Kanuslalom-WM:Trommeln am goldenen Fluss

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Von Glück umströmt: Nach Gold mit dem Team sicherte sich Ricarda Funk auch im Kajak-Einer den Titel. (Foto: Angelika Warmuth/dpa)

Mit fünf Titeln dominieren die deutschen Kanuten die Heim-WM auf dem Augsburger Eiskanal. Nach Olympiasiegerin Ricarda Funk holen sich am Sonntag auch Andrea Herzog und Lokalmatador Sideris Tasiadis Siege im Einzel.

Von Benjamin Zügner, Augsburg

Am Sonntagmittag saß Ricarda Funk mit Sonnenbrille und rosafarbener Kappe vor dem Organisationszentrum. Das Gespräch dauert etwa eine Minute, als sie unterbrochen wird. "Es kann nicht sein, dass die Deutschen so viele Medaillen gewinnen", sagt ein Herr im schwarzen Anzug. Es ist Thomas Konietzko, der Präsident des Kanu-Weltverbands ICF. Zwei Tage zuvor hatte Funk an ebenjenem Ort bereits einmal gesessen, nur mit einem kleinen Unterschied: Sie trägt nun den Titel "Kajak-Weltmeisterin auf der Heimstrecke". Andrea Herzog und Sideris Tasiadis sollten es ihr im Canadier-Einer am Sonntag gleichtun.

Einst hat Funk den Kanuslalom als Tanz auf dem Wasser beschrieben. Am Samstag, dem Finaltag der Kajak-Wettbewerbe auf dem Augsburger Eiskanal, bat sie selbst zum Tanz. "Mein Rhythmusgefühl ist eher: geht so", sagt Funk, "ich habe zwar als kleines Mädchen getanzt, es ist aber wohl besser so, dass ich beim Kanuslalom gelandet bin". Ohne Zweifel. Im Finale legte Jessica Fox, die australische Dominatorin der Szene, eine Fabelzeit vor, die auch Lokalmatadorin Elena Lilik nicht gefährden konnte; sie wurde am Ende Dritte. Somit war die Kulisse für Funk errichtet: Die 30-Jährige, Olympia-Siegerin von 2021 in Tokio, stürzte sich als letzte Starterin in die schwierig gesetzten Torkombinationen des 280 Meter langen Kanals. Bereits am Start, als sie noch mit dem Rücken zum Publikum saß, "war es so laut, ich dachte mir nur: Lasst mich doch erst mal Tor eins fahren!"

101,14 Sekunden später hatte sie alle 25 Tore passiert, und "als ich dann Grün gesehen habe, war mir alles egal". Wohl auch, dass der Sprecher am Eiskanal ihren Siegesschrei übertönte - auf Englisch. Dabei sei ein Detail besonders zu beachten: Den Nachnamen sprach er so aus, dass er nicht mehr nach der deutschen Weltklasse-Kanutin klang, sondern nach afroamerikanischer Tanzmusik: nach Funk beziehungsweise "Fank".

Den Rhythmus bei dieser WM gaben die Fans vor, gut 7000 waren es am Samstag, die lautstark auf die Werbebanden entlang dem Kanal trommelten, das Echo der Terrassenanlage tat ein Übriges. "Es ist megageil hier", sagte Funk, die diese Aufmerksamkeit selbst als Olympiasiegerin nicht gewohnt ist. Und doch begann ihr Siegeszug genau dort: in Tokio 2021, mit der ersten olympischen Goldmedaille für Deutschland im Kanuslalom überhaupt.

Jessica Fox, die Top-Favoritin aus Australien, gönnt Funk den Sieg: "Ricarda kann besondere Sachen auf dem Wasser!"

