Angelique Kerber:"Ich gehe diesen Weg mit extremen Auf und Abs"

2019 US Open - Day 1

Angelique Kerber (l.) gratuliert Kristina Mladenovic.

(Foto: AFP)
  • Nach ihrer Erstrunden-Niederlage bei den US Open wird Angelique Kerber dafür kritisiert, ohne Trainer angetreten zu sein.
  • Die dreifache Grand-Slam-Siegerin widerspricht und begründet das Aus damit, "dass mir derzeit Matches und damit auch das Selbstvertrauen fehlen".
  • Wann sie einen neuen Trainer präsentiert, lässt Kerber offen.

Von Jürgen Schmieder, New York

Es muss einem Menschen doch auch mal gegönnt sein, in Ruhe gelassen zu werden. Einen Weg zu gehen, ohne dass an jeder Gabelung gleich mehrere Wegweiser die Richtung vorgeben. Etwas zu probieren, ohne dass es sogleich bewertet wird. Und ja, auch dies: Fehler zu machen, die nicht sofort verdammt werden. Es ist freilich problematisch, wenn das Leben derart öffentlich stattfindet wie bei Profisportlern und wenn es nicht wenige Leute gibt, die ihr Geld damit verdienen, am Wegrand Hinweisschilder zu positionieren und vermeintliche Fehler für alle Welt hörbar zu kritisieren. Wenn es dann bei jemandem nicht so läuft, dann ist das der Beweis für die Besserwisser, dass sie es tatsächlich besser gewusst haben und es deshalb auch für die Zukunft besser wissen.

Angelique Kerber hat die Turniere in Nordamerika zuletzt ohne Trainer bestritten. "Ich habe mich bewusst entschieden, diese Reise alleine zu machen", sagte sie nach ihrer Niederlage in der ersten Runde der US Open gegen die Französin Kristina Mladenovic. Seit der Trennung von Coach Rainer Schüttler im Juli hat sie kein Spiel mehr gewonnen, bei den Turnieren in Toronto, Cincinnati und nun New York ist sie jeweils in der ersten Runde ausgeschieden.

Wer es gut mit ihr meint und es besser weiß, der behauptet nun, dass diese Entscheidung ein Fehler gewesen sei. "Ich kann nicht ganz verstehen, dass sie ohne Trainer angetreten ist", sagte Boris Becker, professioneller Tennis-Wegweiser beim Fernsehsender Eurosport: "Wenn der Groschen jetzt nicht gefallen ist, wann dann?" Das Urteil von Bundestrainerin Barbara Rittner fiel noch drastischer aus: "Mit Coach hätte sie die Partie nicht verloren. Sie ist niemand, der längere Zeit alleine sein sollte." Schon vor der Partie hatte Rittner gesagt: "Sie ist ein Mensch, der trotz der Erfolge immer wieder zweifelt, sich hinterfragt, sich unwohl fühlt und alleine fast ein bisschen depressiv oder traurig wird."

Kerber reagiert gelassen

Das sind harte Urteile, durchaus persönliche Angriffe, auf die Kerber gelassen reagierte: "Ich lasse mir von niemandem Druck machen. Dass ich verloren habe, liegt sicherlich nicht daran, dass ich keinen Coach habe; sondern dass mir derzeit Matches und damit auch das Selbstvertrauen fehlen. Ich werde keine emotionale Entscheidung treffen, sondern mir Zeit lassen." Es könne durchaus sein, dass sie das Tennisjahr allein beenden und der neue Trainer erst zur neuen Saison vorgestellt werde: "Ich habe tatsächlich noch keine Ahnung, in welche Richtung das gehen wird."

Das Ergebnis gegen Mladenovic (5:7, 6:0, 4:6) klang nach einer typischen Kerber-Partie, von denen sie in ihrer Karriere schon so viele erlebt hat. Auch in dieser Saison ging ein Drittel ihrer Matches über die volle Satzdistanz. "Dieses Auf und Ab gehört zu meiner Karriere, damit muss ich leben", sagte sie: "Diese Extreme haben aber auch dazu geführt, dass ich drei Grand-Slam-Turniere gewonnen habe."

