Kevin Kuranyi:Die bessere Lösung

Der Fall Kuranyi: Es geht um Löws Glaubwürdigkeit, um den immer wieder beschworenen Leistungsgedanken - und um die stärkste deutsche Angriffsreihe.

Philipp Selldorf

Im Herbst vor anderthalb Jahren war der Fall Kevin Kuranyi vor allem deswegen von besonderem Interesse, weil er so skurril war. Noch nie in 100 Jahren DFB-Historie war es passiert, dass ein Nationalspieler mitten im Länderspiel grußlos verschwindet und nicht mehr heimkehrt ins Teamhotel, stattdessen zwei Freunde schickt, um die Sachen zu holen.

Seine Verzweiflung über seine Statistenrolle, das menschliche Drama also, hat Kuranyi hier und da Mitgefühl eingetragen, aber die brutale Wahrheit ist die, dass sich das Gros des Publikums über seine Tat amüsiert hat. Und die andere brutale Wahrheit ist, dass viele Leute ohnehin meinten, Kuranyi werde der Nationalelf nicht fehlen. Es gab ja Klose und Podolski und mit Gomez und Helmes eine zweite Sturmreihe, die hoffen ließ. Kuranyis Moralvergehen war daher nur der Vordergrund der Geschichte, dahinter stand seine geringe sportliche Geltung.

Joachim Löw hat Kuranyi seitdem nicht vermisst, und die Mehrheit des Fußballvolks nahm auch wenig Notiz vom geächteten Angreifer, doch das hat sich - spätestens - nach diesem Wochenende geändert. Seitdem steht Kuranyi nicht nur bei Felix Magath im Verdacht, der aktuell beste deutsche Stürmer zu sein.

Jeder kann das nun an der Schützenliste ablesen, aber der Bundestrainer hätte es vorher wissen können. Der krasse Gegensatz zwischen Kuranyis inzwischen konstanter Hochform und dem siechen Leistungsstand von Klose, Podolski, Helmes und - trotz zehn Ligatoren - Gomez besteht nicht erst seit dem Wochenende.

Zurzeit dürfte sich Löw manchmal fragen, ob er sein Urteil damals so endgültig hätte fällen müssen - und nun hat er das Problem, dass jede Reaktion für ihn unangenehm ist: Belässt er es bei der Verbannung, wird man ihn dafür ständig kritisieren. Hebt er den Ausschluss auf, den er selbst zur Prinzipiensache erhoben hat, steht er unter akutem Erklärungsbedarf.

Die Begnadigung scheint derzeit die bessere Lösung zu sein. Es geht um Löws Glaubwürdigkeit bei der Auswahl der Spieler für die WM, um den immer wieder beschworenen Leistungsgedanken - und um die stärkste deutsche Angriffsreihe. Das sollte einem Sportpädagogen eigentlich am wichtigsten sein.

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