Abschied von Karim Benzema:Einst unterschätzt - nun ein Gigant

Lesezeit: 4 min

Tor zum Abschied: Karim Benzema traf bei seinem letzten Spiel für Real Madrid - nach 14 Jahren verlässt er die Königlichen. (Foto: Pierre-Philippe Marcou/AFP)

Nach 14 Jahren, 354 Toren und fünf Champions-League-Titeln verlässt Karim Benzema Real Madrid. Manch unrühmliche Geschichte gerät ob des Erfolgs in Vergessenheit. Der Abschied erwischt die Königlichen auf dem falschen Fuß.

Von Javier Cáceres

Karim Benzema erzielte am Sonntag noch ein letztes Tor, per Elfmeter zum 1:1 gegen Athletic Bilbao am letzten Spieltag der Saison, und er verabschiedete sich als Legende des spanischen Rekordmeisters Real Madrid. Zum Adieu fanden sich seine aktuellen Spielkameraden zusammen, um ihn auf dem Rasen des Estadio Santiago Bernabéu hochleben zu lassen, indem sie ihn vor rund 60 000 Augenpaaren in die Luft schleuderten. Sein künftiger Klub ist noch nicht offiziell verkündet. Doch daran, dass er nun nach Saudi-Arabien weiterfliegen und dort für Al-Ittihad spielen wird, besteht kein Zweifel mehr.

Welche Detailinformation stimmt - ob ihm dort nun 60 oder 100 Millionen Euro netto jährlich hinterhergeworfen werden -, ist insofern irrelevant, als sich die Motivlage bei jedem dieser Beträge erklären dürfte. Carlo Ancelotti, sein Trainer bei Real, gönnte es Benzema nicht nur, er klang so, als würde er ein Tränchen verdrücken. Er habe "die Gewissheit, einen der besten Fußballer der Geschichte trainiert zu haben", sagte er - und korrigierte sich dann noch umgehend: "Nicht einen Fußballer. Sondern einen kompletten, bescheidenen und freundlichen Fußballer."

Hoch soll er leben! Karim Benzema lässt sich zum Abschied von den Mannschaftskollegen in die Luft schmeißen. (Foto: Juan Medina/Reuters)

Schon vor Tagen hatten die spanischen Gazetten, vor allem jene aus Madrid, damit angefangen, Abschiedsgirlanden zu flechten. Als am Sonntagmittag die Bestätigung des Abschieds per Klubmitteilung erfolgte und für Mittwoch eine Pressekonferenz angekündigt wurde, stellte sich aber doch so etwas wie ein Gefühl der Überraschung ein.

Der Grund: Am Donnerstagabend noch hatte Benzema einen Preis der größten Sportzeitung des Landes erhalten, den "Marca Leyenda", und sich so kryptisch geäußert, dass das Blatt seinen Lesern anderntags hoch und heilig versprach, Benzema bleibe. "Das Internet sagt, dass ich gehe. Aber das Internet ist nicht die Realität", hatte Benzema gesagt. Was wohl eine taktisch motivierte Äußerung war. Benzema, 35, hatte es wohl unterlassen, jenen Mann zu unterrichten, der ihn 2009 für Real Madrid rekrutiert hatte: Präsident Florentino Pérez.

Bei den Real-Fans war Benzema zeitweise umstritten - wie auch bei José Mourinho

Der milliardenschwere Bauunternehmer hatte sich von Zinédine Zidane überzeugen lassen, den damals noch für Olympique Lyon stürmenden Benzema zu holen, und die Eltern in ihrer bescheidenen Wohnung aufgesucht. Pérez hielt dem Franzosen auch die Schulterpolster des ewiggrauen Anzugs hin, wenn das Bernabéu dem Franzosen mal wieder die kalte Schulter zeigte. Beim Volk der madridistas war Benzema zeitweise sehr umstritten. Sein Bonmot, dass er Fußball für Menschen spiele, "die etwas von Fußball verstehen", war durchaus auch auf Teile der Madrilenen gemünzt. Vor allem auf jenen Teil, die den früheren Trainer José Mourinho vergöttern. Benzema aufzustellen sei, als würde man "mit einer Katze zur Jagd" aufbrechen, hatte Mourinho vor gut einem Jahrzehnt gesagt. Benzemas Arbeitsnachweis entlarvt diese Äußerung als töricht.

