Katar 2022:Das Jammern über die Glühwein-WM ist engstirnig

Katar 2022: Mitfiebern bei angenehmen Temperaturen: Fans in Brasilien

Mitfiebern bei angenehmen Temperaturen: Fans in Brasilien

(Foto: AP)

Die Aufregung über die Verlegung der WM 2022 in den Winter ist groß. Doch ein Recht auf eine Sommer-WM gibt es nicht, der halbe Erdball hat noch nie eine erlebt. Das wahre Problem gerät in den Hintergrund.

Ein Kommentar von Thomas Hummel

Der Verhaltensforscher Konrad Lorenz schrieb einmal: "Das unentbehrliche, grundlegende Element, das die einfachen Traditionen der Tiere mit den höchsten kulturellen Überlieferungen des Menschen gemein haben, ist die Gewohnheit."

Lorenz erhielt 1973 den Nobelpreis für Medizin und bisweilen ist es erstaunlich, wie sehr seine Forschungen an der Graugans Martina regelmäßig seine Spiegelung im Verhalten der Menschen finden. Derzeit ist dies zu beobachten an der Reaktion auf die Empfehlung einer Task-Force des Fußball-Weltverbands Fifa, die Weltmeisterschaft 2022 in den Monaten November und Dezember zu spielen.

Glühwein-WM, Bibber-WM, #PublicFreezing, der Schneemann schaut Fußball, Torjubel mit Geschenkpaketen in den Händen - die Kommentare reichen von phantasievoll bis griesgrämig. Letzteres deshalb, weil sich viele Menschen in Deutschland und Europa eine Fußball-WM im Winter schlicht nicht vorstellen können.

Wie Wolfgang Niersbach, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), sagte: "Es fällt schwer, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass ein WM-Finale kurz vor Weihnachten stattfinden soll."

Eine Fußball-WM oder -EM haben hierzulande eine Bedeutung erreicht, die alles andere innerhalb der vier Wochen zur Unwichtigkeit verdammen. Es geht so weit, dass Politiker oder Firmen unbequeme Nachrichten gerne zu dieser Zeit veröffentlichen, weil kaum einer sie dann wahrnimmt. Es ist gerade in Deutschland zum allerliebsten Sommervergnügen geworden, zu Hause mit Beamer, Leinwand und Grill stundenlang dem schönen Spiel zu frönen oder sich mit Zehntausenden auf den Public-Viewing-Meilen in die Party zu stürzen.

Und jetzt Dezember? Wo Frost, Dunkelheit und heißer Wein drohen?

Der Mensch lässt nicht gerne von seinen Gewohnheiten ab. Doch den Deutschen Fußball-Fans sei zugerufen: Ein Recht auf eine Sommer-WM gibt es nicht. Der halbe Erdball hat noch nie eine erlebt. Nicht einmal, wenn er die Veranstaltung selbst durchgeführt hat.

Das Geschacher geht gerade erst los - es geht ums Geld

Als am 13. Juli 1930 der Franzose Lucien Laurent das erste WM-Tor schoss, stand er in Uruguays Hauptstadt Montevideo im Schneegestöber. 1978 in Argentinien standen in vielen Stadien die Fans mit Schal und Wollmützen auf der Tribüne. Beim Spiel Brasilien gegen Nordkorea in Johannesburg 2010 fiel in Teilen der Stadt bei minus ein Grad Celsius und eisigem Wind der Strom aus.

In der von Spannungen geprägten südafrikanischen Metropole hatten sie gehofft, durch ein Public Viewing zwischen dem reichen Stadtteil Sandton und dem Township Alexandria so etwas wie eine soziale WM-Brücke zu bauen. Doch leider ging um kurz vor 18 Uhr die Sonne unter, danach begann der Frost. Auch die letzten Zuschauer flüchteten nach Hause, die Standbetreiber wärmten sich an einem Holzkohlegrill. So kuschelig kann eine WM sein.

Insofern ist das Gejammere in Europa ob einer drohenden Winter-WM engstirnig und arrogant. Die Argentinier dürften sich freuen, wenn sie zu Hause in Buenos Aires den Sieg im Halbfinale nicht wie im Juli 2014 bei weniger als zehn Grad feiern müssen. Sondern im für sie angenehm warmen Dezember.

Es dürfte zudem zumutbar für die Fußballfunktionäre sein, dass sie einen sieben Jahre entfernten Spielplan entwerfen, in dem ein Platz für die Winter-WM frei bleibt. Bei der Debatte geht es nur um eins: Geld. Europas Ligen und Klubs wollen von der Fifa Entschädigungszahlungen, weil sie angeblich durch den Termin im November und Dezember einen Einnahmerückgang befürchten müssen. Die Fifa lehnt das ab. Das Geschacher geht gerade erst los.

Das wahre Problem gerät da in den Hintergrund: Die Fifa hat die wohl lukrativste Veranstaltung der Welt an ein Regime vergeben (manche glauben: verkauft), das auf Menschenrechte, Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau oder Schutz von ausländischen Arbeitnehmern nicht viel gibt. Es verhilft diesem Regime zu internationalem Ansehen im Glanz des populärsten Spiels der Welt. Ob das nun im Juli oder Dezember geschieht, ist dabei nebensächlich.

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