Der Eiffelturm stand am Sonntag immer noch, die Seine floss dahin, irgendwo am Ufer hatten vermutlich ein paar Bouquinisten ihre Ware ausgelegt, und auch der Tennisklassiker French Open, seit 130 Jahren ausgespielt, ging seinen gewohnten Gang. "Ich werde mir Paris nicht schlecht reden lassen", sagte Angelique Kerber, 33, als sie gegen Mittag vor einer Webcam saß, und angesichts der Umstände klang es fast trotzig. Denn die Sympathie, die Kerber dem Turnier entgegenbringt, ist dem Anschein nach höchst einseitig. Erneut ging sie nach ihrem Auftaktmatch als Verliererin vom Platz, geschlagen von einer ukrainischen Qualifikantin, Angelina Kalinina, 2:6, 4:6. Kerber erlitt das dritte Pariser Erstrunden-K.-o. in drei Jahren.
Es war ein fast schon gewohntes Bild, das sich in Roland Garros bot, auch wenn, anders als beim letzten Durchgang im Herbst, nun pro Tag 5400 Besucher die Anlage betreten dürfen: der rote Sandplatz und eine frühere Nummer eins der Weltrangliste, die nicht ins Match fand; die sich zu weit hinter die Grundlinie zurückdrängen ließ, keinen Rhythmus fand, von Tempowechseln und Stopps überrascht wurde. Und die schließlich, nach einem kurzen Gruß, gesenkten Hauptes und schnellen Schritts den Court verließ.
Auch die Analysen hat man so oder ähnlich bei anderer Gelegenheit schon vernommen. "Es war nicht mein bestes Match", befand Angelique Kerber selbstkritisch, als sie bei ihrer Pressekonferenz allein im Raum vor der Kamera saß, "für mich sind die ersten Runden bei Grand-Slam-Turnieren immer schwer." Sie habe noch "keine Erklärungen" für den Fehlstart und werde diesen nun analysieren. Es blieb bei einem resignierten Fazit: "Ich muss damit leben, dass ich wieder in der ersten Runde ausgeschieden bin."
Sie sei "zu vorsichtig" ins Match gegangen, sagt Kerber
Am Training hat es wohl nicht gelegen, auch nicht an der Gegnerin. Angelina Kalinina, 24, hatte sich ohne Satzverlust durch die Qualifikation in Paris geschlagen, zuvor zwei Turniere der unterklassigen ITF-Reihe in Kroatien und Portugal gewonnen. Sicherlich ist sie in den letzten Wochen gut in Tritt gekommen auf dem rutschigen roten Geläuf, aber wer ihren Namen in der Weltrangliste sucht, muss bis Position 139 scrollen. Die dreimalige Grand-Slam-Siegerin Angelique Kerber hätte ihrer Gegnerin wie auch bei den vorangegangenen Pariser Erstrundenniederlagen (2020 gegen Kaja Juvan, 2019 gegen Anastasia Potapova) an Erfahrung, Spielpraxis und Routine triumphbogenhoch überlegen sein müssen. Stattdessen standen nach 86 Minuten 27 unerzwungene Fehler zu Buche, und Kerber lag in beiden Sätzen zwischenzeitlich jeweils 0:5 zurück.
Wie einer Spitzenspielerin das passieren kann, wird sie mit ihrem Trainer Torben Beltz eruieren müssen, der sie zu Siegen bei den US Open und Australian Open gecoacht hatte. Anders als bei der ebenfalls frühen Niederlage in Melbourne in diesem Jahr, als Angelique Kerber durch einen vorherigen zweiwöchigen, strikten Corona-Stubenarrest in ihrer Turniervorbereitung beeinträchtigt war, fühlte sie sich diesmal bestens präpariert. Zwar hat sie nie einen Hehl daraus gemacht, dass ihr die Sandplätze der europäischen Frühlingssaison mitunter nicht geheuer sind, fast so, als sei die Terre Battue von Paris - eine dicke Schicht aus Ziegelmehl - ein etwas zu bröckeliges Fundament für ihr auf Verteidigung ausgerichtetes Spiel.
"Nicht unbedingt mein Lieblingsbelag", hat sie noch vor der Ankunft in Frankreich gesagt. Jedoch kann sie in diesem Jahr durchaus auf einige beachtliche Erfolge auf diesem Boden verweisen. So stand sie in Rom kürzlich im Achtelfinale, aus Stuttgart und Madrid reiste sie ebenfalls nicht unzufrieden ab.
Auch die Weltranglisten-Zweite Naomi Osaka aus Japan, die in Paris Kerbers Trainingspartnerin war, findet auf Sand schwer zu ihrem Spiel. Und trotzdem hat Osaka ihre rumänische Auftaktgegnerin Patricia Maria Tig 6:4, 7:6 (4) niederringen können. Allerdings droht Osaka nun wegen ihres Medien-Boykotts Ungemach. Am Sonntag blieb sie, wie angekündigt, der obligatorischen Pressekonferenz nach dem Spiel fern; durch ihre Weigerung, so hatte sie erläutert, wolle sie auf den psychischen Stress aufmerksam machen, dem sich die Profis durch die Befragung durch Journalisten aussetzten. Die Veranstalter versuchten sie umzustimmen, verhängten dann eine Strafe von 15000 Dollar. In einem von den Organisatoren aller vier Grand-Slam-Turniere veröffentlichten Schreiben heißt es, dass die "mentale Gesundheit der Spieler höchste Priorität" genieße; Naomi Osaka sei aber darauf hingewiesen worden, dass sie "mögliche weitere Konsequenzen riskiere", wenn sie ihre Medienpflichten ignoriere, dies könne auch einen Ausschluss vom Turnier sowie Sperren für spätere Grand Slams beinhalten.
Osaka muss für ihren Medienboykott 15 000 Dollar Strafe zahlen
Angelique Kerber hat sich den Fragen der Medien, wie alle anderen Kollegen am Sonntag, gestellt. "Für mich gehört es dazu. Auch wenn es nicht immer einfach ist", sagte sie nach der Niederlage. Einen Hinweis auf die Ursachen ihres missratenen Auftritts hat sie tatsächlich noch gegeben. Sie sei "zu vorsichtig" ins Match gegangen. Der silberne Henkelpott des French Open ist der einzige, der in ihrer Grand-Slam-Trophäensammlung noch fehlt: Doch anstatt frisch und frech zu attackieren, ließ sie sich von ihrer Gegnerin weit aus dem Feld drängen. "Man möchte sie von hinten anschieben", hat Bundestrainerin Barbara Rittner als Kommentatorin bei Eurosport einmal mit fast komischer Verzweiflung gesagt.
Mit jedem Frühling, der ins Land geht, wird es schwerer werden für Kerber, nunmehr 33 und Nummer 27 der Weltrangliste, den begehrten Preis noch zu erobern. Doch im Grunde muss sie sich nichts mehr beweisen. Und so hat die Wimbledonsiegerin von 2018 nach einem weiteren fehlgeschlagenen Besuch an der Seine den Blick nach vorn gerichtet: auf die Rasen-Saison, die in Kürze beginnt. Turniere in Berlin und Bad Homburg sind eingeplant, dann folgt der Flug nach London. "Ich werde mich jetzt nicht wegen der Niederlage verrückt machen", hat sie zum Abschied aus Paris gesagt.