, ob ich den Haufen von meinem Hund wegräume. Das ist kein Spaß", hatte Dreßen zuletzt der Tiroler Tageszeitung gesagt. Er lächelt etwas gequält, als man ihn in Kitzbühel darauf anspricht. Es sei "hier und da ja ganz nett", wenn er erkannt werde, aber wenn er mit der Freundin im Kino sei, da wolle er nicht unbedingt "angesudert" werden. Die Ski-Szene bedauert oft, dass ihre Sportler mit Helmen auftreten, das lasse sich so schlecht vermarkten. Dreßen findet: "Ich sag' immer, das ist unser größter Vorteil."

Das ist der Spagat, den er zunehmend meistern muss: Er, der sich und sein Tun nie als etwas Besonderes empfand, wurde durch einen Januartag zu etwas Besonderem erhoben.

In wilden Abfahrten bleibt Dreßen siegessicher

Noch handhabt er das so souverän, wie er fährt. "Schon beeindruckend", sagt Christian Schwaiger, der vor sechs Jahren die deutschen Abfahrer aus ihrem Tief führte und heute Cheftrainer der Männer ist: "Er hat am Anfang noch Handynummern weitergegeben, das war sicher ein Kardinalfehler", Schwaiger lacht. "Aber er macht das schon sehr professionell. Er sagt auch mal zu etwas ,nein', das muss man auch lernen." Dreßen hat auch nichts dagegen, sich Kraft seiner Prominenz zu sportpolitischen Themen zu äußern, der Preisgeldverteilung etwa: "Ich find's zwar super, dass der Sieger hier 100 000 Euro kriegt", sagt er in Kitzbühel, eine Rekordsumme anlässlich des 80. Auflage. Er finde aber auch, dass die Leistung der Geschlagenen "mehr gewürdigt" gehöre. Er weiß, dass oft schon ein leichter Fahrfehler darüber richtet, ob einer auf Rang 15 eintrudelt, für den noch 2970 Euro ausgeschrieben sind, oder als Streif-Sieger, der heute für österreichische Brausefirmen, Skigebiete und Luxusmode wirbt.

Das ist nach wie vor Dreßens große Stärke, auch in diesem Winter, in dem er nach seinem Kreuzbandriss prompt die Abfahrt in Lake Louise gewann: dass er im Trubel bei sich bleibt; dass er seine Fahrten zu nichts Besonderem macht, weil die Kurse eh schon wild genug sind. Man könne sich kaum vorstellen, sagt Christian Schwaiger, wie schwer es für junge Fahrer sei, sich die Kurse im Weltcup einzuprägen: die Abfolge der Kurven, die Wellen, wo man jeden Schwung ansetzt. Schwaiger erinnert sich an einen von Dreßens ersten Trainingsläufen, die jeder Abfahrt vorgeschaltet sind, "da war er acht Sekunden hintendran. Der wusste im Ziel nicht, wo er ist. Jetzt weiß er genau, was ihm entgegenkommt."

Manchmal sei er sich fast schon zu sicher, finden sie im Verband. In Wengen, als Dreßens Zimmerkollege Manuel Schmid am Abend vor der schweren Lauberhornabfahrt seine Tasche packte, um nach dem Rennen schnell abreisen zu können, sagte Dreßen, dass er darauf verzichte: Er werde nach der Abfahrt ja eh noch zur Siegerehrung gehen, zu der die besten sechs Fahrer geladen werden. Knapp 24 Stunden später stand er auf dem Podest, als Dritter. Dabei hatte Dreßen am Vortag im Ziel-S noch schwer mit der Kontrolle gerungen. Auch am Donnerstag, beim letzten Training vor der Abfahrt am Samstag, rüttelte es ihn im Steilhang mächtig durch. Seine Ski hätten "überhaupt kein Grip gehabt", sagte er später, warum, wusste er auch nicht so recht. Dann lächelte er - wie einer, der sich sicher ist, dass am Renntag schon alles gut wird.

Lange waren die Techniker im DSV in Kitzbühel die Hingucker, für den Slalom am Sonntag. Mittlerweile sind es die Abfahrer, man muss nur die Aufstellung für die Abfahrt studieren: Romed Baumann, Dreßen, Josef Ferstl, Andreas Sander, Manuel Schmid, Dominik Schwaiger. Ferstl, man vergisst das fast, gewann im Vorjahr in Kitzbühel den Super-G, 40 Jahre nach dem Abfahrtssieg seines Vaters. Er zieht also als Titelverteidiger in das erste Streif-Rennen am Freitag, auch wenn ihm gerade fast alles abgeht, was Dreßen auszeichnet. "Wie er mit den Abfahrten im Moment spielt, das ist sehr beeindruckend", sagt Ferstl, "da stimmt einfach das Vertrauen und das Material fast perfekt." Ferstl werden seit diesem Winter die Ski von Heinz Hämmerle präpariert, der zuletzt Lindsey Vonn die Arbeitsgeräte schliff; die Amerikanerin nannte ihn nur "Magic Heinzi". Ferstl sagte am Donnerstag: "Da muss man sich erst zusammenraufen."

Immerhin: Um die Tickets muss auch er sich in Kitzbühel nicht mehr kümmern.

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