Kanu-WM:Steh-auf-Paddler

Kanu-WM

Kanu-WM 23.08.2019, Ungarn, Szeged: Kanu: Weltmeisterschaft, Vorlauf, Herren, Canadier-Einer, 1000m. Sebastian Brendel aus Deutschland in Aktion. Foto: Tamas Kovacs/MTI/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

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Sebastian Brendel verkörpert den Erfolg im Männer-Kanu wie kaum ein anderer. Doch sein Formtief hält auch bei der WM auf seiner Paradestrecke an - um die alte Leichtigkeit zu erlangen, muss er das Verlieren lernen.

Von Saskia Aleythe, Szeged/München

Das Paddel, das aus Freudengründen schon kurz vor der Ziellinie aufs Wasser klatschte, gehörte nicht Sebastian Brendel. Es war nicht der Doppelolympiasieger aus Potsdam, der mit riesigem Vorsprung - wie noch 2016 in Rio - zu Gold fuhr. Es war auch nicht Brendel, der später die Sieger-Interviews gab. Seit 2014 hatte er über die 1000 Meter im Canadier verlässlich WM-Gold geholt, er galt als unschlagbar. Dass er nun bei der WM in Szeged in Ungarn nur auf Rang vier landete, passte zu diesem Jahr. 2019, das Jahr, in dem Brendel zum Schlagbaren wurde.

Der große Erfolg gehörte Isaquias Queiroz. Der Brasilianer war in Rio noch an Brendel verzweifelt, nun gewann er mit großem Vorsprung vor Tomasz Kaczor (Polen) und Adrien Bart (Frankreich). "Die Enttäuschung ist riesengroß", sagte Brendel, 31, "ich hatte mir eine Medaille vorgenommen." Fünf Hundertstel fehlten ihm zu Bronze. Den Quotenplatz für Olympia in Tokio 2020 hat Brendel erreicht, aber die Ansprüche waren andere. Er wollte sich belohnen nach einer schweren Zeit. Vor seinem Gold am Samstag über die nicht-olympischen 500 Meter hatte er es in dieser Weltcupsaison nicht mal aufs Podium geschafft - Brendel, der seit 2005 kein Jahr ohne internationale Medaille abgeschlossen hatte, musste das Verlieren lernen. Oder für sich selbst erst mal herausfinden: Wo fängt das Verlieren überhaupt an?

Kienbaum, Anfang Juli, die schwierigen Monate liegen hinter Sebastian Brendel, das hofft er zumindest. "Das war schon eine neue Situation für mich", sagt er - in den Weltcups zuvor landete er über 1000 Meter im Canadier zwei Mal nicht auf dem Podium, ein vierter Rang steht in den Ergebnislisten. Sein Heimtrainer Ralph Welke sagt: "Anderen Sportlern wird bei einem vierten Platz gratuliert, für ihn ist das eine Niederlage." Beim ersten nationalen Ausscheid musste Brendel feststellen, dass auch die Konkurrenz im eigenen Land größer wird. Elf Jahre war er auch national unschlagbar, klar, nun war auf einmal der 22-jährige Conrad Scheibner schneller als er. "Da war ich überrascht, muss ich sagen. Keine Frage, er hat eine gute Leistung abgeliefert", sagt Brendel. Die Statistiken, die für ihn sprechen, hat er dann ganz schnell parat: "Wir sind sechs Mal gegeneinander gefahren, einmal war er schneller. Es ist jetzt nicht so, dass er mich immer abzieht."

Sebastian Brendel gilt als Musterathlet, "fleißig, kein Schlendrian", sagt Trainer Welke. Einer, der immer alles perfekt machen will. Und das hat den Mann aus Potsdam weit gebracht: 2012 Olympiasieger in London, 2016 in Rio Doppelolympiasieg, im Einer und im Zweier mit Partner Jan Vandrey. 19 WM-Medaillen stehen in seiner Statistik. Wenn nun andere mal ganz oben stünden, müsse man das akzeptieren, sagt Brendel. Es ist ihm wichtig, als fairer Sportsmann aufzutreten, "die anderen strengen sich ja auch an". Doch das Akzeptieren fiel ihm dann doch nicht so leicht. Die Situation sei "nicht spurlos an ihm vorbei gegangen", sagt Welke, "er tut zwar immer so, aber so einfach ist es auch nicht."

Das gewohnte Trainingspensum im Einer und Zweier wurde plötzlich zu viel

Die Probleme in diesem Jahr hängen auch mit dem Wunsch zusammen, das Doppelgold von 2016 zu wiederholen. Dass er damals in der Lagune von Rio zusammen mit Vandrey im Zweier zum Sieg fuhr, war eine Überraschung. Sie waren ja erst nachgerückt, nachdem die weißrussischen Kanuten wegen Dopings ausgeschlossen worden. Nur ein Rennen hatten Brendel und Vandrey vorher absolviert, dann gleich Olympiagold gewonnen. Diesen Erfolg will Brendel in Tokio 2020 wiederholen, was ihn aber auch mehr belastet. In diesem Jahr war es zu viel, zumal seit 2017 das Duo Yul Oeltze/Peter Kretschmer bei jeder WM geglänzt hat. Brendel habe so viele Rennen wie sonst nie, sagt Welke, "das hat ihn ganz schön geschlaucht, sowohl körperlich als auch psychisch".

Sie haben viel gesprochen, der Trainer und sein Athlet, aber nichts neu oder anders gemacht, dafür sich selbst und den Erfolgen vertraut. Im Juni schaffte Brendel dann doch den Sprung aufs Podest: Platz drei bei den European Games in Minsk. "Hätte ich die Weltcups gewonnen, wäre ich mit der Bronzemedaille nicht zufrieden gewesen", sagt Brendel. Es kommt immer auf die Perspektive an. "Da war wieder Land in Sicht", sagt Trainer Welke. Auch im Kopf von Brendel. "Das war für ihn wieder ein Erfolgserlebnis, wo er danach gesagt hat: Mensch, geht ja doch."

Und dann müssen manchmal nicht nur Muskelkraft und der richtige Paddelzug, trainiert werden. Sondern muss gelernt werden, die schweren Gedanken zu vertreiben. "Ich habe meine Vorstellungen, den meisten Druck mache ich mir selber", sagt Brendel. Nun ging es darum lockerzulassen, obwohl sonst bei aller körperlichen Kraftanstrengung immer Härte gefragt ist. Hart bleiben, auch sich selbst gegenüber, um die Trainingsleistungen zu schaffen. Seit 2017 hilft Brendel beim Lockerwerden das Stand-Up-Paddling. "Der Hintergedanke war, einfach mal Wettkämpfe just for fun mitzumachen", sagt er, "um auch ein bisschen Leichtigkeit wiederzugewinnen."

Abgerechnet wird bei der WM, hatte Brendel gesagt, und obwohl er später noch die Langstrecke über 5000 Meter gewann, weiß er, dass die Konkurrenz im entscheidenden Rennen besser war. Doch Szeged bleibt für ihn ein wichtiger Ort. Denn dort holte er 2005 Junioren-Gold im Einer über 500 und 1000 Meter. "Das hat mich darin bestärkt, das Einer-Fahren weiter zu verfolgen", sagt Brendel, der damals eigentlich im Zweier oder Vierer kniete, dann aber feststellte: "Im Einer kann ich mithalten."

Im Einer kämpft jeder für sich alleine. Und mancher Kampf, vor allem der mit sich selbst, muss über viele Runden gehen, um am Ende als Sieg zu gelten.

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