Karsten Wettberg wird 70:Zum Mond und wieder zurück

Ein Leben für den Amateur-Fußball: Der einstige 1860-Coach Karsten Wettberg gilt mit 46 Titeln als Deutschlands erfolgreichster Trainer in den unteren Spielklassen - nun wird der "König von Giesing" 70 Jahre alt. Zu Besuch bei einem Mann, der den Fußball so sehr liebt, dass er sogar seine Familie vernachlässigte.

Wolfgang Wittl

Es mag seltsam sein, einen Text über Karsten Wettberg mit Uli Hoeneß einzuleiten, einen Text über den Mann, der über den TSV 1860 München sagt, dieser Verein sei "wie Rauschgift" für ihn. Und dann taucht als erstes der Präsident des FC Bayern auf. Er empfinde Neid auf Hoeneß, sagt Wettberg. Natürlich nicht wegen dessen Klubzugehörigkeit, auch nicht wegen des Alters. Hoeneß feiert Anfang Januar seinen 60. Geburtstag, Wettberg wird heute 70, daher hat er gerade viel zu organisieren.

Fussballtrainer Karsten Wettberg

Er flucht, er hüpft, er tobt - und ist dann wieder ganz zahm. Karsten Wettberg, der Coach des Bayernligisten SV Seligenporten, ist nicht irgendein Übungsleiter, sondern noch immer der erfolgreichste Amateurtrainer der Republik.

(Foto: dapd)

300 Gäste hat er eingeladen, das Handy klingelt noch öfter als sonst. Hoeneß hat ein Mobiltelefon, dessen Nummer aber nur ein paar Auserwählte kennen. Wer den Bayern-Präsidenten sprechen will, muss ihm ein Fax schicken und auf Rückruf hoffen. Wer sich der modernen Kommunikation derart verweigern kann und trotzdem nicht abgehängt ist, der habe es geschafft, seufzt Wettberg, "ein absoluter Luxus".

Kurze Anbindung zur Autobahn

Der Volkstribun Wettberg hatte nie ein Problem damit, sich zu präsentieren. Als ihm die Fans 1991 nach dem Zweitliga-Aufstieg mit Sechzig die Kleider vom Leib rissen, ließ er sich in Unterhose interviewen. Wer ihn jetzt sprechen will, muss sich nur in die Hallertau aufmachen. Akkurat geschnittene Hecke, Vogelnest unterm Dach, freier Blick auf den Kirchturm, nebenan ein Getreidefeld und, am wichtigsten: kurze Anbindung zur Autobahn.

Seit 1974 lebt Wettberg in Elsendorf, einem Bauerndorf im Landkreis Kelheim, der sich praktischerweise in der Mitte Bayerns befindet. Vielmehr seine Familie lebte da. Für Wettberg war das Haus in Elsendorf jahrelang nur der Ort zum Schlafen, damit er am nächsten Tag wieder aufbrechen konnte zu einem der vielen Klubs, die er trainierte.

Wettberg hat mit 70 keineswegs das Gefühl, er müsste bereits zurückblicken. Trotzdem kann er bis ins kleinste Detail seine Laufbahn nachzeichnen, die als Stürmer beim FC Mainburg begann und als Trainer des TSV 1860 ihren Höhepunkt fand. Auf Wunsch einer Zeitschrift hat er seine Meisterschaften gezählt - 46 Titel, Kreispokale eingeschlossen, brachten ihm die Auszeichnung "erfolgreichster Amateurtrainer Deutschlands" ein. Aufgefallen ist er zuerst beim SV Saal, einem kleinen Klub, mit dem er es in die Landesliga schaffte, damals vierthöchste Spielklasse.

Heute liegt der Verein auf Platz elf der Kreisklasse und könne nicht mal mehr seine Stadiongaststätte bewirtschaften, "das tut weh". Es gibt nichts, was Wettberg über seine früheren Klubs nicht wüsste, und nichts, worüber er nicht reden wollte. Mit dem Mann, der bäuchlings und mit Fäusten trommelnd auf dem Platz liegt, hat er hinter dem Holztisch im Wohnzimmer jedoch nichts gemeinsam. Wie ein Schulbub sitzt Wettberg auf seinen Händen und spricht mit dezenter Stimme: über Karl Obermeier, den besten Kicker, den er je trainiert habe, einen Stürmer aus der Nähe Ingolstadts; über die SpVgg Landshut, die als Bayernliga-Meister vergessen hatte, die Lizenzunterlagen zur zweiten Liga einzureichen.

