Süddeutsche Zeitung

Kanuslalom:Schubsen, rammen, kentern

Lesezeit: 3 min

Von Matthias Schmid

Hannes Aigner hat es in diesem Jahr etwas ruhiger angehen lassen, er hat nicht jeden Tag verbissen in seinem Boot gesessen, um mit penetranter Akribie an seiner Wasserlage oder an seiner Paddeltechnik zu feilen. Er hat seinen Neoprenanzug auch mal gegen einen feinen Zwirn eingetauscht, um als Praktikant in das Innenleben eines Wirtschaftsunternehmens reinzuschnuppern. "Das war eine schöne Abwechslung", erzählt Aigner, als er in München auf einem Holzgeländer an der Isar-Floßlände Platz nimmt.

"Nur Paddeln füllt mich nicht aus", stellt er nüchtern fest. Als er das sagt, stößt er weißen Rauch aus, so kalt ist es an diesem Septembertag am Rande der deutschen Meisterschaften, trotzdem sitzt er barfüßig da. Normalerweise bestimmt das Kajakfahren seinen Alltag, auf mehr als 200 Reisetage kommt Aigner im Jahr. Alles ist darauf ausgerichtet, bei Olympischen Sommerspielen eine Medaille zu gewinnen. 2012 hat der Sportsoldat das schon mal geschafft, in London gewann der Augsburger Bronze im Einer. "Das soziale Umfeld kommt da meistens zu kurz", sagt der 28-Jährige. Freunde, Familie, Hobbies.

Bisher hat er das nicht bereut, doch je älter er werde, bekennt der dreimalige Team-Weltmeister, desto mehr denkt er über die Entbehrungen nach - und sie fallen ihm immer schwerer. Deshalb hat er sich nach Jahren der Hatz um den Globus, nach den Spielen in Rio de Janeiro, wo er als Vierter knapp eine Medaille verpasst hat, ein Übergangsjahr gegönnt. Der hohe Anspruch an sich selbst ist aber geblieben. Da trifft es sich ganz gut, dass ihm die neue Disziplin so liegt, die seit diesem Jahr auf dem Markt ist.

Canoe Slalom Extreme (CSLX) heißt sie. Weil das ein bisschen sperrig klingt, nennen Aigner und die anderen Athleten sie lieber Boatercross oder Slalom-Cross. Vier Kanuten springen von einer vier Meter hohen Rampe in den Wildwasserkanal und versuchen als Erster durchs Ziel zu paddeln. "Da geht es ziemlich rabiat zu", sagt Aigner. Chaotisch. Ihm gefällt das, der Körperkontakt, das Duell Mann gegen Mann. Die Kollisionen, Kenterungen und Überholmanöver. Spektakulär sieht das aus. "Man kann es mit Skicross vergleichen", fügt Aigner hinzu. Hindernisse erschweren den Weg ins Ziel, es gibt Engstellen, an denen es zu Staus kommt, Richtungstore und Kehrwasser, die gegen die Strömung angefahren werden müssen.

Lange Jahre war Slalom-Cross nur im Rahmenprogramm der Weltcup-Veranstaltungen zu sehen. Die Zuschauer waren begeistert und schauten sich die Rennen gerne an. Die Attraktion haben irgendwann auch die Funktionäre erkannt, seit dieser Saison gehört die neue Disziplin offiziell zum Weltcup-Kalender. Aigner entschied auf Anhieb gleich zwei Rennen für sich, deshalb hat er sich für die Weltmeisterschaft, die in dieser Woche im französischen Pau ausgetragen wird, einiges vorgenommen. "Ich will schon eine Medaille gewinnen", sagt Aigner unbescheiden.

Seine Teilnahme am Slalom-Cross tröstet ihn ein wenig darüber hinweg, dass er sich nicht für das Kajak-Einer qualifizieren konnte, für die Königsdisziplin. Da paddelt nun unter anderem der Olympiasieger von 2008, der Augsburger Alexander Grimm, um Medaillen. Dabei liegt hinter Aigner kein schlechtes Jahr, er war beim Heim-Weltcup im Einer zum Beispiel Zweiter. Auch in der Weltrangliste wird er auf Rang fünf gelistet - als bester Deutscher. Als es um die Nominierungen für die WM ging, waren die anderen allerdings besser. "Das passiert halt im Sport", sagt Aigner gelassen. Ihm bleibt ja noch die neue Disziplin.

Eine Medaille im Boatercross wäre mehr als ein Trostpreis für ihn. Eine Motivation für den Winter, da will er wieder voll trainieren, dem Sport mehr Zeit widmen als dem BWL-Studium. Olympia steht an, die Sommerspiele in Tokio 2020. Das ist Aigners großes Ziel. Eine Medaille sein Traum. "Bis dahin ist es aber noch ein sehr langer Weg", sagt er. Aigner hofft, dass dann auch Boatercross ins olympische Programm aufgenommen wird. Die Perspektive ist in jedem Fall da, fügt er erwartungsfroh hinzu. Die Funktionäre werben hinter den Kulissen beim Internationalen Olympischen Komitee für ihr Projekt.

Hannes Aigner hat genug erzählt, er steht auf, wirft sein Boot auf die rechte Schulter, sein Paddel nimmt er in die linke Hand und läuft davon - mitten durch eine Pfütze. Barfüßig, bei Temperaturen unter zehn Grad.

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Quelle:
SZ vom 27.09.2017
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