Nationalsozialismus:Als der "Kicker" der NSDAP huldigte

Nationalsozialismus: Fußball im Zeichen des Nationalsozialismus: 1936 laufen die Mannschaften aus Deutschland und Italien mit dem Hitlergruß zu einem Länderspiel ins Berliner Olympiastadion ein.

Fußball im Zeichen des Nationalsozialismus: 1936 laufen die Mannschaften aus Deutschland und Italien mit dem Hitlergruß zu einem Länderspiel ins Berliner Olympiastadion ein.

(Foto: Hoffmann/Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Das Sportmagazin legt eine Studie zur eigenen Geschichte während der Zeit des Nationalsozialismus vor. Die Quellen zeigen, wie schnell der weltoffene "Kicker" zum Medium ideologischer Propaganda verkam.

Von Christoph Ruf

Im vorvergangenen Jahr feierte der Kicker sein 100-jähriges Bestehen. So war zumindest der Plan, der auch große Feierlichkeiten in und mit der Stadt Nürnberg vorgesehen hätte, in der seit 1920 das Redaktionsgebäude der Fußballfachschrift steht. Doch diesen Plan vereitelte die Pandemie, die allerdings nichts dagegen ausrichten konnte, dass so ziemlich alle relevanten Medien den Jahrestag gebührend würdigten. Und dem Vernehmen nach hat die Belegschaft ja dann zumindest ein Jahr später intern noch ein wenig gefeiert, ehe nun am Montag, im zweiten Jahr nach dem eigentlichen Jubiläum, eine groß angelegte Studie präsentiert wurde, die die Zeit des Kicker im Nationalsozialismus beleuchtet. Und die markiert gewiss nicht zufällig den Abschluss der Jubiläums-Veranstaltungen.

Entsprechend nüchtern erläuterte der Hannoveraner Historiker Lorenz Peiffer bei der Vorstellung des 432 Seiten starken Buches im Nürnberger Presseclub dann auch das Selbstverständnis, mit dem er und sein Kollege Henry Wahlig vom Deutschen Fußballmuseum in Dortmund an den Forschungsauftrag aus der Redaktion herangegangen seien: "Es ist nicht unsere Aufgabe, Institutionen Blumenkränze zu flechten." Der Sport generell habe "nach 1945 große Probleme gehabt, sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen", sagte Peiffer: "Da herrschte kollektive Amnesie."

Dass die nun überwunden sei, beweise auch der Auftrag des Kicker, der allen 20 Autoren sein digitales Archiv komplett zugänglich gemacht hatte. "Erst seit 20 Jahren wird Fußball als Teil der Geschichte gesehen", sekundierte Kicker -Chefredakteur Jörg Jakob, der die "Aufarbeitung" (Untertitel) gerne auch im Unterricht verwendet sähe: "Ich hoffe, dass das in die Geschichtsstunden Einzug hält."

Die Forscher belegen die tiefe Verstrickung des Fachblatts in die nationalsozialistische Ideologie

Tatsächlich sind die Forschungsergebnisse, die eine tiefe Verstrickung des Fachblatts in die nationalsozialistische Ideologie nachweisen, auch deshalb interessant, weil sie exemplarisch für weite Teile der deutschen Gesellschaft in den Dreißigerjahren stehen. Die Mischung aus Opportunismus, Antisemitismus und völkischem Wahn ist im Fall des Kicker umso tragischer, als das Blatt von einem Mann gegründet wurde, der für das exakte Gegenteil stand. Walther Bensemann war ein libertärer Geist, der sein Blatt zum "Aushängeschild einer weltoffenen liberalen Sportauffassung" (Wahlig) modelliert hatte.

