Süddeutsche Zeitung

Kanu:Neue Reife

Sideris Tasiadis verpasst im Einer-Canadier seine große Chance auf Gold und wird Fünfter. Trotzdem ist er froh.

Von Johannes Knuth

Sideris Tasiadis drehte sich noch einmal um, er schaute dorthin, wo die Glückseligkeit war. Tasiadis stand links neben dem Kanal im Whitewater Stadium von Deodoro, neben Reportern und Betreuern. Gegenüber riefen sie gerade die Medaillengewinner aus, Olympiasieger Denis Chanut aus Frankreich, den Slowaken Matej Benus und den Japaner Takuya Haneda. Tasiadis sah nicht viel von der Freude der anderen, ein mindestens drei Meter großer Betreuer der Slowaken stand vor ihm und fertigte digitale Erinnerungen fürs Familienalbum an. Also zog Tasiadis weiter und wandte sich den Reportern zu, barfuß, die schwarzen Locken noch nass. Er entschloss sich, weder enttäuscht noch wütend zu sein.

Er hätte jedes Recht dazu gehabt. Tasiadis hatte sich zwei Strafsekunden eingefangen, die ihn aus den Medaillenrängen warfen. Die nächste Chance? In vier Jahren, vielleicht. "Der Fehler hätte nicht sein müssen. Mei, was soll ich mir den Kopf zerbrechen?", sagte er. "Ich hab' ja nicht komplett abgeschissen." Tasiadis musste sich fast dafür entschuldigen, dass die Enttäuschung keine tiefen Wurzeln geschlagen hatte. Aber das ist wohl kein Wunder bei einem, der weiß, was eine echte Krise ist. Sideris Tasiadis, 26, aus Augsburg, ist vor und während des Kanuslaloms in Rio durch einige heiße und kalte Momente gewatet. Vor knapp einem Jahr ist seine Freundin nach einer Krebserkrankung gestorben. Tasiadis wühlte sich wieder in seinen Sport, sicherte sich den einzigen deutschen Startplatz im Einer-Canadier. Er reiste mit großen Zielen an, vor vier Jahren hatte er Silber in London gewonnen. Er hatte hineingefunden in eine neue Reife. Alle schauten jetzt auf ihn - Tasiadis holt Gold für seine verstorbene Freundin, das wäre doch eine tolle Geschichte. Aber in einem Sport, in dem ein kleiner Fehler den Athleten vom ersten auf den zehnten Platz zurückwehen kann, lassen sich derartige Taten eben schlecht planen. Also, enttäuscht? "Mei", sagt Tasiadis. Wer die echten Probleme des Lebens kennengelernt hat, kann auf unwichtige Dinge wohl leichter hinabblicken. Im Herbst 2013 wendete sich sein Leben von einem Tag auf den anderen, als bei seiner Freundin Claudia Bähr Blutkrebs diagnostiziert wurde, am 28. September 2015, nachdem die Hoffnung immer wieder aufgekeimt und verwelkt war, starb sie an einer Lungenentzündung. "Wenn die Trauer kommt", hat die amerikanische Schriftstellerin Joan Didion geschrieben, "ist sie nie so, wie man sie erwartet". Am Anfang, sagte Tasiadis, habe ihn der Verlust begleitet, "ich musste mich ablenken, da hat mir das Training sehr geholfen". Im Dezember hat er losgelassen: "Ich musste das so akzeptieren wie es ist." Er hat sich mittlerweile neu verliebt.

"Ich bin in erster Linie für mich hier", sagte er nach dem Rennen. Man hatte das Gefühl, dass Tasiadis in Rio über den Dingen schwebte, dass er An- und Entspannung richtig mischt, auch nach dem Rennen. "Verrückt, wie er mit dem Druck umgegangen ist", sagte Michael Trummer, Cheftrainer der deutschen Kanuslalom-Fahrer. "Die ganze Nation hat auf ihn geschaut, alle haben noch mal versucht, auf ihn einzureden. Das hat er relativ gelassen genommen." Wobei sich diese relative Gelassenheit im Nachhinein wieder ein wenig relativierte. Denn Tasiadis nutzte seine Minuten im Licht der Öffentlichkeit auch, um dem Deutschen Kanu Verband (DKV) etwas mitzuteilen. Vor Rio hatte der DKV von zwei der vier Kanuslalom-Boote in Rio Medaillen gefordert. Das habe "zu viel Druck" auf die Fahrer geladen, fand Tasiadis, "man kann das auch ein bissel anders einpacken." DKV-Chef Thomas Konietzko konterte, dass man "die Ansprüche nicht herunterfahren" dürfe. Ansichten von Athleten und Verbänden passen halt nicht immer zusammen. Zumal bei einem kleinen Verband, der mit Medaillen beim Dachverband die Fördergelder für die kommenden Jahre einlösen muss, und einem Athleten, der mit solchen Verpflichtungen nicht mehr viel anfangen kann.

In einem Finale sei von Platz eins bis zehn "immer alles möglich", sagte Tasiadis. So sei halt der Sport. Wie eng es dabei zugehen kann, zeigte Hannes Aigner am Mittwoch im Kajak- Finale. Der Augsburger wühlte sich in 89,02 Sekunden durch den Kurs, der drittplatzierte Tscheche Jiri Prskavec pflanzte eine um drei Hundertstel bessere Zeit in die Ergebnisliste. "Ärgerlich", sagte Aigner, vor vier Jahren in London mit Bronze behangen, "aber immerhin habe ich die Medaille von London. Deshalb ist der Frust nicht so groß". Zwei Chancen haben sie im DKV noch, im Kajak-Einer mit Melanie Pfeifer und im Canadier-Zweier mit Franz Anton/Jan Benzien. Tasiadis wird die Kollegen anfeuern und dann mit der Freundin urlauben. Um weiter erfolgreich zu sein, findet er, muss man das Paddel auch mal ruhen lassen.

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SZ vom 11.08.2016
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