"Wirklich vergessen?", fragt Wettberg verschmitzt. Oder über Siege mit der SpVgg Unterhaching gegen Sechzig, nach denen Hachings Mäzen Toni Schrobenhauser schon mal 1000-Mark-Scheine verteilte. Oder wie SpVgg-Manager Norbert Hartmann zu ihm raste, um Wettbergs Zusage beim FC Augsburg noch zu verhindern.

Große Siege, herbe Pleiten

Wettberg hat vieles gewonnen, aber er hat auch herbe Niederlagen einstecken müssen. Die erste in Unterhaching, als bekannt wurde, dass er kommende Saison 1860 trainieren würde - er musste gehen. Bei Sechzig kürten sie ihn dann zum König von Giesing, doch auch diese Stellung bewahrte ihn nicht vor dem Rauswurf. "Mein großer Fehler war, dass ich mich immer einmische", sagt Wettberg. Bei der Präsidenten-Wahl unterstützte er Manfred Cassani gegen Amtsinhaberin Lilo Knecht - verkennend, dass sich Vizepräsident Karl-Heinz Wildmoser schon in Stellung gebracht hatte.

"Wer nicht für mich ist, ist gegen mich", ließ Wildmoser ihn wissen. Aus dieser Zeit stammt ein Verbot, das Trainingsgelände künftig betreten zu dürfen. Es wurde nie offiziell aufgehoben, obwohl Wettberg bei 1860 später als Vizepräsident, Aufsichtsrat und Scout tätig war: "Das habe ich bestimmt 1000 Mal übertreten."

Seine größte Niederlage erlebte er in der Familie. Wettberg ist stolz, dass er zeit seines Berufslebens bei der Post arbeitete und nur nebenbei trainierte. Er war der erste Beamte, der zwei Tage pro Woche Sonderurlaub bekam. Der damalige Abgeordnete Horst Seehofer hatte sich beim Minister für ihn eingesetzt. Doch die freie Zeit gehörte ganz dem Fußball. Gattin Gisela gab ihren Beruf als Chefsekretärin auf, Sohn Stefan wuchs nahezu ohne Vater auf - oder sah diesen nur, wenn er ihn begleitete. "Ich habe verkehrt gemacht, was man verkehrt machen kann", sagt Wettberg.

Als er den Sohn einmal zu einer Spielbeobachtung mitnahm, drehte sich dieser im Stadion um und starrte eine halbe Stunde in die verkehrte Richtung. Wie Fans, die ihre Elf durch Desinteresse bestrafen. Heute verstehe er sich mit Stefan prima. Für Fußball hat sein Sohn nach wie vor nichts übrig. Anfang der Neunziger sollte Wettberg den Erstligisten Nürnberg übernehmen, auch ein Schweizer Zweitligist wollte ihn. Wettberg lehnte ab, wegen der Familie. Bei den heutigen Summen würde er vielleicht anders handeln.

SPD und Sternstunden-Team

Die Arbeit mit jungen Menschen sei für ihn Lebenselixier, sagt Wettberg. Nur so lässt sich erklären, weshalb es ihm nichts ausmachte, als Trainer wieder nach Cham oder jetzt nach Seligenporten zu fahren. Einige Millionen Kilometer war er für Fußball unterwegs, mehrere Male zum Mond und zurück. Als er 2010 eine schwere Rückenoperation hatte, reagierte er darauf nicht mit einer Pause oder dem Karriereende, sondern mit dem Kauf neuer Autositze.

Dabei habe er Interessen neben Fußball: Er engagiert sich lokalpolitisch für die SPD und sozial für die Sternstunden-Mannschaft, möchte reisen, ins Theater gehen, fährt täglich Rad. Er hänge nicht am Trainerdasein, beteuert Wettberg. Sein Traum wäre es, professionell für 1860 zu scouten. Vorher müsse er aber noch, betont er, mit Seligenporten in die Regionalliga aufsteigen, um es den Neidern in der Region zu zeigen.

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