Als 1932 auch für den Juden Bensemann die Lage immer bedrückender wurde, floh er nach Montreux, wo er ein Jahr später starb. Derweil vollzog sich in Nürnberg endgültig ein Gesinnungswandel, der damals weite Teile des Landes zu "Nazi-Deutschland" machte und für Millionen Menschen den Tod brachte. Auch in der Kicker-Redaktion ging der ideologische Verfall mit dem zwischenmenschlichen einher. Bensemanns Nachfolger Hanns-Jakob Müllenbach hatte seine Karriere bis dato vor allem der Fürsprache Bensemanns zu verdanken. Nun, von den neuen Machthabern mit dem Titel des "Hauptschriftleiters" versehen, gab es im Kicker neben der durchgehenden fußballspezifischen Berichterstattung plötzlich Jubeltexte über SA-Aufmärsche in Nürnberg zu lesen. Und zwar schon lange, bevor das "Schriftleitergesetz" Anfang 1934 in Kraft trat und die Pressefreiheit außer Kraft setzte.

Nationalsozialismus: Ausschnitt des Covers von ",Einig. Furchtlos. Treu.' Der ,Kicker' im Nationalsozialismus - eine Aufarbeitung." Lorenz Peiffer, Henry Wahlig (Hrsg.), Verlag Die Werkstatt, 432 Seiten, ISBN 9783730706213. 39,90 Euro.

Ausschnitt des Covers von ",Einig. Furchtlos. Treu.' Der ,Kicker' im Nationalsozialismus - eine Aufarbeitung." Lorenz Peiffer, Henry Wahlig (Hrsg.), Verlag Die Werkstatt, 432 Seiten, ISBN 9783730706213. 39,90 Euro.

(Foto: Kicker/oh)

Mit Kriegsbeginn konstatieren die Autoren der Studie dann die nächste Eskalationsstufe: Das vom anglophilen Bensemann, der jahrelang als Lehrer in England gearbeitet hatte, gegründete Blatt berichtete plötzlich nicht mehr über den englischen Fußball, der immer als Referenzgröße gegolten hatte. Schließlich hatte die NS-Propaganda England als das Land gebrandmarkt, das den Zweiten Weltkrieg vom Zaun gebrochen habe. Ein reines NS-Verlautbarungsblatt wurde der Kicker auch damals nicht, die mal nüchterne, mal etwas feuilletonistischere Sportberichterstattung blieb quantitativ der Schwerpunkt. Doch immer dann, wenn es weltanschaulich wurde, dürfte der Tonfall auch dem ebenfalls in Nürnberg ansässigen Stürmer-Herausgeber Julius Streicher gut gefallen haben.

So huldigte der Kicker der NSDAP in einem Gastartikel als "große Freiheitsbewegung des deutschen Volkes" und feierte Hitlers Überfall auf Polen unter der programmatischen Überschrift: "Einig. Furchtlos. Treu." Und das selbstredend aus der Feder des stilistisch limitierten "Hauptschriftleiters" höchstpersönlich. "Es gibt Tausende weitere Beispiele, wo Leute umkippen, sich auf Linie bringen", so Peiffer bei der Buchvorstellung am Montag: "Da ist Müllenbach ein leuchtendes Beispiel."

So sieht es auch der Göttinger Publizist Bernd Beyer, der das Müllenbach-Kapitel in "Einig. Furchtlos. Treu" beigesteuert hat und mit seiner Bensemann-Biographie 2003 den Grundstein dafür legte, dass der Kicker sich seit einigen Jahren sehr offensiv auf das publizistische Vermächtnis seines Gründers beruft. Auch Beyer war nach dem Quellenstudium überrascht, "in welcher Geschwindigkeit das Erbe Bensemanns von einem strammen NS-Kurs und untertänigen Lobhudeleien aus der Feder Müllenbachs abgelöst wurde".

Dass das alles nun wissenschaftlich dokumentiert ist, markiert eine Zeitenwende, die bei der Nürnberger Veranstaltung als abgeschlossen bezeichnet wurde. Der Fußball, so Henry Wahlig, habe jahrzehntelang den Mantel des Schweigens über seine Vergangenheit gelegt, weil er bis in die Neunziger an der Fiktion festgehalten habe, Sport und Politik seien getrennte Welten. Das ist allerdings eine Argumentationsfigur, die man auch in der zweiten Jahreshälfte 2022 noch häufiger hören wird, wenn Sportler und Funktionäre die Teilnahme an der WM in Katar schönzureden versuchen.

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