Denn: Benzema geht nach 14 Jahren, in denen er in 648 Pflichtspielen 354 Tore erzielte und insgesamt 25 Titel holte, darunter fünf in der Champions League. Im vergangenen Jahr erhielt er den Ballon d'Or, den Goldenen Ball für den weltbesten Fußballer des Jahres 2022. Es war die Krönung eines Jahres, in dem er fürwahr für Aufsehen gesorgt hatte, vor allem wegen seiner Rolle bei den legendären Aufholjagden Real Madrids in der Königsklasse. Und die manche unrühmliche Geschichte der Vergangenheit so sehr in Vergessenheit geraten ließen, dass sie sich in den Nachrufen auf eine Ära jetzt nicht finden. Die Strafverfahren, die er sich in den letzten Jahren einhandelte, fanden keine Erwähnung.

Ein Erpressungsversuch brachte Benzema ein Jahr Gefängnis auf Bewährung

Der größte gerichtsnotorische Fall kostete ihn einige Jahre in der französischen Nationalmannschaft: Benzema war an einem Erpressungsversuch zu Lasten des Nationalmannschaftskameraden Mathieu Valbuena beteiligt, es ging um ein Sex-Video, auf dem Valbuena zu sehen war, und für dessen Nichtveröffentlichung 150 000 Euro gefordert wurden, von Freunden Benzemas. Ende 2021 wurde Benzema wegen Beihilfe zur Erpressung zu einem Jahr Gefängnis auf Bewährung und einer Geldstrafe von 75 000 Euro verurteilt.

Der Abschied Benzemas eröffnet nun die Frage, wer ihm nachfolgen soll - und erwischt Real Madrid in gewisser Weise auf dem falschen Fuß. Die größten Investitionen wollte Real Madrid eigentlich im Sommer 2024 tätigen, um das Bernabéu-Stadion zu füllen, das gerade von Grund auf - und milliardenschwer - renoviert wird. In einem Jahr sollte die Enttäuschung über Kylian Mbappés Entscheidung vom vergangenen Sommer, in Paris zu bleiben, überwunden sein. In dem früheren Dortmunder Erling Haaland ist perspektivisch ein weiterer klangvoller Name im Gespräch.

Zurzeit sind die Ressourcen anderweitig gebunden. Real Madrid ist mit der Vollendung des Transfers des Dortmunders Jude Bellingham beschäftigt. Dessen Ablöse soll sich den 150 Millionen nähern - bestehend aus einem Sockelbetrag von 105 Millionen Euro sowie zwei erfolgsabhängigen Prämienpaketen von jeweils rund 25 Millionen Euro. Aber Bellingham ist alles andere als ein Stürmer vom Schlage Benzemas.

SZ PlusMeinungKarriereende von Zlatan Ibrahimovic
:Einzigartig wie kein Zweiter

Der Abschied des Torjägers Ibrahimovic und seines Meta-Wesens "Ibra" forciert das Ende einer Epoche der Superstürmer: Ronaldo in der Wüste, Benzema folgt - und Messi früher oder später wohl auch. Am Sternenhimmel des Fußballs werden Plätze frei.

Kommentar von Philipp Selldorf

Ein wenig Vorarbeit war geleistet worden. Im Winter hatte Real Madrid Kontakt mit Dusan Vlahovic (Juventus Turin) aufgenommen, aber nur mit halber Überzeugung. Pérez war davon überzeugt, dass Benzema am Ende doch bis 2024 bleibt. Nun soll Pérez Harry Kane an die erste Stelle der Prioritätenliste gesetzt haben. Eine weitere Option ist der frühere Leverkusener Kai Havertz vom FC Chelsea. Marca warf den Namen in der vergangenen Woche in den Raum, die Bild-Zeitung vermeldete am Sonntag, dass es beim deutschen Nationalspieler sogar "sehr schnell" gehen könnte.

Das ließ sich nicht erhärten, wohl aber dies: Der zuletzt arg spendierfreudige FC Chelsea benötigt Einnahmen. Und Havertz würde den bis 2025 laufenden Vertrag gar nicht ungern auflösen. Spanien gilt als eines seiner Traumziele. Vielleicht klappt es bei Real Madrid auch unabhängig von Benzema. Real Madrid hat offensiv einige Planstellen zu besetzen. Denn auch Marco Asensio (PSG), Eden Hazard und Mariano werden den Klub verlassen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusExklusivUli Hoeneß im Interview
:"Da kann ich nicht loslassen!"

Uli Hoeneß erklärt, wie es zur Trennung von Hasan Salihamidzic und Oliver Kahn kam, welche Fehler beim FC Bayern zuletzt gemacht wurden - und warum er und Karl-Heinz Rummenigge jetzt wieder die Kontrolle übernehmen.

Interview von Christof Kneer und Philipp Schneider

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: