Am Niederrhein, wo Marcell Jansen in einem mittelgroßen Dorf namens Mönchengladbach aufgewachsen ist und wo sein Vater bei Kaiser's als Warenannahmeleiter beschäftigt war, in diesem bürgerlich-bodenständigen Milieu also hat man ihm früh folgende Lebensweisheit mitgegeben: "Man kann eh nur zwei Schnitzel essen." Übersetzt in die Sprache des Profifußballs heißt das in etwa: Ob man nun 15, 18 oder 22 Millionen Euro auf dem Konto hat, ist doch eigentlich auch schon wurscht.
Aber wenn ein 29-jähriger Fußballer das dann tatsächlich mal so sieht, wenn er seine Karriere beendet, obwohl er seinem Körper noch ein paar Jährchen und Milliönchen hätte abringen können, dann wundern sich plötzlich alle. Am Dienstag wunderten sich unter anderem: Joachim Löw und Bruno Labbadia. Der Bundestrainer und der Trainer des Hamburger SV.
2006 war er der jüngste WM-Teilnehmer - neben einem gewissen Cristiano Ronaldo
Natürlich hätte Marcell Jansen noch tonnenweise Schnitzel verdienen können in seinem Leben als Fußballer. Die Branche bietet genügend Austragsstüberl für einen mit dieser Biografie: 2007 für 14 Millionen Euro von Borussia Mönchengladbach zum FC Bayern gewechselt, 33 Pflichtspiele gleich in der Münchner Premierensaison, ein Jahr später dann weiter zum Hamburger SV, der damals noch nicht eine so betrübliche Adresse war wie heute. Jüngster Spieler bei der WM 2006 (zusammen mit dem Schnitzelkönig Cristiano Ronaldo); außerdem Teilnehmer der Europameisterschaft 2008 und der Weltmeisterschaft 2010; am Ende 45 Länder- und 242 Bundesligaspiele.
Sein Berater René vom Bruch jedenfalls legt jetzt Wert auf die Feststellung, dass Jansen am Markt gerade in "einer sehr guten Position" gewesen wäre: "ablösefrei, kerngesund und im besten Fußballer-Alter", wie man so sagt.
Unter anderem Benfica Lissabon und der FC Everton sollen interessiert gewesen sein, natürlich wird das nicht offiziell bestätigt. Aber dass Marcell Jansen bereits in seinen vergangenen sieben Hamburger Jahren immer wieder Angebote ausschlug, die "finanziell wie sportlich eine Verbesserung" gewesen wären, wie es vom Bruch formuliert, das darf man schon glauben. Sportlich wäre ja ohnehin fast alles eine Verbesserung gewesen im Vergleich zum HSV, der sich zuletzt zweimal erst in der Relegation den Ligaverbleib sicherte.
Kuriose Stadionnamen:Kicken im Schlaraffenland
Endlich wieder Volksparkstadion: Der Hamburger SV ist seinen sperrigen Stadionnamen los. Andere Sportvereine hat es schlimmer erwischt: Von Trolli-Arena bis Brainwash Stadion.
Und was das Finanzielle angeht, muss man wissen, dass Jansen beim HSV zwar noch zu den Großverdienern aus der Größenwahn-Ära zählte. Aber irre Gehälter werden auch anderswo gezahlt, und dass Jansen immer "für Dynamik, Einsatz und Leidenschaft stand", wie Löw die Lebensleistung des Linksverteidigers am Dienstag noch mal zusammenfasste, das hatte sich an diversen Standorten herumgesprochen.
Andererseits waren da auch immer wieder Verletzungen. Eine Blessur am Oberschenkel verhinderte Ende der abgelaufenen Saison, dass Jansen die dramatischen Entscheidungsspiele gegen den Karlsruher SC mitmachen konnte. Kaum ein Körperteil, das ihm in den vergangenen Jahren nicht mindestens einmal Probleme bereitet hätte. Und es klingen auch noch die ungewohnt deutlichen Worte des Bundestrainers aus dem Jahr 2011 nach, als er Jansen öffentlich aufforderte, sich etwas mehr um seinen Körper zu kümmern, um weiter für die Nationalelf infrage zu kommen. Das tat Jansen dann tatsächlich - selbst die WM in Brasilien war für ihn nicht außer Reichweite. Im März 2014 machte er sein letztes Länderspiel, ein 1:0 im Test gegen Chile. In der 24. Minute wurde er wegen einer Verletzung ausgewechselt.
Dass er beim HSV keinen Vertrag mehr bekommen würde, hatte der Verein ihm schon im Frühjahr mitgeteilt. Jansen erging es da wie weiteren Altgedienten, Rafael van der Vaart, 32, Heiko Westermann, 31 - auch auf Valon Behrami, 30, will der Klub offenbar in Zukunft verzichten. Aber während sich van der Vaart seine Pommes jetzt bei Betis Sevilla verdient und Westermann und Behrami auf Vereinssuche sind, belässt es Jansen bei zwei Schnitzeln ohne Pommes. Via Bild und auf seiner Facebook-Seite hat er sein Karriere-Ende verkündet.
Es mag pathetisch klingen, wenn Jansen dort sagt, er könne "nicht einfach ein anderes Wappen küssen", so sehr sei er dem HSV "emotional verbunden". Aber der Entschluss steht. Jansen hat mit ein paar Freunden ein etwas prolliges Label für Fitnessklamotten gegründet, er will mit einem "Start-up" und anderen Projekten "durchstarten". Der Fußball, sagt er, "wird wieder mein Hobby", und das sei ihm so viel wert, "da verzichte ich lieber auf Geld".
Vermutlich verzichtet Marcell Jansen sogar auf so viel Geld, wie andere Leute in ihrem Berufsleben nicht verdienen, aber es stimmt schon: Satt ist satt.