Süddeutsche Zeitung

Kanute Sebastian Brendel:Paddel als Zepter

Sebastian Brendel dominiert im Canadier weiter über 1000 Meter: Nun ist er zum vierten Mal Weltmeister.

Von Barbara Klimke, Montemor/München

Diesmal kippte er nicht vor Erschöpfung über Bord wie am Tag zuvor. Diesmal blieb er knien und streckte ermattet, aber lächelnd, vier Finger der Kamera entgegen. Einen für jeden Weltmeistertitel auf der 1000-Meter-Distanz im Canadier: kleiner Finger für 2014 in Moskau; Ringfinger für 2015 in Mailand; Mittelfinger für 2017 in Racice; Zeigefinger für 2018, das Rennen am Samstag in Montemor-o-Velho. Und Sebastian Brendel hätte, ohne zu untertreiben, auch die beiden Daumen dazu nehmen können, weil er 2012 und 2016 zudem Olympiasieger war.

Die 1000-m-Strecke ist das Herrschaftsgebiet von Brendel, 30, aus Potsdam, sein Hoheitsgewässer, das er mit dem Stechpaddel als Zepter regiert: "Er ist der absolute König", sagte der Brasilianer Isaquias Queiroz dos Santos, der als Zweiter mit fast einer Bootslänge Rückstand ankam.

Einen Tag vorher hatte dos Santos als Sieger noch vor Brendel gelegen, aber da ging es nur um die Hälfte der Distanz. Beim strapaziösen Kilometerpaddeln ließ Brendel dann dem gesamten Feld keine Chance. Als wolle er die Konkurrenz in Schockstarre versetzten, schoss der König der Canadier los. Es wurde ein Start-Ziel-Sieg, weil Brendels Taktik nur darauf ausgerichtet war, die Gegner, "nicht mehr rankommen zu lassen", wie er später sagte. Vier WM-Titel nacheinander zu gewinnen, das war bis dahin nur dem Canadier-Spezialisten Andreas Dittmer aus Neubrandenburg (2000 bis 2005) und Ivan Klementiew aus Lettland (1989 bis 2004) geglückt. Dabei war er mit leiser Skepsis nach Portugal aufgebrochen. Vor fünf Jahren hatte er dort unliebsame Erfahrungen mit einem bei den Kanuten gefürchteten Wetterphänomen namens Rechtswind gemacht. In Montemor-o-Velho, westlich von Coimbra, bläst es oft vom Atlantik her. Für Canadier-Rennfahrer, die ihr Paddel immer nur an einer Seite eintauchen, kann das unangenehm werden, wenn sie wie Brendel Linkspaddler sind. Der seitenwindanfällige Kurs sei "teilweise unfair", hatte er zuvor gesagt, weil es ihn 2013 dort bei der EM auf Platz sechs verblasen hatte - bis heute die schlechteste Platzierung auf seiner 1000-Meter-Paradestrecke. Die Anlage in Montemor-o-Velho ist relativ neu, es fehlt der schützende Baumbestand. Diesmal haben die WM-Organisatoren deshalb vorsichtshalber Windelsegel an der Strecke errichtet, wie Brendels Kollege Max Rendschmidt dieser Tage aus Portugal berichtete. Eine Maßnahme ganz im Sinne Brendels, die aber wirkungslos war, weil es auf wundersamer Weise windstill blieb: "Faire Bedingungen", wie der Weltmeister zufrieden feststellen konnte. Davon hat auch Rendschmidt, 24, profitiert, er wurde am Sonntag mit dem Flaggschiff des deutschen Verbandes, dem Kajak-Vierer, Weltmeister. Mit im Boot saßen Tom Liebscher, Ronald Rauhe und Max Lemke. Für Schlagmann Rendschmidt war es die bereits zweite Medaille. Am Samstag hatte er sich Silber im Kajak-Einer über 1000 Meter gesichert - seine erste als Solist. Er ist zwar Doppel-Olympiasieger, aber im Deutschen Kanu-Verband (DKV) kann daraus niemand Privilegien oder etwa den Anspruch auf sein Wunschboot ableiten. "Der Einer", sagte Rendschmidt, "ist bei uns immer stark umkämpft." Seine Nominierung hat er dann gerechtfertigt, nur knapp hinter dem Schnellsten, dem Portugiesen Fernando Pimenta, kam ausgepumpt und glücklich ins Ziel: "Bei der ersten WM-Teilnahme im Einzel gleich Silber zu gewinnen, ist unbeschreiblich." Unbehelligt von tückischen Rechts- und Seitenwinden paddelten auch die Kolleginnen Jasmin Fritz und Steffi Kriegerstein im Kajak-Zweier über 500 Meter zu WM-Bronze. Franziska Weber und Tina Dietze wurden Weltmeisterinnen in der nicht-olympischen 200-Meter-Kategorie. Insgesamt hat der DKV in vier der zwölf olympischen Klassen den Titel gewonnen, was sogar den Präsidenten, Thomas Konietzko, überraschte. "Ich hätte bei allem Optimismus nicht gedacht, dass wir so abschneiden würde", sagte er. "Alle haben ihre beste Leistung auf den Punkt hin abgerufen." Zum Abschluss der WM ist auch Brendel noch mal ins Boot gestiegen und hat den Marathon, 5000 Meter, gewonnen. So ist das in diesem Sport: Ihre Hoheitsgewässer müssen sich die Kanuten immer aufs Neue erobern.

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SZ vom 27.08.2018
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