Süddeutsche Zeitung

Katar bei der Fußball-WM:Das abgeschottete Team

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Mit dem Eröffnungsspiel gegen Ecuador startet der Gastgeber in die WM. Schwer zu sagen, was von der Mannschaft zu erwarten ist - denn Katar hat alles dafür getan, damit das Team ein Geheimnis bleibt.

Von Martin Schneider, Doha

Die Geschichte mit der angeblichen Bestechung hat es nun tatsächlich bis in die Pressekonferenz vor dem Eröffnungsspiel geschafft. Katars Kapitän Hassan al-Haydos, 160 Länderspiele und sowas wie der Star der Mannschaft, lachte zynisch auf dem Podium, als hätte er die Frage erwartet. Vor zwei Tagen tauchte auf der Plattform Twitter ein Tweet auf, in dem behauptet wurde, Katar habe acht gegnerische Spieler bestochen und würde die Partie gegen Ecuador darum mit 1:0 gewinnen.

Viele Medien griffen den tausendfach geteilten Tweet auf, obwohl er sich ziemlich schnell als Quatsch herausstellte. Sowas ist eigentlich nicht erwähnenswert, im Internet kommt das zuweilen vor, aber nun muss der Nationaltrainer Katars, der Spanier Felix Sanchez, am Tag vor dem größten Spiel seiner Mannschaft die Frage beantworten, ob diese Meldung ihn und seine Spieler beeinflussen würde. Sanchez verneint.

Dabei ist die große Frage, die die Welt an das Team des Gastgebers in diesen Tagen hat, sowieso eine ganz andere. Nämlich: Wie gut seid ihr eigentlich? Und dass man das nicht wirklich beantworten kann, dafür hat Katar selbst gesorgt.

"Wir konnten Lärm vermeiden und hatten eine großartige Vorbereitung", sagte Sanchez zu den Monaten vor dem Turnier. "Lärm vermeiden" trifft es in der Tat, es war ziemlich still um die Mannschaft. Die letzten Testspiele vor der WM fanden im Oktober und November gegen Nicaragua, Panama, Honduras, Guatemala und Albanien im spanischen Marbella statt. Katar hat sie alle gewonnen, aber viel mehr weiß man nicht. Zuschauer waren bei den Spielen untersagt, Kameras ebenso.

Katar testete und trainierte auch in Österreich

Als Katar im September ein Trainingslager in Österreich absolvierte, zog sich das Team in Schwechat zurück, absolvierte auch Testspiele gegen Regionalligisten. Zuweilen widersprechen sich die Statistikseiten aber sogar in der Anzahl der Spiele, die Katar vor der WM absolviert hat. In Wien haben sie gegen Kanada 0:2 und gegen Kroatiens U23 0:3 verloren, gegen Chile ein 2:2 erreicht, immerhin das ist sicher.

Was man außerdem weiß: Katar ist amtierender Asienmeister, schlug 2019 im Finale Deutschlands Gruppengegner Japan mit 3:1. Als beste Spieler gelten neben Kapitän und Spielmacher al-Haydos, dessen Bild in Doha neben dem von Manuel Neuer von den Hochhäusern strahlt, Stürmer Almoez Ali und der Linksaußen Akram Afif, der unter anderem bei KAS Eupen in Belgien gespielt hat. Den Klub hatte sich 2012 ein katarischer Fonds gekauft mit dem Ziel, in Europa Nationalspieler für die WM auszubilden.

Immerhin: Ausbilden musste Katar diesmal. Bei der Handball-WM 2015 kam das Emirat im eigenen Land noch mit einer zu großen Teilen eingebürgerten Mannschaft bis ins Finale, auf den Fußball war das Konzept nicht übertragbar. Die Statuten der Fifa sind sehr viel strenger hinsichtlich "sportlicher Einbürgerung" oder Verbandswechseln. Zwar wurden einige aktuelle katarische Nationalspieler in Sudan, Ghana oder Ägypten geboren, aber das trifft bei der deutschen Nationalmannschaft zum Beispiel auch auf auf Youssoufa Moukoko (Kamerun) oder Armel Bella-Kotchap (Frankreich) zu.

Die katarische Nationalmannschaft (Spitzname: "Al-Annabi" - die Weinroten) ist dennoch ein Projekt, wie es vielleicht noch nie eine Nationalmannschaft war. Im Prinzip seit der Vergabe vor zwölf Jahren versucht das Emirat ein konkurrenzfähiges Team zu entwickeln. Der heutige Nationaltrainer Felix Sanchez arbeitet sogar bereits seit 2006 in Doha, er wurde damals von der Aspire Academy, wo auch der FC Bayern sein Wintertrainingslager abhält, aus der berühmten Nachwuchsabteilung des FC Barcelona abgeworben. Seit 2013 trainiert er Jugendteams, seit 2017 die A-Nationalmannschaft, in die viele seiner Jugendspieler gewechselt sind. Direktor der Aspire Academy ist Ivan Bravo, zuvor in strategischer Funktion bei Real Madrid tätig. Barcelona, Madrid - in den Kategorien scoutet Katar Verantwortliche.

Und denkt auch sonst groß. Sie beantragten und bekamen für ihre Nationalmannschaft "Gastspielrechte" für die südamerikanische Copa America 2019 (Gruppenphase, ein Punkt) und den nordamerikanischen Gold-Cup 2021 (Halbfinale) und spielten außer Konkurrenz die europäische WM-Qualifikation. Wenn Katar fragt, ist viel möglich. Der Torwarttrainer ist übrigens ein Deutscher, Julius Büscher aus Engelskirchen.

Die aktuelle Nationalmannschaft ist seit dem vergangenen Frühjahr mehr oder weniger ununterbrochen zusammen, alle Spieler sind rechtzeitig in die katarische Liga gewechselt, die seit September pausiert. Die monatelange Vorbereitung ist der maximale Kontrast zu der tagelangen Vorbereitung aller anderen WM-Teilnehmer. Die beiden Faktoren, auf die Katars Nationalteam setzt sind klar: Vorbereitung, Überraschung und Eingespieltheit.

Am Samstag ploppte dann noch eine Meldung auf, die nicht Teil der Pressekonferenz wurde. Die britische Zeitung Daily Mail will erfahren haben, dass bei der Fifa ein "Integrity Alert" eingegangen sei. Woher der gekommen sein soll, spezifizierte die Zeitung nicht, aber er hätte darauf hingewiesen, dass die katarische Nationalmannschaft in den Freundschaftsspielen vor der WM ungewöhnlich viele Elfmeter bekommen hätte. Von den jüngsten acht Treffern waren vier Elfmetertore, jedenfalls laut den einsehbaren Statistiken.

So ein Alarm muss gar nichts bedeuten, aber es kann eben auch kaum einer nachvollziehen, wie die Elfmeter zustande gekommen sind. Solche Meldungen sind dann der Nachteil der großen Abschottung.

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