Kimmich-Ausfall beim FC Bayern:Die Monster-Lücke

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Joshua Kimmich musste gestützt und fast getragen werden, als er das Stadioninnere verließ. (Foto: AFP)

Nach seiner Verletzung beim 3:2 gegen Dortmund wird Joshua Kimmich mehrere Wochen ausfallen. Für den Meister könnte das zur bislang schwersten Probe der Saison werden.

Von Sebastian Fischer, München

Es war ein Schmerz, den er so nicht zu kennen schien, das legte seine Reaktion nah, festgehalten von der Fernsehkamera, die ihm ins Gesicht filmte. Joshua Kimmich, 25, hat in den vergangenen Jahren auch deshalb einen steilen Aufstieg zu einem der besten und wichtigsten deutschen Fußballer hingelegt, weil er von Zwangspausen weitestgehend verschont blieb.

Auf dem Portal und Branchen-Almanach transfermarkt.de sind in seiner sogenannten "Verletzungshistorie" seit seinem Profidebüt im Jahr 2013 nur wenige Einträge vermerkt, ein Außenbandanriss mit zwei verpassten Spielen für RB Leipzig im Herbst 2014 als Folge ist schon eine der gravierenderen Blessuren. Es passt zur jüngst von seinem Trainer Hansi Flick gewählten Beschreibung Kimmichs als "Mentalitätsmonster", dass in der Liste zum Beispiel auch so etwas steht: Magenprobleme am 2. November 2017; Ausfallzeit: null Tage.

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Diesmal verließ Kimmich den Rasen im Westfalenstadion unter Tränen, gestützt von den Medizinern des FC Bayern. Nach dem 3:2 in Dortmund wurde er am Sonntagabend operiert, wie sein Klub mitteilte. Kimmich hatte sich eine nicht näher definierte Verletzung am rechten Außenmeniskus zugezogen. Ausfallen wird er mehrere Wochen, der Klub geht davon aus, dass Kimmich "im Januar wieder zur Verfügung stehen wird".

Die Szene, in der er sich verletzte, erzählte viel über Kimmich und den FC Bayern. Sie erzählte auch viel über das Spiel, mit dem die Münchner schafften, was sie sich vorgenommen hatten: die "Vormachtstellung im deutschen Fußball" zu sichern, so hatte Flick das gesagt.

Die Dortmunder gefährdeten dies vor allem in Person von Erling Haaland. 34 Minuten waren vorüber, es stand noch 0:0, als der Norweger zu einem vielversprechenden Konter ansetzte. Kimmich hatte den Ball zuvor verloren, also war es auch Kimmich, der eine der schwersten Aufgaben übernahm, die es in der Bundesliga gerade gibt: Er schmiss sich dem 1,94 Meter großen, schnellen, sprintenden Angreifer in den Weg. Selbst das Foul, bei dem er das Knie überstreckte und für das er Gelb sah, während er unter Schmerzen vom Platz humpelte, brachte Haaland nur kurz ins Wanken - wie einen Riesen, der mit Pfeilen im Rücken weiterschreitet. Aber dem Konter nahm die Grätsche das Tempo.

Haaland erzielte am Samstag den Anschlusstreffer zum 2:3, er hatte Gelegenheiten für weitere Tore. Auch Marco Reus, Schütze zum 1:0, stand ziemlich frei, als er kurz vor Schluss die Chance zum 3:3 vergab. "Bayern ist derzeit offensiv extrem stark, steht aber defensiv sehr offen", sagte Mats Hummels, BVB-Abwehrchef mit ausgeprägter München-Erfahrung.

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Nun ist es keine neue Erkenntnis, dass der FC Bayern mit hohem Risiko und sehr weit vor dem eigenen Tor verteidigt. Neu ist schon eher das Eingeständnis Flicks unter der Woche, dass die Viererkette anders als in der Vorsaison derzeit nicht eingespielt sei. Der Grund sind Blessuren und die hohe Belastung. Am Samstag fehlte neben Alphonso Davies und dem einmal positiv auf Corona getesteten Innenverteidiger Niklas Süle auch Benjamin Pavard, der rechts hinten von Sommer-Zugang Bouna Sarr vertreten wurde.

Bayern defensiv anfällig

Die defensive Anfälligkeit ist jedoch wie von Hummels erwähnt der einkalkulierte Preis für kaum zu verteidigende Wucht in der Offensive. Elf Bundesliga-Gegentoren stehen unglaubliche 27 erzielte Treffer gegenüber. In Dortmund traf David Alaba per Freistoß zum 1:1, Robert Lewandowski per Kopfball zum 2:1 und Leroy Sané besonders schön zum 3:1 - der eingewechselte Nationalspieler führte den Ball mit dem linken Außenrist nach innen - und schloss mit dem Spann ab, als das Nach-innen-ziehen eigentlich noch gar nicht vorbei war.

Die Münchner verstehen es gerade auf unnachahmliche Weise, ihre Flügelspieler in Szene zu setzen, was nahezu immer Torgefahr zur Folge hat. Doch ist im Gegenzug ihre hohe erste Verteidigungslinie überspielt, bedeutet das auch oft Gefahr. Wie sich Kimmichs Fehlen auf die Organisation in diesem in seiner Rollenverteilung klaren, in seiner Umsetzung aber anspruchsvollen System auswirkt, das Flick kaum ändern wird, ist nun die Frage. "Neben seiner herausragenden Mentalität hat er eine enorme Qualität. Es wäre nicht einfach, ihn zu ersetzen", sagte der Trainer.

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In Dortmund kam für Kimmich Corentin Tolisso. Er spielte dynamisch und stark wie schon in den Vorwochen. Zuletzt hatte er allerdings eher Kimmichs Nebenmann Leon Goretzka ersetzt. Beide, Tolisso und Goretzka, ähneln sich in ihrer Spielweise, mit der sie den Großraum zwischen eigenem und gegnerischen Sechzehner bearbeiten. Beide sind aber eher nicht solche Strategen, wie Kimmich inzwischen unumstritten einer ist - nicht nur für die Bayern, sondern auch in der Nationalmannschaft, die nun die letzten drei Partien des Jahres ohne ihn auskommen muss.

Vier Transfers kurz vor Ende der Wechselperiode haben den Münchner Kader so aufgestellt, dass jede Position doppelt besetzt ist. Doch immer, wenn er nach Marc Roca gefragt wird, jenem der vier Neuen, der im Mittelfeld eingeplant ist, dann ist aus Flicks Antworten herauszuhören, dass es sich in der Mitte des Spiels um die komplizierteste Position zur Eingewöhnung handelt. Während etwa Außenverteidiger Sarr den Münchner Stil bereits zu adaptieren scheint, kommt Roca bislang auf eine Minute Einsatzzeit in der Bundesliga. An seiner Stelle wird bislang eher der alte Recke Javi Martínez eingewechselt. Kimmich zu ersetzen, wenn auch womöglich nur für ein paar Wochen nach der anstehenden Länderspielpause, das ist das bislang komplizierteste Problem in dieser Saison.

Wie Kimmich selbst damit umgehen dürfte, das beschrieb Thomas Müller. Er übernahm einfach die Wortwahl seines Trainers. In den sozialen Medien nannte er seinen Kollegen: "#Mentalitätsmonster".

© SZ vom 09.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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