Vielleicht gibt es niemanden auf der Welt, der besser geeignet wäre, sich über Kevin De Bruyne zu äußern als Thomas Schaaf. Schaaf war eine Ewigkeit Trainer von Werder Bremen und zeichnete sich nicht dadurch aus, allzu leicht in Euphorie zu verfallen, schon gar nicht hätte er ein Wort zu viel gesagt, das nicht hätte gesagt werden müssen. Als das Transfersystem 2012 diesen ziemlich talentierten Belgier an die Weser spülte, weil der FC Chelsea mal sehen wollte, was dieser eher gutmütig ausschauende Junge wirklich draufhat, da beschrieb ihn Thomas Schaaf im Kicker so: "Technisch stark, genaues Passspiel, setzt andere in Szene, geht selbst in die Spitze."
Der Norddeutsche würde nun 'Jo' sagen, was soll man da noch ergänzen? Und Kevin De Bruyne, geboren in Drongen, wo man die Nordsee ja noch riechen kann, hat das wahrscheinlich gefallen. Als er später zu Manchester City ging, sagte er den dortigen Journalisten zur Begrüßung: "Mit mir werdet ihr nicht viel Spaß haben. Ich rede nicht viel."
Nun, bei dieser Weltmeisterschaft muss Kevin De Bruyne ein bisschen reden, es geht einfach nicht anders. Er ist der dominierende Spieler in einer belgischen Mannschaft, die gerade Brasilien ausgeschaltet hat und nun im Halbfinale auf Frankreich trifft. Also sagt er Sachen wie: "Ich muss dafür sorgen, dass unsere Spieler am Ball entspannen können." Oder: "Ich tue alles, was nötig ist, um zu gewinnen." Oder: "Wir sind im Halbfinale. Jetzt wollen wir ins Finale." Teamkameraden wie Thomas Vermaelen sagen dagegen schon Sachen wie: "Es gibt Spieler in Belgien, die die Chance haben, den Goldenen Ball zu gewinnen." Der beste Fußballer der Welt bekommt den Goldenen Ball, und es ist nicht so schwer, sich auszumalen, wen Vermaelen meint.
Belgiens Trainer Roberto Martinez sagt über De Bruyne: "Er ist immer noch unterschätzt." Das ist wohl der Preis des Schweigens eines Fußballers, der wenigstens ein bisschen so aussieht wie der belgische Comic-Held Tim aus "Tim und Struppi". Cristiano Ronaldo zelebriert sich auf allen Kanälen, Lionel Messi erfährt in Argentinien und Barcelona quasi-religiöse Verehrung - sowas ist De Bruyne fremd. Als er in Wolfsburg spielte, fragte ihn das Magazin 11Freunde, ob er wenigstens mal in einem der Mode-Läden der Stadt shoppen gehe. Er sagte, er ruhe sich lieber aus. Auf Nachfrage ("Ach, kommen Sie!") meinte er: "Warum? Ich schlafe nun mal gerne!"
Wie De Bruyne beidfüßig wurde
Dabei ist seine Art Fußball zu spielen so ziemlich das komplette Gegenteil einer ruhigen, fast schon lethargischen Art. Sein Trainer Martinez nennt ihn den "ultimativen Spielmacher", selbst bei dieser Weltmeisterschaft hat er schon fast alle Positionen gespielt, als defensiver Sechser, als offensiver Zehner, manchmal als Flügelstürmer - es ist fast egal, hauptsache, er hat möglichst viel Raum um sich, den er bespielen und beherrschen kann. Die englische Zeitung The Guardian nannte ihn mal "den Puppenspieler", weil sich ein Spiel so bewegt, wie er es lenkt.
Kevin De Bruyne ist vielleicht gerade der modernste Fußballer - kein klassischer Spielmacher wie Andrea Pirlo oder Xavi Hernandez, die den Ball brillant nach vorne zu den Vollstreckern lieferten. De Bruyne serviert zwar auch (er hält etwa in der Bundesliga immer noch den Rekord für die meisten Vorlagen in einer Saison) - kann aber auch einfach selbst zum Angreifer werden wie gegen Brasilien. In einer Zeit, in der Deutschland und Spanien scheitern, weil sie den Ball nicht vors Tor kriegen, zieht De Bruyne einfach selbst vors Tor, wenn das Spiel diese Fähigkeit gerade von ihm verlangt. Wie zum Beispiel gegen Brasilien. Er ist übrigens nahezu beidfüßig, weil seine Eltern ihm verboten, im Garten mit seinem starken rechten Fuß zu schießen, weil er damit Blumentöpfe kaputt machte. Es hieß dann: Entweder du schießt mit links, oder du darfst nicht mehr spielen. So hat es De Bruyne jedenfalls mal der SportBild erzählt.
Weil er wenig spricht und seine Körpersprache abseits des Platzes nun mal die eines Mannes ist, der von sich sagt, dass er gerne schläft, unterschätzt man auch seine kämpferische Ader. Als er den DFB-Pokal 2015 mit dem VfL Wolfsburg gegen Klopps Dortmunder gewann, spielte er fast das komplette Pokalfinale mit einer acht Zentimeter langen und einem Zentimeter tiefen Risswunde im rechten Fuß. In der Schlussphase des Viertelfinals gegen Brasilien stand er vor den wenigen belgischen Fans und animierte sie zum Anfeuern. Als er von Bremen zurück zum FC Chelsea kam, sortierte ihn José Mourinho aus, nur so kam er nach Wolfsburg. Dort kam sein Landsmann und Freund Junior Malanda im Alter von 20 Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Das prägte ihn.
Bei Manchester City ist er nun der Fixpunkt des Spiels. Pep Guardiola wollte ihn schon zum FC Bayern holen, aber der englische Scheich-Klub bot mehr Geld und zahlte 75 Millionen Euro. Nun kamen die beiden dort zusammen. "Ohne Ball ist er ein Kämpfer, mit Ball sieht es ja jeder", sagte Guardiola mal. Und: "Von seiner Spielweise her ist es schwierig, einen besseren in Europa zu finden." Wobei Guardiola natürlich eher zu Übertreibungen neigt als Thomas Schaaf.