Süddeutsche Zeitung

Kevin Kuranyi:Ein angenehm aufrichtiger Stürmer

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Von Philipp Selldorf

Die am Freitag verbreitete Nachricht, dass Kevin Kuranyi seine Fußballerkarriere beendet, wird die Fußballnation weniger erschüttern als verwundern. Viele Menschen werden sich fragen, ob er nicht sowieso schon längst aufgehört hat. Sein Engagement bei der TSG Hoffenheim wurde im vorigen Sommer in aller Stille aufgelöst. Es hatte sich für beide Seiten allenfalls unwesentlich rentiert. Seitdem hatte sich Kuranyi eher halbherzig um die nächste Beschäftigung bemüht.

Der FC Augsburg zeigte sich zwischenzeitlich interessiert, doch man kam nicht zusammen, Angebote aus dem Ausland reizten, aber überzeugten ihn nicht. Nach Brasilien hätte er gehen können, wo er in Rio de Janeiro zur Welt gekommen war, darüber habe er "tagelang nachgedacht", verriet er der dpa. Schließlich entschied er zugunsten der Familie, die sich längst wieder in Stuttgart eingerichtet hatte. Dort hatte die Karriere beim VfB begonnen, als VfB-Spieler war er unter Aufsicht von Rudi Völler in die Nationalelf eingetreten. Alle wollten in ihm den Vertreter einer neuen, besseren Spieler-Generation sehen. Ein Vorsatz, der sich trotz 275 Bundesligaspielen mit 111 Toren und 52 Länderspiel-Einsätzen mit 19 Treffern nicht ganz erfüllte, was seiner Zufriedenheit mit dem eigenen Dasein aber nie in die Quere kam. Kuranyi ist nicht nur ein liebenswürdiger Mensch, er ist auch jemand, der in beneidenswerter Harmonie mit sich selbst bestens auskommt.

Nicht mal mehr auf der Bank - 2008 floh er aus dem Stadion

Die Zeiten, in denen Kuranyi, 35, zum Establishment der Bundesliga gehörte, liegen nun schon lange zurück. 2010 hatte er die Liga nach seiner wahrscheinlich besten Saison verlassen, um nach China zu gehen. In Wahrheit ging er zwar nach Russland zu Dynamo Moskau, aber die Konsequenz war damals ungefähr die gleiche, wie sie es heutzutage ist, wenn einer nach China geht: Der Spieler zieht dem sportlichen Anspruch das Geldverdienen vor. "Das Gesamtpaket stimmt", hatte Kuranyi gesagt, als er seinen Entschluss bekannt machte, und er ließ auch keinen Zweifel daran, dass ihm an diesem Paket vor allem die Bezahlung gefiel. "Alles andere zu behaupten, wäre heuchlerisch, und ich habe nicht vor, euch für dumm zu verkaufen", erklärte er angenehm aufrichtig.

In jenem Frühling vor sieben Jahren hätten Kuranyi auch andere Möglichkeiten offen gestanden. Er hatte 18 Tore für Schalke 04 erzielt, es gab viele Interessenten für den ablösefreien Mittelstürmer, der weitaus treffsicherer war, als es seinem oft belächelten Image entsprach - während seiner fünf Spielzeiten in Gelsenkirchen hatte er jeweils zweistellig getroffen. Eine Karriere-Option allerdings kam fürs Erste nicht mehr in Frage: In die Nationalmannschaft würde er nicht mehr zurückkehren, zumindest nicht, solange sie von Jogi Löw trainiert würde. In den Monaten vor der WM 2010 war Kuranyis Wiederaufnahme ins DFB-Team ein führendes Thema. Löw trotzte jedoch dem Trend, der für Kuranyis Reaktivierung votierte. Lieber vertraute er den Angreifern, denen er immer traute, obwohl sie verletzt oder außer Form waren.

Löws Verzicht beruhte auf einer Geschmacks-Entscheidung. Den Vorfall, der ein unvergessliches Merkmal von Kuranyis Laufbahn wurde, sah er bloß noch als Marginalie. Spurlos war Kuranyi im Herbst 2008 während eines Länderspiels in Dortmund von der Tribüne geflohen, Vertraute erschienen später im Teamhotel, um seine Sachen abzuholen. Kuranyi hatte es nicht verkraftet, dass nicht mal auf der Reservebank Platz für ihn war. Löw verhängte daraufhin die Verbannung auf Lebenszeit. Das Urteil hob er zwar auf, aber berufen hat er den Flüchtigen trotzdem nicht mehr. Zum Abschied 2010 gab's immerhin ein versöhnliches Wort. Kevin Kuranyi sei "charakterlich einwandfrei", befand Löw. Und: Recht hatte er damit.

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SZ vom 25.03.2017
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