Australian Open:Kerber ist jetzt die Favoritin

  • Nach nur 51 Minuten Spielzeit gegen Madison Keys steht Angelique Kerber im Halbfinale der Australian Open.
  • Mit 30 Jahren kehrt sie damit in die Top Ten der Weltrangliste zurück.
  • Druck macht sie sich dennoch nicht.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Die intensivste Regung zeigte Max Eisenbud nach dem ersten Aufschlagspiel. Ein monstergroßes Insekt machte dem Manager von Madison Keys zu schaffen. Er nahm seine Kappe ab, wischte zweimal durch die Luft. Dann schlug er zu. Zack! Wenigstens er hatte Erfolg.

Lindsay Davenport neben ihm lachte kurz und schaute amüsiert zu Boden. Danach blickte die frühere Weltranglisten-Erste wieder auf und schaute ernst auf den Platz, wie es auch der Allgäuer Dieter Kindlmann tat, der zweite Trainer im Team der 22 Jahre alten amerikanischen Tennisspielerin. Ab diesem Moment war der Spaß in der Box von Keys vorbei. Es gab keinen einzigen Grund mehr, sich an etwas zu erfreuen.

Kerbers psychologischer Trick

25 unerzwungene Fehler, kein einziges Ass, obwohl der Aufschlag ihre Stärke ist, kein wirkliches Reinbeißen in die Partie, am Ende dauerte das Leiden der Madison Keys nur 51 Minuten, das war das Positive für sie, immerhin. Mit dem klaren Ergebnis von 1:6, 2:6 schlich sie aus der Rod Laver Arena. Um 11 Uhr hatten Keys und ihre Gegnerin das Hauptstadion der Australian Open betreten. Um 12 Uhr war dieses Viertelfinalmatch schon wieder vorbei.

Man darf Angelique Kerber dafür bewundern, welche freundlichen Worte sie danach über ihre Kontrahentin sagte. Sie hat sie dafür gelobt, dass Keys "immer schwer zu spielen" sei. Dass Keys "immer kämpfe". Dass Keys "richtig gute Matches zuletzt" gezeigt habe. Das alles klang, als wollte Kerber einen psychologischen Trick anwenden. Sich bloß nicht groß machen. Aber dafür ist es jetzt zu spät.

Kerber wird längst als Favoritin gehandelt. Und die Kandidatinnen, die dafür in Frage kommen, sie zu stoppen, werden von Runde zu Runde weniger. Nur noch das Halbfinale und das Finale sind zu spielen. So weit ist das erste Grand-Slam-Turnier der Saison vorangeschritten. Das eine Halbfinale bestreiten die Belgierin Elise Mertens und die Dänin Caroline Wozniacki. Im anderen trifft Kerber auf die Weltranglistenerste Simona Halep, die beim 6:3, 6:2 gegen Karolina Pliskova ebenfalls überzeugte. Beide Partien finden am Donnerstag statt.

"Angie ist bereit zu fliegen", das titelte bereits am Dienstag die australische Tageszeitung Herald Sun. Man muss keine deutsche Brille tragen. Man muss nicht die Schwächen der Gegnerinnen sehen. Man muss nur auf den Platz schauen und Kerbers Spiel analysieren, um zu erahnen: Wer sie stoppen will, muss über sich hinauswachsen. Weil Kerbers Spiel auf höchstem Niveau stabil wie lange nicht wirkt.

Es ist verblüffend, wie verkrampft sich Kerber mehr oder weniger durch die gesamte Saison 2017 geschleppt hatte. Die Bürde, plötzlich eine deutsche Sportgröße zu sein, hatte sie offensichtlich mehr beschäftigt, als sie das erwartet hatte. Genauso erstaunlich ist aber auch, wie mit einer einzigen Entscheidung jener Flow zurück ist, mit dem Kerber 2016 erstmals ein Grand-Slam-Turnier gewann, hier in Melbourne, dann das Wimbledon- und Olympia-Finale erreichte, bei den US Open den zweiten Grand-Slam-Titel errang sowie die Nummer eins der Welt wurde. Sie hatte sich durchgerungen, im November des vergangenen Jahres, sich von Trainer Torben Beltz zu trennen, mit dem sie fast ihre ganze Karriere seit den Jugendzeiten zusammengearbeitet hatte. Der Belgier Wim Fissette, der 2013 etwa Sabine Lisicki ins Wimbledon-Finale geführt hatte, betreut sie nun.

Kerber hat einen Vorteil bei diesen Australian Open

Kerber gilt als jemand, die immer kämpft. Eine Eigenschaft treibt sie aber fast noch mehr an: ihr Trotz. 2016 war sie auch deshalb so erfolgreich, weil sie keine Lust mehr hatte, nach vier Jahren in den Top Ten auch ein fünftes Jahr ohne großen Titel nur mitzuschwimmen. Sie kündigte damals an, es "krachen lassen" zu wollen. Sie hatte genug vom Schattendasein. 2017 lähmte sie eine Art Verteidigungshaltung der Spitzenposition. Der Trotz war weg. Sie fühlte sich eher in der Bringschuld. 2018 aber sagt sie ja ganz offen: "Ich will nicht mehr an 2017 denken." Ihr Trotz ist zurück. Jetzt erst recht.

Das lässt sich auch in der simplen Betrachtung von Ballwechseln erkennen. Kerber schenkt kaum Punkte her. Sie zwingt, wie am Mittwoch Keys, ihre Gegnerinnen, hohes Risiko zu gehen. 35 von 42 Aufschlägen brachte Kerber zunächst einfach mal erst ins Feld zurück. Sie fabrizierte nur sieben leichte Fehler. Starke Werte. Sogenannte freie Punkte - Aufschlag, ein, zwei Schläge, Punkt - ermöglicht sie den anderen kaum noch. Und das spüren die anderen. Das zermürbt. Keys lächelte einmal im zweiten Satz. Es war das Lächeln einer Spielerin, die ihre Chancenlosigkeit anerkannte.

Bislang ist Kerber ohne Niederlage

Kerber hat einen Vorteil bei diesen Australian Open. Sie ist die Einzige, die weiß, wie sich das anfühlt, ein Grand-Slam-Turnier gewonnen zu haben. Sie weiß mit der Situation, dem nun wieder mal ansteigenden Druck, umzugehen. Keys etwa muss diese Strecke noch meistern. Änlich wie im Finale der US Open im vergangenen Jahr, als sie sichtlich erschrocken vom sportlich bedeutenden Moment einen Fehlstart gegen Landsfrau Sloane Stephens hinlegte und die Niederlage schicksalsergeben nur noch über sich ergehen lassen konnte, agierte sie auch gegen Kerber. Gehemmt und meist zu passiv.

Kerbers Serie hat sich nun also auf 14 Siege in 2018 ausgeweitet, sie hat noch kein mal verloren, in Perth, Sydney, Melbourne. Sie wird wieder in die Top Ten zurückkehren, "das freut mich", sagte sie, "aber das beschäftigt mich nicht so". Kerber ist noch nicht fertig bei den Australian Open. "Der Druck war das, was mir am meisten im Weg stand", gab sie zu. Jetzt geht sie es anders an, und es scheint so zu sein, so entspannt-fokussiert wie sie auftritt: "Druck mache ich mir nicht mehr."

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