Kerber und Görges in Wimbledon:"Ein deutsches Finale wäre natürlich schön gewesen"

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Forschheit gegen Abgeklärtheit: Angelique Kerber wählte gegen Jelena Ostapenko die richtige Herangehensweise. (Foto: Andrew Couldridge/Reuters)
  • Angelique Kerber hat das Halbfinale in Wimbledon gegen Jelena Ostapenko in zwei Sätzen (6:3, 6:3) gewonnen und steht im Endspiel.
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Von Gerald Kleffmann, Wimbledon

Dieser besondere Tag, an dem es für zwei Deutsche um den Einzug ins wichtigste Finale des Tennissports gehen sollte, begann mit einer Enttäuschung. Während die Royal Box und die Tribünen im Centre Court sich langsam füllten, stolzierte ein Vogel mit langen, dünnen Beinen auf dem Hauptplatz umher. Wo war Rufus, wenn man ihn brauchte? Der dressierte Wüstenbussard, der in Wimbledon morgens seine Runden dreht, um anderes Gefieder zu verscheuchen, war weit und breit nicht zu sehen. Glücklicherweise verzog sich der kleine Besucher von allein, und nach Lage der Dinge hatte er keinen Schaden angerichtet, so dass pünktlich um 13 Uhr Ortszeit die beiden ersten Duellantinnen erscheinen konnten.

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Vorneweg marschierte Jelena Ostapenko, dahinter Angelique Kerber, und das war schon fast sinnbildlich die Rollenverteilung, die im Spiel vorherrschen sollte. In ihrem ersten Wimbledon-Halbfinale drängte die Lettin nach vorne, und die Kielerin, in ihrem dritten Halbfinale im All England Club, agierte von hinten. Angriff gegen Defensive, Forschheit gegen Abgeklärtheit, in ihren Anlagen können zwei Gegnerinnen kaum unterschiedlicher sein.

Kerber jubelt erneut in Wimbledon

Es war, das zeigte sich schnell, die perfekte Taktik. Für Kerber, die jubeln durfte. Ihre Kollegin Julia Görges schaffte es anschließend nicht, das erste deutsche Endspiel in Wimbledon seit 1931, als Cilly Aussem Hilde Krahwinkel besiegte, perfekt zu machen. Bei ihr lag es aber nicht an der falschen Ausrichtung. Die 29-Jährige, die ein wunderbares Turnier gespielt und erstmals ein Halbfinale bei einem der vier Grand Slams erreicht hatte, scheiterte 2:6, 4:6 an der 23-maligen Grand-Slam-Gewinnerin Serena Williams aus den USA. Ostapenko tappte in der ersten Partie am Donnerstag in ihre eigene Offensivfalle.

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Ungestüm streute sie die Bälle, es dauerte nur 68 Minuten, da war ihr Schicksal besiegelt: Die 21-Jährige verpasste ihr zweites Grand-Slam-Finale, 2017 hatte sie bei den French Open triumphiert. Kerbers 6:3, 6:3-Sieg war unprätentiös und nur kurz spannend, als Ostapenko nach dem 1:5-Rückstand im zweiten Satz etwas herankam. "Es war ein hartes Match, Jelena kämpft immer bis zum letzten Punkt", sagte Kerber im ersten Interview: "Den musst du gewinnen, anders geht es nicht. Ich bin wirklich glücklich und stolz, hier wieder im Finale zu stehen. Das war mein Traum, seitdem ich ein Kind war."

Letztgenanntes stimmte sicher. Aber dass es ein hartes Match war, dieses Urteil entsprang wohl dem Anliegen, fair und freundlich gegenüber der Unterlegenen sein zu wollen. Die fehlende Spannung lag nicht an Kerber, der Rechtshänderin, die mit links spielt und nun ihre zweite Chance nach 2016 erhält auf die Rosewater Dish, den silbernen Präsentierteller. 36 unerzwungene Fehler unterliefen Ostapenko, Kerber nur sieben. Sie verwaltete cool ihre Führung und ließ sich nicht von 30 Gewinnschlägen Ostapenkos beirren.