Es war jedoch, genau betrachtet, keine typische Kerber-Partie, eher ähnelte das Spiel der Niederlage bei den US Open 2015 gegen Viktoria Asarenka: ein taktisch spannender und technisch hochklassiger Vergleich, der beste des gesamten Frauenturniers damals, nach dem Kerber eine nun berühmte Textnachricht an Rittner verfasste: "Das soll wohl nicht klappen mit mir!" Fünf Monate später gewann sie in Australien ihr erstes Grand-Slam-Turnier, das schlimmstmögliche Scheitern führte letztlich zum größtmöglichen Erfolg.

Die Partie am Montag war ebenfalls ein taktischer Leckerbissen, weil Mladenovic variabel und geduldig agierte. Sie wählte mit der Rückhand meist die sicheren und langsameren Varianten Topspin-Mondball oder Slice auf Kerbers Rückhand. Auf Druck mit der Vorhand ließ sie bisweilen einen gefühlvollen Stopp folgen. So etwas nervt Kerber, die beste Konterspielerin der Welt, die ähnlich einer Karate-Kämpferin das Tempo und den Schwung ihrer Gegnerinnen braucht, um die Bälle noch schneller und noch präziser übers Netz zurückspielen zu können.

Sie habe akzeptiert, dass ihre Karriere wie eine Achterbahn verlaufe, sagt Kerber

Nur, und da wurde es interessant: Mladenovic war herausragend vorbereitet, sie hat fantastisch agiert. Doch auch Kerber hat wahrlich nicht schlecht gespielt. Sie hat leichte Fehler gemacht, gewiss, und sie hat Ballwechsel nicht konsequent beendet. Kerber kann sich in solche Partien hineinfuchsen, die zu ihrer Karriere gehören wie die Schirmkappe, und wenn sie so spielt, wie sie das am Montag getan hat, dann gewinnt sie diese Matches mittlerweile meistens. Als Kerber nach dem 6:0 im zweiten Satz mit doppelter Faust zum Seitenwechsel marschierte und zu ihrer aufgewühlten Gegnerin blickte, der zudem noch der Rücken zwickte, da waren sich knapp 100 Prozent der Zuschauer sicher: Das wird Kerber nun gewinnen. Sie verlor jedoch, obwohl sie gut gespielt hatte. Wie damals, gegen Asarenka.

Kerber hat 2015 nicht nur diese Textnachricht an Barbara Rittner geschickt, sondern auch eine an Steffi Graf, und es heißt nun immer wieder, dass Graf danach zur Wegweiserin für Kerber geworden sei: zum Fixstern für die kommenden Erfolge. Dabei haben die beiden gar nicht miteinander gearbeitet, und der wichtigste Hinweis von Graf hatte nichts mit Vorhand und Beinarbeit oder den mentalen Aspekten von Tennis zu tun. "Sie hat mir gesagt, dass ich meinen eigenen Weg gehen muss", hatte Kerber damals über die gar nicht einmal so vielen Gespräche und SMS gesagt: "Ich musste diesen selbst Weg finden, und ich musste ihn dann auch selbst gehen."

Was Kerber nun nach dieser Erstrundenniederlage sagte, hörte sich ein wenig an wie damals. Nur dass sie nun, im Alter von 31 Jahren und dekoriert mit drei Grand-Slam-Titeln (bei den Australian Open 2016, US Open 2016 sowie Wimbledon 2018) selbstbewusst wirkt, was ihre Zukunft angeht. Sie habe akzeptiert, dass ihre Karriere wie eine Achterbahn verlaufe, nun durchfahre sie eben mal wieder ein Tal. Die noch laufende Saison dauert nicht mehr lang, für die WTA-Finals in der chinesischen Stadt Shenzhen Ende Oktober dürfte sie sich nicht mehr qualifizieren.

"Ich gehe diesen Weg mit extremen Auf und Abs", sagte Angelique Kerber. Und dann setzte sie noch eine Botschaft an alle ab, die glauben, ihr an dieser Karrieregabelung den rechten Weg weisen zu müssen: "Ich bin erfahren genug und weiß genau, was auf mich zukommt. Ich lasse mir die Zeit, die ich brauche." Oder auf gut Deutsch gesagt: Lasst mich doch einfach mal in Ruhe!

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