Süddeutsche Zeitung

Tennis in Indian Wells:Himmel in der Höllenhitze

Angelique Kerber steht beim Masters-Turnier in Indian Wells nach zwei Schlachten im Achtelfinale - sie braucht diese Dramen, um selbstbewusst zu werden und wieder große Turniere gewinnen zu können.

Von Jürgen Schmieder, Indian Wells

Es ist, man kann das nicht oft genug betonen, unfassbar heiß in der kalifornischen Wüste, und das bedeutet beim Tennisturnier in Indian Wells: Die Leute legen sich feucht-gekühlte Handtücher unters Hinterteil, weil die dunkelgrünen Sitze so heiß sind - lieber eine nasse Hose als ein verbranntes Gesäß. Trainer Torben Beltz wählte während der knapp zwei Stunden, die Angelique Kerber am Montag auf dem Platz ackerte, verschiedene Taktiken: Mütze, nasses Handtuch um den Hals, hin und wieder setzte er sich auf helle und damit nicht ganz so heiße Stufen; am Ende schwitzte er fast so sehr wie Kerber.

"Tennis Paradise" nennen sie die Anlage hier, und das stimmt ja auch, angesichts der Hitze könnte man aber auch vermuten, dass Höllen- oder Fegefeuer nicht weit entfernt sein können. Das passt zu Kerber, die sich auch immer wieder zwischen Himmel und Hölle bewegt wie etwa bei dieser Drittrunden-Partie gegen Daria Kasatkina aus Russland: paradieshafter erster Satz (6:2), Absturz in die Hölle (1:6), es folgte ein Fegefeuer-Durchgang, den Kerber 6:4 gewann, weil sie sich am Ende ein bisschen mehr zu quälen vermochte als ihre Gegnerin.

Das ist wahrlich keine Kritik an Kasatkina, sondern vielmehr ein Zeugnis der großen Stärke von Kerber, die ja nicht ihr Aufschlag (eher im Gegenteil) oder Rückhand-Stopp ist, sondern die Fähigkeit, Partien wie diese zu gewinnen. Sie gehört nach wie vor zu den fittesten Spielerinnen, auch mental kann sie punkten. Beispiel: Während des Seitenwechsels bei 4:3 im entscheidenden Satz blickte sie zu Beltz, Kerber deutete etwas an; doch es ging nicht um taktische Aspekte, sondern darum, dass da oben im Stadion jemand mit Panda-Maske auf dem Kopf tanzte. Viel mehr Gelassenheit geht nicht, ein paar Punkte später war die Partie vorbei. Im Achtelfinale trifft Kerber nun auf Ajla Tomljanovic (Australien).

Kerber, 33, hat seit diesem Sommer wieder mehr von diesen Drei-Satz-Schlachten gewonnen: in Bad Homburg gegen Petra Kvitova und Amanda Ainismova, in Wimbledon gegen Sara Sorribes Tormo und Aliaksandra Sasnowitsch, in Cincinnati gegen Elina Switolina und Jelena Ostapenko sowie bei den US Open gegen Dajana Jastremska und 2017-Siegerin Sloane Stephens. Sie könnte deshalb nach dem Turnier in Indian Wells wieder als eine der besten zehn Spielerinnen der Weltrangliste geführt werden.

Diese Partien, die zu Dramen auswachsen, hat sie gemein mit dem Briten Andy Murray, der in Indian Wells vor dem Duell mit Alexander Zverev den hochbegabten Spanier Carlos Alcaraz niederrang. Was die beiden noch eint, und das fällt auf, wenn man nicht nur auf Ergebnis, Höhepunkte und die dramatischen Augenblicke achtet, sondern Partien komplett betrachtet: Viele der Schlachten werden erst dazu, weil Kerber und Murray das erlauben; weil sie sich Pausen gönnen, ihren Rhythmus verlieren und die Gegner rankommen lassen. Heißt: Sie können sich nur in Houdini-Manier befreien, weil sie sich davor selbst gefesselt hatten.

Bei den US Open hatte Kerber kürzlich Satz- und Break-Vorsprung gegen die spätere Finalistin Leylah Fernandez, sie hätte die Partie in zwei Durchgängen gewinnen können. Sie leistete sich indes ein paar leichte Fehler, haderte kurz mit sich, und die damals erst 18 Jahre alte Gegnerin vergaß in einer Kombination aus Euphorie und jugendlichem Wahnsinn, dass Kerber solche Partien gewöhnlich gewinnt. Die Deutsche weiß das, die Gegnerinnen wissen es auch; sie selbst sagt: "Der Respekt ist wieder da."

Das ist der rote Faden, der sich durch ihre nun 16 Jahre dauernde Profikarriere zieht: Wenn sie an sich zweifelt, verliert sie mehr dieser Schlachten. Nach der dramatischen Drittrunden-Niederlage bei den US Open 2015 gegen Viktoria Asarenka schrieb sie die mittlerweile legendäre SMS an Bundestrainerin Barbara Rittner: "Das soll nichts mehr werden mit mir, oder?" Direkt danach: knappe Niederlagen in Tokio, Wuhan und Hongkong. Ein Jahr später kam sie mit den wohl breitesten Schultern der Frauentennis-Geschichte (wortwörtlich aufgrund des Trainings, indes auch sprichwörtlich wegen der guten Leistungen davor) nach New York - und gewann. Sie hatte sich so groß gemacht wie dieses Turnier.

Wer nun findet, dass Kerber aufgrund von drei Grand-Slam-Siegen selbstbewusst sein solle, hat kein Verständnis für die Debatte um geistige Gesundheit von Athleten. Jeder Sport wird zu einem nicht unerheblichen Prozentsatz im Kopf entschieden, und bei Kerber lässt sich an kleinen Details ablesen, wie es ihr gerade geht, wie groß sie sich selbst sieht.

Ihre Körpersprache in schwierigen Momenten, etwa Ende des zweiten Satzes gegen Kasatkina, war eher "Okay, nächster Punkt" als "Himmelherrgottnocheinmal". Oder die Späße mit Trainer Beltz beim Seitenwechsel statt verkrampfter Konzentration. Oder, ja wirklich: ein Ass zum Spielgewinn im dritten Satz statt ein geschubster Lollipop-Aufschlag. Oder dass sie die Bedingungen in Indian Wells regelrecht feiert.

Sie fühlt sich in der Höllenhitze dem Himmel sehr nah, und das zeigte auch Trainer Beltz: Nach der Partie spazierte er von Stadium 2 zurück zum Spielergarten, nasses Handtuch um den Hals, und er sah dabei aus wie einer, dem es durchaus gefallen würde, noch ein paar Tage in der Wüste zu bleiben.

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