Vierschanzentournee:Karl Geiger besiegt den Wind

SKI - JUMPING - FOUR - HILLS

Karl Geiger jubelt über seinen zweiten Platz in Oberstdorf.

(Foto: AFP)
  • Karl Geiger zeigt beim Auftaktspringen der Vierschanzentournee keine Nerven und wird Zweiter in Oberstdorf.
  • Sieger ist der überragende Japaner Ryoyu Kobayashi - doch dahinter wirbelt es die Skisprung-Rangordnung einigermaßen durcheinander.

Von Volker Kreisl, Oberstdorf

Der Wind kommt auf der Skisprungschanze von Oberstdorf meistens von hinten. Als Rückenwind schlich die Luft auch beim Finale im ersten Springen der 68. Vierschanzentournee gegen Nachmittag von der Höhe des Schattenberges herab. Er ärgerte die Springer teils mehr, teils weniger, hielt sich aber in Grenzen und war diesmal keine Bürde für die Athleten. Auch nicht für Karl Geiger. Ihm wehte ein anderer Wind entgegen.

Er kam von unten, wo 25 500 Menschen standen. Wie immer musste Karl Geiger vom SC Oberstdorf auf dieser Sprungschanze, die direkt auf das Zentrum seines Heimatortes weist, dem Lärm und den Erwartungen seiner vielen Fans entgegen fliegen. Ein Unterfangen, an dem er im vergangenen Jahr schon einmal als Mitfavorit gescheitert war. Diesmal aber hielt Geiger dem Druck stand.

Gegen den vergangenen Tourneesieger Ryoyu Kobayashi aus Japan hatte diesmal niemand eine Chance, Geiger aber platzierte sich am Sonntagabend als Zweiter hinter ihm. Der Rückstand, 9,2 Punkte, ist nicht gerade klein, öffnet aber doch ein kleines Fenster für Ambitionen auf den Gesamtsieg. Gut fünf Meter beträgt Geigers Distanz auf den Überflieger, der in dieser Saison keineswegs immer allen voraus war, aber nun, wo es entscheidend wird, offenbar seine Nerven immer besser in den Griff bekommt.

Hinter Kobayashi und Geiger hat der Tag die zuvor angedeutete Skisprung-Rangordnung dann doch durcheinandergewirbelt. Dritter wurde der Pole Dawid Kubacki, der sich bislang allenfalls in Lauerstellung gehalten hatte. Etwas versteckt hatte er jedoch beständig an Verbesserungen gearbeitet und noch in der Nacht zu Sonntag an Stellschrauben gedreht. Kubacki trotzte dabei im ersten Durchgang am besten dem Rückenwind, "das hat tatsächlich gut geklappt". Stefan Kraft wiederum, quasi Mit-Topfavorit vor der Tournee, kam auf Rang vier, mit nun knapp vierzehn Punkten Rückstand. Inwieweit die Nachfolgenden, darunter auf Rang elf der für seine Verhältnisse geradezu neugeborene Skispringer Markus Eisenbichler noch oben eingreifen können, bleibt eine der spannenden Fragen dieser Tournee.

Vorab allerdings steht fest: Karl Geiger hat eine der wichtigsten Probleme für sich gelöst - die Oberstdorfer Geiger-Frage, die schon weit zuvor im Dezember immer wieder an ihn gerichtet wurde, seit er so beständig im Weltcup unter den besten Sechs gelandet war: Würde er endlich den Heimvorteil nutzen können - der ihm neben seinem Talent und seiner großen Bereitschaft zu harter Arbeit einen zusätzlichen Kick für die weiteren Tourneestationen in Garmisch-Partenkirchen, Innsbruck und Bischofshofen bescheren kann?

"Es waren zwei gute Sprünge, und ich bin megahappy", sagte er nun, in seinem sachlichen Brumm-Ton, der auf volle Fokussierung hindeutet. Schon in Engelberg vor einer Woche hatte er ja erklärt, dass er so weit sei, dass ihn nichts mehr abhalte oder unter Druck setze: "Selbst wenn ich den Wettkampf verhauen sollte, kann ich da drüber stehen", sagte er, "da stehen auch die Leute daheim drüber, das wäre kein Weltuntergang für mich."

Für die entscheidende Verbesserung in Oberstdorf gibt es auch konkrete Gründe: Geigers Fortschritte in der Anlaufspur, genauer gesagt, seine Anfahrtshocke: "Das ist für mich das entscheidende Kriterium gewesen", schilderte Geiger. Er stürzt sich mit der richtig dosierten Mischung aus Tempo und Körperspannung über den Schanzentisch und fliegt immer weiter.

Es war "ein fantastisches Event", sagte Geiger später, und schließlich: "Das wird mir für immer im Gedächtnis bleiben."

Ein spannendes Vergnügen - vielleicht bis zum Schluss

Schon nach dem ersten Durchgang allerdings waren einige andere Favoriten stark ernüchtert. Daniel Andre Tande, der Norweger, der zu Saisonbeginn so stark gesprungen war, der zwei Weltcups gewonnen hatte, verpasste den zweiten Durchgang. Tande, Skiflugweltmeister und seit langem der Teamleader der Norweger, ist womöglich immer noch durch einen Zusammenstoß im Dezember mit einem anderen Skispringer beeinträchtigt. Im Auslauf von Klingenthal hatte er einen Stoß auf den Knöchel bekommen, vermutlich sind die Schmerzen und Irritationen, vor allem beim Absprung, noch zu stark. Tande kommt nicht auf Höhe und war bei allen Sprüngen in Oberstdorf weit unter seinem sonstigen Niveau.

Mit dem Oberstdorfer Finale hatte er natürlich nichts zu tun, Peter Prevc und Kamil Stoch, beides Tourneesieger der jüngeren Vergangenheit, durften wenigstens noch in dieses erste Finale, im Gesamtklassement sind sie nun wohl chancenlos. Stoch, der Mann aus Zakopane, musste wegen eines verpatzten Sprungs in der Qualifikation früh starten, wieder bei starkem Rückenwind, und kam auch nach dem zweiten Sprung nur noch auf einen Mittelklasserang: 19. Und der Slowene Prevc erreichte nach missglückter Landung gerade noch über den letzten Platz der Lucky Loser das Finale, es wurde Rang 21.

Für sie ist die Tournee wohl nur noch eine spektakulärere Weltcup-Veranstaltung. Für Karl Geiger, der vom Oberstdorfer Wind vielleicht noch weiter getragen wird, könnte sie ein spannendes Vergnügen bleiben, vielleicht bis zum Schluss.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusVierschanzentournee
:"Leicht fliegt leichter"

Riesen-Anzüge, dünne Springer, gefährliche Skier: Verantwortlich für die Balance zwischen Spektakel und Sicherheit beim Skispringen ist seit fast 30 Jahren Renndirektor Walter Hofer. Nun blickt er zurück.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: