Katie Ledecky bei der Schwimm-WM:Weltrekorde aus Versehen

Swimming - 16th FINA World Championships: Day Fourteen

Schwimmt in Kasan allen davon: Katie Ledecky

(Foto: Getty Images)

Die 18-jährige Katie Ledecky hat die Grenzen im Schwimmen verschoben. Seit Jahren gewinnt die Amerikanerin nur noch Gold - und ist manchmal schon beim Duschen, wenn die Konkurrentinnen endlich ankommen.

Von Claudio Catuogno, Kasan

Katie Ledecky, ein 18-jähriges Mädchen, blass und mit dünnem Haar, setzt sich auf ein Podium, sie trägt die blaue Teamjacke mit der amerikanischen Flagge auf den Ärmeln. Aber Katie Ledecky sieht trotzdem nicht aus wie die anderen Schwimmerinnen aus den USA mit ihren bunten Fingernägeln und ihrem wasserresistenten Make-up. Ledecky sieht eher aus wie eine Nasa-Astronautin, die gerade von einer sehr inspirierenden Shuttle-Mission zurückgekehrt ist. Die ein paar Experimente gemacht hat in der Schwerelosigkeit und jetzt davon berichtet.

Da draußen. In einem Kosmos, den Normalsterbliche niemals betreten werden.

Es ist der Kosmos, in dem Ledecky die 1500 Meter Freistil inzwischen 20 Sekunden schneller schwimmt als jede andere Frau. Es ist der Kosmos, in dem Ledecky bei der WM in Kasan aus dem Becken steigt mit anderthalb Kilometern Kraul in Armen und Beinen, in Weltrekordzeit natürlich, sich kurz schüttelt und dann auf der anderen Seite hineinspringt, um noch mal 200 Meter folgen zu lassen. Es ist der Kosmos, in dem Ledecky schon im Vorlauf über 1500 Meter einen Weltrekord aufstellt, aber mehr so aus Versehen. Das einzige, was ihr Trainer Bruce Gemmell ihr an Vorgaben mitgab, war: "900 Meter locker, 300 steigernd, und 300 wie du magst." Ledecky mochte dann schnell.

Da draußen. "Out there." Das sagen die Amerikaner ja tatsächlich immer, wenn sie von ihren Wettkämpfen reden. Einfach "da raus gehen und sich messen".

Wenn nun die blasse Schwimm-Astronautin Katie Ledecky von da draußen berichtet, klingt das zunächst auch nicht anders als bei ihren Kollegen: eloquent, leidenschaftlich, aber auch ein bisschen oberflächlich. Das Rennen? "Überwältigend". Ihr Plan? "Einfach genießen." Ihre Motivation? "Rennen schwimmen." Und trotzdem wird noch zu klären sein, ob diese Kathleen Genevieve Ledecky, geboren 1997 in Washington D.C., nicht doch von einem anderen Planeten stammt.

Der 16-malige Weltmeister Ryan Lochte, 31, der in Kasan gerade Gold holte über 200 Meter Lagen, erzählte kürzlich dem Wall Street Journal, wie er mal zusammen mit Ledecky trainierte: Als er schon "tot" in der Leine hing, kam sie ihm immer noch fröhlich entgegengekrault. Dazu passt auch die Einschätzung des US-Delegationschefs Frank Busch - ein ehemaliger Trainer, seit 50 Jahren im Schwimmsport: Er habe "noch nie etwas Vergleichbares gesehen", sagte Busch der Washington Post, "und ich habe eine Menge gesehen". Er hat zum Beispiel Michael Phelps acht Goldmedaillen bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking gewinnen sehen. "Aber das hier ist noch mal was anderes."

Phelps hatte Gegner, die er jedes Mal wieder niederringen musste. Ledecky schwimmt auf den langen Freistilstrecken, den 400, 800 und 1500 Metern, nur noch gegen sich selbst. Busch sagt: "Sie tut Dinge, die sind beispiellos im Sport."

Vergleiche haben bei Ledecky nur noch den Zweck zu demonstrieren, dass es keine Vergleichswerte mehr gibt. Ein Vergleich mit Isabelle Härle aus Essen zum Beispiel, der besten Deutschen auf der langen Kraul-Strecke: Härle wurde in Kasan Zwölfte in einer Zeit von 16:25,04 Minuten. Ledecky schwamm fast exakt eine Minute schneller: 15:25,48. "Die geht schon duschen, wenn ich ankomme", sagt Härle.

Es gibt im Schwimmen inzwischen die Zeitrechnungen "v.L." und "n.L.": Vor Ledecky stand die Bestmarke noch bei 15:42,54 Minuten, siebenmal hat sie Ledecky schon verbessert. Der Rekord über 800 Meter: v.L. 8:14,10, heute 8:11,00. Und der Rekord über 400 Meter: v.L. 3:59,15, jetzt: 3:58,37. Das alles sind Welten.

"Katie weiß nicht mal, wie man Drogen schreibt"

Katie Ledecky bei der Schwimm-WM: Katie Ledecky - allein auf weiter Flur.

Katie Ledecky - allein auf weiter Flur.

(Foto: Michael Sohn/AP)

Was spornt jemanden an, der immer schon vorher weiß, dass er gewinnt?

Das ist immer wieder das Thema, wenn Ledecky in Kasan im Pressesaal sitzt, mal mit, mal ohne Rekord, aber immer mit Gold - seit sie 2012 in London als 15-Jährige Olympiasiegerin über 800 Meter wurde, hat sie nie mehr eine andere Medaillenfarbe umgehängt bekommen als Gold. Ledecky sagt: "Ich versuche immer, die beste Katie Ledecky zu sein, die ich sein kann."

Und es steht einem ja frei, sich neue Herausforderungen zu suchen. Über 400, 1500 und mit der 4x200-Meter-Staffel hat sie in Kasan schon gewonnen, die 800 folgen am Samstag. Aber nun hat sie sich auch an den 200 Metern versucht. Einen Weltmeister über 200, 400, 800 und 1500 Meter gab es noch nie, weder bei den Frauen noch bei den Männern. Zumindest nicht auf dem Planet Erde. Auf dem Planet Katie gibt es jetzt auch das. Was natürlich - Spitzensport ist ja immer auch irgendwie Science-Fiction - in Lichtgeschwindigkeit zu der Frage führt: Sollte man das eigentlich alles glauben?

Der US-Chef Busch sagt zu dem Thema, was er sagen muss: "Katie weiß nicht mal, wie man Drogen schreibt." Aber Busch weiß auch: Sein Sport hat schon so viel Vertrauen verspielt, "wenn jemand zu Außergewöhnlichem fähig ist, wird sofort die Verbindung hergestellt" zum Thema Doping. Was allerdings schon auffällt in Kasan: Es mag wieder eine Menge Geraune geben am Pool, man tuschelt über schnelle Chinesen, gedopte Russen, und den Amerikanern traut man ganz grundsätzlich auch vieles zu. Aber Ledecky? Da haben alle schon immer gewusst, dass es mal so kommt. Die ist doch schon mit 14 jede Woche 80 Kilometer geschwommen, als wäre es nichts. "Katie hat ein riesiges Geschenk mitbekommen" - und deshalb hätte Frank Busch jetzt diese Bitte: "Wir sollten ihr zusehen und es genießen."

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