Schon bevor der erste Springer diese Schanze betritt, steht fest: Egal wer nun hier die tollsten Flüge hinlegt, wer sich hier am besten schlägt, wessen Darbietung die spektakulärste ist, er wird nicht der Hauptdarsteller des Tages sein. Das bleibt immer noch die Schanze selbst.
Die Bergisel-Anlage über Innsbruck, geschaffen vor 20 Jahren von der berühmten Architektin Zaha Hadid, wurde nicht nur wegen ihrer extravaganten Architektur zur besonderen Schanze, sondern auch wegen ihrer Enge und der besonders schnellen und dichten Abfolge der Schwierigkeiten in Anlauf und Sprung. Viele Kandidaten sind hier schon gescheitert, am Dienstag war es Karl Geiger, nach zwei Trainingssprüngen, in der Qualifikation - als Nummer 51, hinter 50 Qualifizierten, mit einem Rückstand von 0,2 Punkten.
Dabei hatte der Oberstdorfer seine Form noch vor ein paar Tagen in Schwung gebracht. Ein sachter Fehler beim Absprung in der zweiten Tournee-Station in Garmisch-Partenkirchen hatte ihn etwas zurückgeworfen, aber nicht wirklich irritiert. Geiger wirkte wie immer, ein nüchterner Athlet, der allzu große Gefühlswallungen, die in diesem Sport sonst durchaus aufkommen, stets beherrscht. Seine Laune war bestens, und beim Medientreff zur Halbzeit in Riessersee bei Garmisch-Partenkirchen hatte er noch mit dem restlichen Team ein neues Ziel ins Visier genommen: Gesamtplatz drei.
Geiger war unpünktlich, in Innsbruck ist das verhängnisvoll
Für ihn jedoch war es damit schon vor dem dritten Springen am Mittwoch am Bergisel vorbei, und zwar offensichtlich, weil er zu viel wollte, weil der Radius der Schanze, also die letzten Meter vor dem Absprung, an diesem Tag für Geiger zu tückisch war. Er hatte sich mit großem Krafteinsatz in die Luft gestemmt, aber eben nicht an jener kurzen Stelle der Spur, an der er in die richtige Flugbahn katapultiert werden konnte. Geiger war unpünktlich, konnte nichts mehr ausrichten, und nach 60 bis 70 Metern begann schon der Landeanflug, bei 90 Metern musste Geiger das Aufsetzen vorbereiten, bei 108 Metern berührten dann seine Skier den Schnee, womit klar wurde, dass er seine Ziele nun neu justieren muss.
"Er hat den Sprung ein bisschen übertrieben", analysierte Bundestrainer Stefan Horngacher. Das Aus in der Gesamtwertung "tut uns extrem weh". Geigers Teamkollege Andreas Wellinger sagte: "Das ist unfassbar bitter", und erklärte teils philosophisch, teils fluchend: "Das ist leider Gottes Skispringen, so schnell kann es mal funktionieren, und dann hat man wieder die Scheiße am Schuh kleben." Und, noch mal Horngacher: "Nachdem das Training gut lief, wollte er das dann noch extremer machen, und das war dann viel zu viel". Denn die Bergiselschanze sei gnadenlos, "da ist man schnell auf dem Boden".
Geiger wirkte angesichts dieses Absturzes schockiert, er bat um Geduld, er verstehe noch nicht, wie das passieren konnte. Irgendwann erklärte er: "Den Qualifikationssprung habe ich überhaupt nicht erwischt, und dann ist Innsbruck halt hart." Sein Knie? Habe etwas gezwickt, war aber nicht der Grund. Überhaupt, Ausreden wolle er nicht suchen, jenseits aller möglichen Erklärungen müsse er sich schlicht eingestehen: "Das war einfach Murks."
Die Frage ist, ob seine mühsam erarbeitete Form längerfristig Schaden nimmt
Eine derartige vom eigenen Körper, von den eigenen Abläufen und Reflexen vermasselte Sprungvorführung ist bei den Topleuten dieses Sports eine Rarität. Sie kann sich auch auf die allgemeine, weitere Form legen. So eine Panne ist nur schwer zu verstehen, weshalb Geiger ankündigte, dass er erst mal einen Haken an den Tag setzen werde, ehe er sich mit Abstand an die Analyse machen werde.
In diesem Winter war er wie alle Deutschen mühsam gestartet, hatte sich dann langsam in jene Form gebracht, die ihn nach dem ersten Tournee-Springen in Oberstdorf fast schon an den Gesamtsieg denken ließ - wenn die Tendenz so weitergegangen wäre. Nun ist die Frage, ob dieser Entwicklungserfolg für ihn im Vordergrund und sein Selbstbewusstsein entsprechend gefestigt bleibt. Denn die Saison ist noch lang. Der Tournee folgt ein langer Winter im Weltcup über Schanzen jeder Sorte, auf die er sich einstellen muss. Es wird mal kürzer gesprungen und dann auch mal auf Monsterbakken geflogen, ehe es Ende Februar um Medaillen geht: Die Weltmeisterschaft in Planica in Slowenien hat Trainer Horngacher schon längst als das wichtigste Ereignis des Winters für seine Springer erklärt.
Vorerst jedoch braucht Geiger wohl noch etwas Zeit, um die Dinge von Innsbruck zu begreifen. Zum Beispiel, ob er sich dort vielleicht überschätzt hat mit einer nur scheinbar leichten Qualifikation: "Ich hab' gedacht, dass ich doch ein bisschen zu gut springe." Aber: "Manchmal geht's schnell, und leider ist es passiert."