Es ist erst sechs Wochen her, da stand Alper Kayabunar vor dem Spielereingang des Grünwalder Stadions und blickte in eine ungewisse Zukunft. Seine Mannschaft Türkgücü München hatte gerade 0:5 gegen den FC Bayern II verloren und war soeben sportlich aus der Regionalliga abgestiegen. Damit endete auch eine Ära im Münchner Fußball, denn es war klar, dass Kayabunar nach zwölf Jahren in verschiedensten Funktionen seinen Heimatverein verlassen würde. „Wer weiß, ob wir uns so schnell nochmal sehen“, sagte er damals mit erstickter Stimme zu einer Runde Lokaljournalisten. Der Trainer hatte keine Ahnung, dass er schon sehr bald seinen nächsten Job in anderthalb Kilometern Luftlinie Entfernung übernehmen würde.
Am kommenden Montag beginnt nicht nur für die Profis, sondern auch für die U21 des Fußball-Drittligisten das Training für die kommende Saison. Und in Kayabunar haben die Löwen einen Nachwuchstrainer für die Bayernliga verpflichtet, der vor allem in der Kombination aus Erfahrung und Lokalkolorit der mit Abstand beste Kandidat gewesen sein dürfte, und das mit nur 39 Jahren. „Ich freue mich natürlich total! Wenn ich aufs Gelände komme, ist es überwältigend und eine komplett andere Welt“, sagt er.
Obwohl seine alte Welt nur wenige Kilometer entfernt liegt und er bei Sechzig viele kennt, was wiederum den Start in die neue Arbeit erleichtern dürfte. Zu den Freunden und Bekannten gehören der Routinier und Ü-Spieler der U21, Alexander Benede, oder der künftige U19-Trainer Jonas Schittenhelm. Auch seinen Vorgänger Felix Hirschnagel kennt er gut, von gemeinsamen Videoanalyse-Kursen. Der hatte in der vorigen Spielzeit so gute Arbeit geleistet, dass die Mannschaft beinahe Bayernliga-Meister geworden wäre – Hirschnagel wurde sogleich von Borussia Dortmund geholt. Und Sechzigs Nachwuchsleiter Manfred Paula kontaktierte sogleich Kayabunar. Denn der, erklärt Paula, habe sich „als Förderer junger Talente einen Namen gemacht“.
Auf den ersten Blick mag diese Verpflichtung ungewöhnlich sein. Denn auf der einen Seite war Kayabunar so lange für Türkgücü tätig gewesen, dass er zum Gesicht des Vereins geworden war; gleichzeitig war er allerorten immer sehr beliebt, und das, obwohl man das von dem Verein selbst leibhaftig nicht behaupten kann. Selbst als sich der damalige 1860-Stürmer Sascha Mölders und Türkgücü-Geschäftsführer Max Kothny 2021 nach einem 2:0 für die Löwen im Olympiastadion ein verbales Tiefschlag-Duell lieferten, färbte nichts von der Rivalität auf Kayabunar ab. Es war vielmehr so, dass Kayabunar in all den Jahren auch bei internen Streitigkeiten dafür sorgte, dass der Verein in halbwegs geregelten Bahnen weiterarbeiten konnte, er war also nach innen wie nach außen ein guter Moderator.
Besonders gut war ihm das im Dezember 2021 gelungen. Bevor der damalige Türkgücü-Investor Hasan Kivran nach dem Rauswurf von Peter Hyballa doch noch einen weiteren Trainer mit der nötigen Uefa-Lizenz für die dritte Liga holte, hatte Kayabunar als Interimscoach den Laden zusammengehalten. So gut, dass sie ihn eigentlich als Cheftrainer behalten wollten. Aber dann kam sowieso die Insolvenz. Weshalb sein Achtungserfolg von drei Remis in vier Spielen mit der damaligen Chaostruppe gar nicht offiziell gelistet ist.
„Bei Türkgücü war meine Hauptaufgabe die Kaderplanung. Hier kann ich mich rein auf die Mannschaft konzentrieren.“
Außer Kayabunar war nur Kommen und Gehen bei Türkgücü, und das sieht er schon jetzt als den größten Unterschied an. Bei Sechzig „habe ich von Anfang an gemerkt, dass ich hier reiner Trainer bin. Bei Türkgücü war meine Hauptaufgabe die Kaderplanung. Hier kann ich mich rein auf die Mannschaft konzentrieren, rundherum wird alles erledigt“, sagt er. Aber natürlich „habe ich alles dort gelernt“, sagt er über Türkgücü, „so viele Jahre und so viele Aufgaben! Ich habe dort auch gelernt, mit sehr schwierigen Verhältnissen umzugehen.“ Bei Sechzig wird es erst einmal darum gehen, sich an gewohnte Abläufe zu gewöhnen.
Ob Hirschnagel aber nicht recht große Fußstapfen hinterlassen habe? „Das stimmt“, sagt Kayabunar, „aber von einer Drucksituation würde ich nicht sprechen. Der Tabellenplatz ist ja nicht das Hauptziel. Die Aufgabe ist, dass es so viele Spieler wie möglich in den Profibereich schaffen.“ Typische Arbeit an einem Nachwuchs-Leistungszentrum eben – und für die Löwen auch in finanzieller Hinsicht enorm wichtig. Das ist es, was Kayabunar in seinem Lebenslauf noch fehlt. Dass er plant, die höchste Lizenz zu erhalten und dauerhaft als Trainer zu arbeiten, das hatte er schon vor fünf Jahren gesagt.
Mitte Juli beginnt dann die Bayernliga-Saison, und eine ganz naheliegende Frage drängt sich auf: die nach dem Gefühl für das Auswärtsspiel bei Türkgücü. „Nach zwölf Jahren, die ich dort gearbeitet habe, wird es komisch sein, dort als Gast zu spielen“, sagt er. Nimmt man seine Spielerjahre dazu, waren es sogar noch mehr. Aber es stehen noch andere Wiedersehen an: Mit Andi Pummer, Trainer des FC Deisenhofen, mit dem Kayabunar bei Türkgücü zusammenarbeitete, oder mit seinem ehemaligen Chef an der Heinrich-Wieland-Straße, Alexander Schmidt, der den TSV Landsberg in die Regionalliga führen will. Dorthin darf Kayabunar mit der U21 eines Drittligisten gar nicht. Große Ziele dürfte er trotzdem noch sehr viele haben.