Kerber wusste: Der nächste Fehler kommt. Bei 126 ausgespielten Punkten dauerten die Ballwechsel 84 Mal nicht länger als vier Schläge. Und bloß sechsmal kam es vor, dass ein Ballwechsel sich über neun oder mehr Schläge zog. Wenn diese Alles-oder-nichts-Strategie von Ostapenko aufgeht, sieht es spektakulär aus wie ein Kanonenschießen.

Wenn es nicht funktioniert, wirkt ihr Auftritt wenig intelligent. Kerber hatte sich - anders als im Viertelfinale gegen die variantenreiche Russin Daria Kassatkina - richtig entschieden, diesmal eine Nuance passiver zu sein. Diese Abgezocktheit war ihr Verdienst - und der von Trainer Wim Fissette. Der Belgier, der im vergangenen Herbst Torben Beltz als Kerbers Coach ablöste, hat seinerseits einen Erfolg verbucht. Zum zweiten Mal führte er eine deutsche Spielerin ins Wimbledon-Endspiel: 2013 gelang ihm dies mit Sabine Lisicki, die gegen die Französin Marion Bartoli dann glatt verlor.

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Die 30 Jahre alte Kerber hat bereits zwei Grand-Slam-Titel errungen, 2016 gewann sie die Australian Open und danach die US Open. Am Samstag bestreitet sie auf ihrem bevorzugten Belag, auf dem stets am ehesten mit einem Erfolg von ihr gerechnet worden war, das vierte Grand-Slam-Endspiel ihrer Karriere. Neben dem Pay-Sender Sky überträgt nun auch das ZDF überraschend diese Partie ab 15 Uhr deutscher Zeit. "Ein deutsches Finale wäre natürlich schön gewesen", sagte Kerber, "ich freue mich trotzdem auf Samstag." Letzte deutsche Siegerin in Wimbledon war Steffi Graf, die 1996 beim Erfolg gegen die Spanierin Arantxa Sánchez Vicario ihren letzten von sieben Titeln an der Church Road errungen hatte. Görges hatte vor allem gegen die Aufschlagwucht von Williams lange Zeit wenig Mittel, ihr gelang zwar ein spätes Break, aber Williams nahm der Deutschen viermal das Aufschlagspiel ab, das entschied statistisch betrachtet das Duell in 70 Minuten. Es war aber enger, als es solche Werte ausdrückten. Es hatte viele knappe Einzelspiele gegeben. "Ich habe gespürt, dass ich den Ball sauber treffe", berichtete Görges, die ihren ersten Auftritt auf dem Centre Court ganz bewusst genossen hatte. "Insgesamt glaube ich, sie wusste dank ihrer Erfahrung, wie sie dieses Match gewinnt, und ich war noch nicht auf dieser Bühne in meiner Karriere." Unerschrocken hatte Görges trotzdem agiert, und dass Williams meinte, sie habe ihr "A-Game" zeigen müssen und sie von Görges' energiegeladenem Spiel schwärmte, drückte den Respekt aus, den sie sich verdient hatte. "Ich reise auf jeden Fall mit erhobenem Haupt ab", sagte Görges, die in die Top Ten zurückkehren wird, wo sie Anfang des Jahres schon einmal gestanden war. "Es ist verrückt, ich weiß nicht, was ich fühlen soll", sagte Williams. Sie hatte zwar 13 Monate pausiert, weil sie Mutter geworden war, aber in ihrem erst vierten Turnier seit der Rückkehr wirkt die frühere Weltranglisten-Erste so dominant wie zuvor.

Lächelnd erinnerte sich Williams daran, dass sie ihr letztes Wimbledon-Match vor diesem Jahr 2016 im Finale gegen Kerber bestritten und gewonnen hatte. "Sie ist in jedem Fall eine sehr gute Rasenspielerin", sagte sie, "egal, was passiert, es ist jetzt schon ein unglaublicher Erfolg für mich." Das gilt ebenso für die beiden Deutschen, auch wenn sich ihre Wege nun doch im vorletzten Moment getrennt haben.

© SZ vom 13.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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