Skifliegen:Weltmeister aus der Kiste

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Vollgas in Slowenien: Karl Geigers Risikobereitschaft zahlt sich aus. (Foto: GEPA/Imago)

Karl Geiger war eigentlich nie ein großer Flugkünstler. Doch auf der Riesenschanze von Planica segelt er trotzdem allen davon. Wie ist ihm das gelungen?

Von Volker Kreisl, Planica/München

Ein Riesenkrach war das. Ein Feuerwerk, das am Nachthimmel donnerte, eine Kulisse, die toste. Rock-Hymnen über Champions, die erfolgreich "'til the end" kämpfen, überzogen dieses Stadion, diese gewaltige Skiflugschanze von Planica in den Bergen Sloweniens.

Okay, tatsächlich war niemand da, außer etwas Skisprungpersonal und außer einigen künstlichen Zuschauern, die auf den Rängen aus großen Screens herausjubelten und Fahnen schwenkten, aber nicht so sehr für die Sportler, als vielmehr fürs Fernsehpublikum.

Und doch ist es denkbar, dass an diesem Abend, als Karl Geiger aus Oberstdorf Skiflugweltmeister wurde, eine Party stieg. Denn der Allgäuer erzählte voller Rührung: "Die Momente auf dem Podest waren unbeschreiblich." Er! Karl Geiger! Ganz oben bei einem Großereignis, "und das beim Skifliegen, was mir glaub' keiner zugetraut hätte". Dazu kam noch ein weiterer Erfolg seines Teams, denn nebenbei gewann Geigers Hotelzimmer-Gefährte Markus Eisenbichler die Bronzemedaille: "Ich freu mich mega für Eisei", stieß Geiger hervor. Und überhaupt, egal wie die Umstände sind: "Genießen kann man so einen langen Sprung immer!"

Bedenkt man, wie beherrscht Geiger sonst wirkt, wie ausgeglichen er ist, wie bedächtig er sich über Fortschritte freut, wie cool er mit Niederlagen umgeht, dann muss das am Samstagabend auf dem obersten Podest ein Feuerwerk gewesen sein - nur dass es eben allein in ihm, dem Sieger, abging.

Skiflug-WM
:Erster: Geiger

Auf der Riesenschanze von Planica geht jeder Flug über 200 Meter weit - doch am Ende beträgt der Vorsprung gerade einmal 0,5 Punkte. Karl Geiger wird Weltmeister im Skifliegen, es ist der größte Sieg seiner Karriere.

Von Lisa Sonnabend

Die nächste rührende Geschichte: Bereits 2019 standen die beiden auf einem WM-Podest

Auch andere waren verblüfft über diese zwei Tage, zum Beispiel der Bundestrainer, Stefan Horngacher. Geiger hatte zu Beginn der Saison einen Podestplatz errungen, dann war er etwas außer Sichtweite der besten Plätze geraten, was auch mit einem zwischenzeitlichen Ausflug nach Hause zusammenhing. Nun war er zurück, machte seine Sache ordentlich in der Qualifikation, setzte sich an die Spitze des Klassements, aber an die Spitze kann man ja immer mal hinauf geweht werden. Auch Horngacher glaubte noch nicht so recht an diesen Erfolg, denn da waren ja noch die viel konstanteren Flieger des Dezembers: der Norweger Halvor Egner Granerud und eben Eisenbichler. Aber dann?

"Dann", sagte Horngacher, "kam der Karl aus der Kiste."

Keine Blöße hat der sich gegeben, vor allem mit dem dritten von vier Sprüngen hatte er seine beiden ärgsten Konkurrenten mit einem Vorsprung von 7,7 Punkten wohl etwas ernüchtert. Denn er demonstrierte, dass der Freitag ihm nicht nur einen Zufallserfolg gebracht hatte, sondern dass er diese Schanze verstanden hat. Vor allem den Druckpunkt am Tisch, auf dem man sich trotz der schnellen Anfahrt und des riesigen Radius' noch kräftig in die Luft katapultieren muss; und genauso auch diesen Knick ganz unten, über den man hinwegkommen muss, der manche zu früh auf den Schnee zwingt. Geiger flog im vierten Durchgang nicht mehr ganz so weit, aber es reichte schließlich, um einen halben Meter.

Die Skisprungsaison hat also noch gar nicht richtig angefangen und schreibt schon eine rührende Geschichte, vielleicht mit dem Titel: Das Fliegende Doppelzimmer (II). Teil eins war vor knapp zwei Jahren erschienen, da hatten die beiden auch auf einem WM-Podest gestanden: Eisenbichler ganz oben und Geiger eine Stufe drunter. Sie hatten damals erzählt, dass sie sich schon lange im Winter das Zimmer teilen, und dass sie ganz gut zusammenpassen, weil der eine (Eisenbichler) den anderen ein bisschen aufmischen, und der andere (Geiger) den einen wiederum ein bisschen auf den Boden holen kann. Im Idealfall befinden sie sich dann zum Wettkampf im Gleichgewicht.

Bei Geiger sah das am Samstag dann so aus: Im Training probierte er zunächst noch gewisse Einstellungen in den Flugphasen, versuchte noch einmal, den Schanzenrhythmus zu erfassen und legte im Finale dann alles in seine beiden Sprünge. "Ich komme da in einen Tunnel rein", sagte er kurz nach der Siegerehrung. In dieser Konzentration könne er im Wettkampf dann volles Risiko gehen, "wenn es zählt, drück' ich drauf und riskier' Vollgas", was manchmal auch in die Hosen gehe, "meistens aber nicht". Eine "Rakete" habe er schon am Freitag gezündet und nun auch am Samstag.

Nach allem Ermessen wird das Doppelzimmer eher nicht zu einer Endlosserie wie Game of Thrones, dazu kann der Stoff nicht verlässlich genug inszeniert werden. Skispringer haben nun mal nur eine begrenzte Kontrolle über ihre Form. Ein markantes Beispiel gibt zurzeit der Japaner Ryoyu Kobayashi ab, der im Winter 2019 kaum zu besiegen war und in dieser Saison nicht mehr in die Top Ten kam; in Planica nun wurde er Neunzehnter. Der Österreicher Michael Hayböck überzeugte dagegen nach mäßiger Form in den vergangenen Jahren und soeben überstandener Corona-Infektion, er belegte hinter Eisenbichler Platz vier. Dahinter wiederum, auf den Rängen elf und 14, überraschten Pius Paschke (Kiefersfelden) und Constantin Schmid (Oberaudorf), die am Sonntagabend noch mit dem deutschen Team um eine Medaille sprangen.

Karl Geiger allerdings hat nun gezeigt, wie vielseitig und widerstandsfähig er ist, und dass das ständige Auf und Ab der Springer-Form nicht zwingendes Schicksal sein muss. Sogar die Weltcuppause, die er wegen des Geburtstermins seines Kindes unternahm, für die er vergangenes Wochenende ein paar Tage nach Oberstdorf zurückgekehrt war, hat ihn nicht aus dem Rhythmus gebracht.

Somit könnte das Duo Eisenbichler/Geiger ein ermutigendes Beispiel abgeben. Die dritte Saison ist es nun schon, in der entweder beide gewinnen oder mindestens einer. Und das Potenzial der Zweier-Unterkunft könnte man durchaus nutzen, auch für die anderen vier deutschen Weltcupreisenden. Vielleicht mit einem Sechserzimmer?

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