Funk verbindet nicht nur gute Erinnerungen mit Tokio. Zur selben Zeit wurde ihre Heimat im Ahrtal regelrecht überschwemmt. "Die Ahr hat ein Ausmaß angenommen, das man sich absolut gar nicht vorstellen kann", erzählte Funk. Ihre Eltern und auch Schwester Theresa, die ebenfalls an den Eiskanal gekommen sind, hätten damals beim Aufbau mit angepackt. "Und dann bekommt man in diesem Jahr Bilder aus der Heimat, wo in einem Fluss kein Tropfen mehr drinnen ist." Im Vorfeld der Titelkämpfe führte auch der Lech Niedrigwasser, erst einen Tag vor dem offiziellen WM-Start konnten die Organisatoren den Daumen heben. Funk sagte, sie habe gar nicht so genau mitbekommen, dass die Titelkämpfe so lange auf der Kippe standen, weiß aber: "Der Klimawandel ist da, er ist spürbar, es ist eigentlich der Wahnsinn."

Sie versuche, so viel wie möglich mit dem Fahrrad zu erledigen, sagt Funk. Dass ihr Sport allerdings nicht immer nachhaltig zu gestalten sei, stellt auch sie fest. Das deutsche Team hatte sich im Winter auf La Reunion vorbereitet, einer Insel im Indischen Ozean nahe Madagaskar. 2020 in Australien. Das sei ihre extremste Erfahrung gewesen, die Saisonvorbereitung in Penrith, eine Autostunde westlich von Sydney. Damals seien die Deutschen bei 48 Grad gepaddelt, erzählt Funk, das Wasser war offenkundig keine Abkühlung mehr. "Das würde ich heute auch nicht mehr machen."

Aber auch bei diesen Temperaturen werden herausragende Kanutinnen geformt, allen voran: Jessica Fox. Die Überfigur ihres Sports war nach ihrer Silbermedaille in Augsburg nicht enttäuscht, eher huldigte sie Funk: "Ricarda kann besondere Sachen auf dem Wasser!" Sie hätte sich ohnehin Funk als Siegerin gewünscht, falls sie selbst nicht hätte gewinnen können. Sie seien Freundinnen, bestätigte Funk, "wir treffen uns schon auch mal zum Grillen".

Gold im Canadier-Einer: Sideris Tasiadis, der nur wenige Kilometer von der Rennstrecke entfernt aufgewachsen ist. (Foto: Oryk Haist/Imago)

Stünde auf der Einladung zum gemeinsamen Grillfest der Dresscode "WM-Medaillen", dürften sich spätestens seit Sonntag weitere Deutsche zur illustren Runde gesellen. Andrea Herzog warf ihre Reisepläne nach dem WM-Sieg im Canadier-Einer kurzfristig über den Haufen: Statt direkt nach Hause in Richtung Leipzig zu fahren, würde sie sich "ein oder zwei Bier genehmigen, wir Deutschen können heute Abend feiern".

Und auch Sideris Tasiadis rauschte durch die Restaurantwalze (ja, so heißt ein Streckenabschnitt) zu Gold im Canadier-Einer. Der Augsburger mit griechischen Wurzeln kennt die Strecke wohl besser als jeder andere an diesem Wochenende. "Ich bin in Augsburg-Haunstetten aufgewachsen, nur ein paar Kilometer von der Strecke entfernt", erzählte er am Wochenende, 2012 ist er hier bereits Europameister geworden.

"Augsburg ist für den Kanuslalom so etwas wie Wimbledon fürs Tennis"

Selbst seine Hündin, Milou, ist unterdessen zu einer Augsburger Lokalheldin avanciert. Bei den Trainings vor der nationalen Qualifikation im April war sie noch neben Tasiadis an der Strecke entlanggelaufen, als Edelfan sozusagen, nun ist sie mit einer eigenen Akkreditierung ausgestattet und wird mehr beachtet als manche Athleten. Um der gesammelten Aufmerksamkeit nach der WM wieder zu entfliehen, fährt Tasiadis dann wieder leidenschaftlich gerne Vespa. "Da erkennt ma mi ned", sagt der Schwabe Tasiadis, "isch ja klar".

Nach fünf Goldmedaillen, ein Mal Silber und drei Mal Bronze in zehn Rennen, ist aber abzusehen, dass die Deutschen um Funk, Herzog und Tasiadis künftig öfter in der Stadt erkannt werden dürften. Denn "Augsburg ist für den Kanuslalom so etwas wie Wimbledon fürs Tennis", sagte ICF-Präsident Thomas Konietzko: "Oder wie Wembley für den Fußball."

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